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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

wimmelt von Sternen. Sie scheinen am Himmel herumgestreut, wie Hanfkörner, die Jemand auswirft, um Vögel zu füttern. Und doch soll sich Alles in bestimmter Ordnung bewegen. Wie muß Jemand, der da oben bekannt ist, die Erde klein vorkommen – vielleicht sind ihm die Menschen alle gleichgültig … Nein, Herr Heinrich liebt ja seine Mutter, und er hört gern Musik – da muß er ja ein Herz wie andere Menschen haben.

Den 19. 
Er hat uns besucht – uns!

Beim Frühstück sagt Tante: „Fanni und Sophie müssen heut früh Wäsche rollen, da giebt’s nur Gewärmtes.“

Onkel sieht mich an: „Wie wär’s, wenn Du mir Deine ‚Klümpen‘ machtest?“

„Mit Wonne!“

Tante schüttelt den Kopf: „Ich dächte, Du probirtest Dein Gericht, wenn wir einen guten Braten daneben haben.“

„Kränke sie doch nicht – Du siehst, es geht ihr nah!“

(Er nimmt nämlich immer meine Partei.)

„Meinetwegen,“ spricht sie.

Als es Zeit ist, bind’ ich meine weiße Küchenschürze vor und Tante streift mir noch die Aermel bis über die Ellenbogen auf. Dann gehen wir in die Küche, sie will mir helfen, aber ich schiebe ihr einen Stuhl zurecht.

„So – jetzt thust Du, als wärest Du die Königin von England: die wird auch nur zugesehen haben, wenn ihre Prinzessinnen kochten. Ich mache Alles allein – auch die Sauce.“

Wie ich nun meinen Teig fertig in der Schüssel habe, geht die Thür auf und Onkel guckt herein.

„Bravo!“ schreit er, „komm nur nach, Heinz, bei Köchinnen braucht man sich nicht zu melden.“

Da stand er in der Thür. Ich will fortlaufen, um mir nur schnell das Mehl von den Händen zu waschen. Onkel aber hält mich fest: „Solche Hände, die haben wir am liebsten, was meinst Du, Heinz? Wie gefällt Dir meine neue Köchin?“

„Nun weiß ich, warum Du morgen nicht bei uns essen willst. Die giebst Du wohl nicht wieder her – sonst …“

„Gelobt wird nicht, bis wir ihre Gerichte gekostet haben – ich behalte Dich zu Tisch.“

„Am liebsten blieb’ ich –“ (konnte er etwas Netteres sagen?) „aber meine gute Mama, die mich erwartet …“

Ich sehe Tante an; das Gesicht kenn’ ich. Sie ist nicht zufrieden, wenn man ihr unvorhergesehen einen Gast an den Tisch bringt: „Du weißt, daß wir heut nur Gewärmtes haben, Karl!“

„Was,“ ruft Onkel ärgerlich, daß sie nicht freundschaftlicher nöthigt, „die Klümpen werden doch nicht mißrathen sein?“

„Ich weiß nicht, Onkel, wenn man den Ofen nicht kennt, ist kein Verlaß.“ Aber innerlich war ich meiner Sache sicher.

„So lassen wir Deine Mutter holen – ich schicke Hans.“

„Du kennst sie ja als umständlich, und es ist schon spät. Dazu kommen alle Bergroth’s zum Kaffee – ‚um mich zu genießen‘ heißt’s …“

Bergroth, das ist sein Onkel, der Maschinenfabrikant.

„Da darfst Du nicht nöthigen, Karl,“ sagt Tante schnell, und dann wendet sie sich an Herrn Heinrich: „Ein Vogel hat mir gesungen, daß Ihre Kousine Bertha die Zeit immer recht lang findet, ehe Sie von Leipzig einmal herüberkommen.“

Es gab mir einen Stich. Ich hatte solche Lust, daß ihm meine Klümpen schmeckten, und da war eine Kousine Bertha, wegen der er fort mußte.

„Solche Vögel singen meist recht falsch,“ antwortet er.

„Und seine Verwandten kann er dann noch lange genug genießen – ich lasse Deine Mama benachrichtigen, Heinz – nicht?“

Er sieht mich freundlich an: „Ich glaube wirklich, ich kann Deiner Köchin nicht widerstehen,“ ruft er.

Wer war froher als Onkel und ich! Als Alles in der Küche fertig, lief ich noch schnell in den Garten und schnitt eine Hand voll Rosen, sie in die Mitte vom Tisch zu stellen. Dann band ich meine beste Spitzengarnitur um und steckte mir eine blaue Schleife ins Haar. Tante traf mich auf der Treppe.

