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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

indem er von seiner Cigarre einen bläulichen Rauch in die Höhe blies.

Manche hätten vielleicht hierauf sofort etwas zu erwiedern gehabt. Sie schwiegen aber, weil sie dem Worte des Gelehrten nicht vorgreifen wollten. Als dieser sah, daß Niemand antwortete, sagte er lächelnd:

„Ich könnte mir verschiedene Dinge denken, über die man an einem solchen Orte etwas zu lernen vermöchte.“

Diese Bemerkung gab den Uebrigen das Zeichen, mit allerhand Weisheit herauszurücken, mit welcher sie bis dahin zurückgehalten hatten. Einer wußte von den Bereicherungen der Witterungskunde, ein Anderer von botanischen Eroberungen, ein Dritter vom Einblick in die Lagerungen und die Faltung der Erdrinde, ein Vierter einfach über die Vermessung der Oberfläche des Landes Lehrreiches vorzutragen. Auch wurde der Schweizer Alpenschriftsteller Tschudi herangezogen und nach ihm behauptet, daß hier ein titanischer Zug vorliege, welcher den schwach ausgerüsteten Menschen antreibe, einen Sieg über die rohesten Hindernisse der Natur anzustreben. Ein Schöngeist erinnerte an Jean Paul, welcher die Berge als Schemel bezeichnete, auf welche das Kind steigt, um besser in das Gesicht der Mutter schauen zu können. Wieder ein Anderer meinte, es sei diese Bergsteigerei und Kletterei weiter nichts, als eine im .Darwinistischen Sinne weiter entwickelte Form alten Höhendienstes. Einer vertrat auch einfach den Sport, indem er sagte, es gebe keine andere Uebung, bei welcher der Mensch gezwungen wäre, in gleicher Weise Alles zu verwerthen, was er an Mitgift von Muskelstärke, Muth, Beharrlichkeit und Vorsicht besäße.

Man konnte unsere Gesellschaft einen Dekamerone im kleinen Stile nennen. Bald rückte jeder mit Anekdoten heraus, welche seiner Auffassung der Sache als Beleg dienen sollten.

Ein Botaniker – dessen Namen ohne besondere Ermächtigung verschwiegen bleiben mag – meinte:

„Vermuthlich hat Jeder der Herren Recht. Die Sache hat noch mehr Seiten, als der Piz Popena dort oben Kanten. Es wäre mir nicht schwer, auf meine eigenen Arbeiten hinzuweisen, worin ich hier und dort vom Einfluß der Kälte oder Feuchtigkeit, der Höhe und der Besonnung auf die Abartung der Pflanzen, auf deren Geschichte, auf ihren Zusammenhang mit den Gewächsen der arktischen Zone und Aehnliches, wie ich hoffen will, nicht ohne alles Ergebniß, gehandelt habe. Ein Herr Kollega mag Versteinerungen finden, ein anderer den Luftdruck oder die Bewegung der Gletscher studiren – das wird ja Alles seine Berechtigung haben. Ich für meinen Theil aber ziehe es vor, bei der Wahrheit zu bleiben und zu sagen, daß es immer ganz profane Dinge waren, die mir selbst bei solchen Unternehmungen als die Haupttriebfedern erschienen. Ich gestehe es rundweg ein, daß mir die Wissenschaft dabei nur so nebenher mitging, etwa so, wie es heut zu Tage allerlei Ferienreisende giebt, die sich zum gelegentlichen Photographiren präparirte Platten in einem leichten Tornister mitnehmen, der sie übrigens zu nichts verpflichtet. Die Herren wissen, daß ich selber in einem Berglande wohne. Ich bekenne offen, daß ich noch nie eine Alpenfahrt angetreten habe, ohne daß sich vorher ungefähr Folgendes zugetragen hat. Ich muß an einem klaren Abend oder Morgen, der andauerndes schönes Wetter verheißt, am Fenster stehen und auf irgend einen unserer Hochgipfel, wo es sich eben aus der Wolkenhülle heraus lichtete, hinaufschauen. Dann lockt es mich. Es zieht mich der Gedanke fort, wieder einmal die Welt von oben herab zu betrachten. Wie man mitunter Sehnsucht nach einem Feiertage verspürt, so zieht es Einen nach der Höhe. denn die Stunden, die dort oben zugebracht werden, sind ja Feiertage in unserem Dasein. Ist viel Mühsal und sogar unter Umständen ein wenig Gefahr dabei, so wird uns Solches in derartiger Stimmung nicht abschrecken, denn Mühsal und Gefahr sind die Schranken, welche einen derartigen Genuß vom großen, gewöhnlichen Troß der Menschen fernhalten. Beinahe läßt sich sagen, daß die Bequemlichkeit und der Mangel an nicht vorauszusehenden Zwischenfällen in umgekehrtem Verhältnisse stehen zu der äußeren und inneren Stärkung und zum Glanz der Erinnerung, die wir von einer Bergreise heimbringen. Je glatter Alles abläuft, desto weniger Wirkung bringt ein Gang in uns hervor und desto rascher verwischt er sich aus dem Gedächtniß. Ich muß also sagen, daß der unmittelbare Antrieb zu solchen Wanderungen bei mir doch stets mehr aus der Empfindung und aus dem Gemüthe hervorging, als aus irgend welchem theoretischen Bedürfniß.“

„Es freut mich, einen wackeren Kollegen zu finden, der in dieser Hinsicht der Wahrheit die Ehre giebt,“ erwiederte der große Chemiker. „Als Naturforscher könnte ich wohl die eine oder andere kritische Bemerkung anbringen, die ich aber gegenüber dem Ausdruck menschlicher Empfindungen unterlasse. Wäre ich nur um etliche Jahre jünger, ich nähme es wohl selbst mit einem der Thürme dort oben auf, in deren Zwischenräume sich das dichte Gewölk jetzt gleich einem abstürzenden Wasserfall hineinzwängt.“

Der Botaniker sagte: „Die Stunde wäre nicht glücklich gewählt. Aus der Bewegung der Wolkenstreifen, die sich dort um den Grat herumziehen, erkenne ich, daß Einer jetzt gerade ein schlimmes Viertelstündchen dort zubrächte. Dort rast es, daß er sich an den scharfen Klippen festhalten muß, während über und neben ihm die losgelösten Steine rasseln. Der wilde Pfarrer, den die Einbildungskraft des Volkes auf diese Höhe versetzt, spielt jetzt seine Geige.“

Die Rede kam nunmehr auf die verschiedenartigen Fährlichkeiten des Hochgebirges. Das Gespräch wurde lebhafter.

Unser Botanikus wurde gefragt, ob er jemals in seinem Leben eine gefährliche Bergreise unternommen habe.

„Auf diese Frage,“ sagte er nach einigem Nachdenken, „kann ich keine bestimmte Antwort geben. Wenn sie so gemeint war, ob ich jemals ernstliche Gefahren auf dem Gebirge ausgestanden habe, so sage ich: ja. Soll ich aber sagen, ob der nämliche Gang stets unter allen Umständen ein gefahrvoller sein mußte, so antworte ich mit Nein. Es waren eben besondere Verhältnisse, welche das Gefährliche, oder vielmehr das Abenteuerliche, herbeiführten. Das Nämliche gilt wohl im Allgemeinen für die gesammte Unglückschronik der Alpen. Wir haben Gipfel, deren Ersteigung einen ganzen Mann erfordert, auf welchen sich noch niemals ein unglücklicher Zwischenfall abspielte, und andere, die man durch einen Spaziergang erreicht, welche aber durch allerlei Unglücksfälle schier in übeln Ruf gekommen sind. Bei einer der ersten Ersteigungen des gewaltigen Triglav in Krain wurden mehrere der Reisenden auf der Spitze vom Blitze erschlagen. Seit der Zeit haben zahllose Besteigungen stattgefunden , ohne daß jemals wieder eine Hiobspost von diesem Berge ins Land gedrungen wäre. Ein Tauernübergang ist das eine Mal eine Spielerei, während er das andere Mal ganze Gesellschaften in Todesnoth gebracht hat. Mancher Berg, welcher jetzt von Volk aus aller Herren Ländern überlaufen wird, wurde von früheren Ersteigern nur unter unsäglichen Mühseligkeiten und Gefahren erobert. Jedenfalls ist es bei der Beurtheilung, ob diese oder jene Spitze gefährlich ist, mindestens eben so nothwendig, die Launen des Himmels, den dermaligen Zustand der Schneebedeckung, die Frage, ob Früh- oder Spätsommer, in Berücksichtigung zu ziehen, wie die plastischen Umrisse des Berges. Das Allerwichtigste bleibt aber die Frage nach dem Menschen selbst, der die Reise unternehmen will, denn der Satz, daß Jedermann seines eigenen Schicksals Schmied ist, bewährt sich nirgends zutreffender als im Kampfe mit den Gewalten des Hochgebirges.“

Der Botanikus schwieg eine Weile. Mehrere aus der Gesellschaft baten ihn, uns die Erzählung irgend einer seiner abenteuerlichen Fahrten zum Besten zu geben.

Er besann sich nicht lange, sondern erwiederte bald, daß es ihm nirgends schlimmer ergangen sei, als bei einer Besteigung des –kogels.

Ich unterlasse es hier, den vollen Namen dieser prachtvollen Spitze beizusetzen. Sie ist seither in die Mode gekommen, und es könnten sich Leute finden, die in einem solchen Berichte eine ungerechtfertigte Anschwärzung eines harmlosen Berges erblickten. Im Uebrigen thut auch der Name wenig zur Sache.

Der Botanikus begann:

„Ich hatte im Anfang des Sommers auf dem hohen Gebirge sowohl auf der Süd- als auch auf der Nordseite den Samen einiger Silenenarten eingesetzt, weiche noch in der Schneeregion gedeihen. Nunmehr wollte ich in schon weit vorgerückter Jahreszeit nachschauen, wie weit sich die Pflanzen auf der Mittagsseite im Verhältniß zu jenen auf der Schattenseite entwickelt hätten. Ich hoffte, eine lehrreiche Erfahrung über den Einfluß des Sonnenlichtes in jener Höhe zu gewinnen. Es war schon Ende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_674.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)