„Was fällt Dir ein – für wen willst Du Dich putzen?“

„Wir haben doch einen Gast zu Tisch.“

„Dummes Zeug – das ist kein Gast, für den man Umstände macht.“

Da war ich sehr beschämt ging aber noch einmal zurück und legte Alles wieder ab.

Onkel und Herr Heinrich haben die Klümpen fast alle allein aufgegessen. Sie waren auch locker, denn ich hatte sie vorher mit einem Speiler probirt, an dem nichts hängen blieb. Als Onkel mich lobte, fing Tante gleich wieder von der Kousine Bertha an, und wie wirthschaftlich die wäre, obgleich ein so reiches Mädchen es gar nicht nöthig habe.

„Merkst Du ’was, Heinz?“ spottete Onkel, „Frauen können es einmal nicht lassen, einem Junggesellen sein Hauskreuz anzuheften.“

Mich interessirte, was er wohl dazu sagen würde.

Er lachte ein wenig. „Wenn man schon eins tragen soll,“ meinte er, „so wählt man’s wenigstens nach eigenem Geschmack. Jetzt hat’s noch gute Weile damit.“

„Er denkt noch nicht an Euch – da hörst Du’s! Wie, Heinz – wir haben andere Wünsche – he?“

„Apropos, Wünsche,“ spricht er, als wäre er froh, auf ein anderes Gespräch zu kommen – „was hätte ich nicht drum gegeben, den letzten Durchgang des Mars durch die Sonne von einem der Trabanten des Jupiter aus betrachten zu können: Tausend, hatten die Astronomen da oben am 13. April ein interessantes Schauspiel!“

Und da waren auf einmal die Sterne an der Reihe. Herr Heinrich wurde dabei sehr gesprächig. Er zeichnete uns auch auf, welchen Weg der Mars am 13. April genommen. Aber warum die Astronomen auf dem andern Stern so zu beneiden waren, das habe ich nicht verstanden. Und dann sprach er nur immer von Millionen Meilen, von Millionen Jahren, daß mir nur so schwindelte.

„Was quält Dich denn, Lisa,“ frug Onkel, „Du siehst so ganz bestürzt aus?“

„Ich denke an den Jüngsten Tag. Wenn Alles so weit aus einander liegt, wie sollen die Todten sich alle auf einer Stelle versammeln können?“

„Kind,“ ruft Tante ärgerlich, „Du mengst doch Alles durch einander – das hat doch mit der Astronomie nichts zu thun, dafür hat man den Glauben.“

Nachts aber hat mich das doch sehr gequält. Wenn man sich die Millionen Meilen und Millionen Jahre erst anfängt vorzustellen, kann man nicht ruhig einschlafen. Mein Trost ist nur Herr Heinrich. Er, der das Alles so genau weiß, scheint ganz ruhig und vergnügt.

(Fortsetzung folgt.)




Mahnungen aus den Hochalpen.

Von Heinrich Noë.

Es sind nunmehr nahezu zwanzig Jahre verflossen, daß sich der berühmte Chemiker Justus von Liebig an einem herrlichen Sommermorgen zu Höhlenstein befand, dort am Zugange zum Ampezzaner Thal, von welchem damals in der weiten Welt noch wenig gesprochen wurde. Um den Gelehrten hatte sich eine zahlreiche Gesellschaft versammelt. Alle schauten nach dem glänzenden Eisfelde des Monte Cristallo, und die Worte, welche der große Kenner der Natur zeitweilig fallen ließ, klangen an dieser Stätte wie eine Bergpredigt. Neben dem Monte Cristallo fiel am meisten die rhombische Säule des Piz Popena in die Augen, ein ungeheures Prisma, an dessen Steilwänden sich nur an sehr wenigen Stellen ein wenig Schnee oder Eis zu halten vermochte. Es war die Rede davon gewesen, daß vor wenigen Tagen ein unternehmender Tourist aus Wien einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, den höchsten Zacken der obersten Randecke dieses furchtbaren Berges zu erreichen.

Ich schalte hier nochmals die Bemerkung ein, daß fast zwei Jahrzehnte seit jenem Tage verflossen sind. Damals hatte noch kein menschlicher Fuß sene Höhe erreicht, heut zu Tage ist sie schon von Frauen betreten worden.

„Ich möchte doch eigentlich wissen, was ein Mensch dort oben zu suchen hat,“ sagte ein behäbiger Herr der Gesellschaft,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_672.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)