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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Wie in der Schule, so darf auch bei der Prüfung weder Stand noch Rang gelten; hier heißt es: gleiches Recht für Alle. Anstatt den Klassenhaß zu schüren, wird demnach eine gerechte öffentliche Prüfung denselben mindern, und wie früher, so ist auch jetzt noch für viele Familien der Tag der Schulprüfung einer der wichtigsten Tage des ganzen Jahres. Fällt dieser Tag weg, so wird die Trennung zwischen Schule und Haus eine immer größere. Was will man denn an Stelle der Prüfungen setzen? Da hat man vorgeschlagen, es möge von Zeit zu Zeit den Eltern gestattet sein, dem Schulunterrichte beizuwohnen. Welche Störungen des Unterrichts würden aber damit verbunden sein. Und würden diese Besuche aber auf einige bestimmte Tage verlegt, so dürfte in der Schulstube kaum Raum dafür sein; es müßte der Schulsaal benutzt werden, und wir wären wieder bei den öffentlichen Prüfungen angelangt. Andere wollen dieselben einfach abschaffen und halten es für unnöthig, dafür einen Ersatz zu bieten. Es haben sich dies auch manche Gemeinden bereits gefallen lassen. Wir können uns aber kaum denken, daß dies als ein Zeichen des Interesses für die Schule gelten kann. Andere Gemeinden, namentlich in Sachsen, werden sich’s nicht so schnell gefallen lassen. Und gerade die, welche gern zu den größten Opfern für die Schule bereit sind, werden sich am schwersten entschließen, eine Einrichtung aufzugeben, die – in rechter Weise ausgeführt – so großen Nutzen gestiftet hat.




Der Unfried.

Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)

Der Kamerad Karli’s aus dem Oberisarthal kannte die Kuni, wenngleich er sie seit mehreren Jahren, seit dem Begräbniß ihrer Mutter, nicht mehr gesehen hatte. Das wäre eine saubere stattliche Frau gewesen, die „Bachwirthin“; nur hätte sie „allweil so viel traurig“ in die Welt geschaut. Alle Leute wären ihr gut gewesen und hätten ihr schließlich das Sterben wie eine Erlösung vergönnt; denn bei ihrem Manne, der eine gewisse Berühmtheit als der größte Grobian des ganzen Thales genossen, hätte sie es nicht zum Besten gehabt; von dem hätte sie mehr Schimpfnamen als gute Worte, mehr Schläge als gute Bissen bekommen. Die erste Frau war ihm ganz plötzlich weggestorben, und da hatte er sich seiner Wirthschaft und seiner zwei kleinen Buben willen zu einer neuen Heirath entschließen müssen. Aber im ganzen Umkreis des Thales hatte er keine Dirne gefunden, die es mit ihm hätte wagen mögen. Da war er dann einmal ein paar Wochen verschwunden und hatte zur Ueberraschung des ganzen Dorfes eine bildsaubere, blutjunge Frau von irgend woher mit nach Hause gebracht. Mit fleißigen Händen hatte die junge Bachwirthin zugegriffen, hatte die verlotterte Wirthschaft recht „auf den Glanz“ wieder hergerichtet und hatte durch ihr stilles, freundliches Wesen die Gäste „haufenweis“ in ihre Schenkstube gezogen. Ein paar Monate war nun die Sache ganz gut gegangen. Als aber erst der Bachwirth etwas von einem verschwiegenen Heirathsgut zu merken begann, das ihm die junge Frau mit in die Ehe gebracht, da nahm’s mit dem Frieden ein Ende. Von dem Tage, an welchem die Bachwirthin der Kuni das Leben geschenkt, hatte sie keine gute Stunde mehr – ausgenommen ihre letzte. Und von der Art und Weise, wie der Bachwirth mit der Mutter umsprang, lernten es die beiden Buben, ihre jungen Fäuste auf Kuni’s Rücken zu üben. Sie ging noch nicht in die Schule, da kannte man sie im ganzen Dorfe nur mehr unter dem Namen „das Prügeldeandl“. Bei solchem Leben war es völlig zu verwundern, daß nicht ein Krüppel aus ihr wurde, sondern eine so saubere, musper[1] gewachsene Person. Sie war noch nicht siebzehn Jahre alt, da fingen schon die Burschen an, ihr nachzusteigen. Wenn einer von ihnen aber mit einem Antrag herausrückte, lachte sie ihm ins Gesicht, huschte in die Küche hinaus und tätschelte ihrer Mutter die eingefallenen Wangen. Jede solche Abfertigung trug ihr aber einen bösen Dank von sechs gesunden Fäusten ein; denn der Bachwirth und seine Buben hätten es gerne gesehen, wenn ihre Tischrunde um einen hungerigen Magen ärmer geworden wäre. So arg sie es aber auch mit ihr trieben, dennoch gelang es ihnen nicht, ihr das Leben im Hause, das Bleiben bei der Mutter zu verleiden. In Kuni’s Meinung schien die Welt überhaupt nur von zwei Menschen bewohnt: von der Mutter und von ihr. Diese Dinge spielten sich so fort, bis die Bachwirthin ganz unerwartet zu kränkeln begann. Der Doktor vermochte ein bestimmtes Leiden an ihr nicht zu erkennen, und dennoch wurde die Sache immer schlimmer. Tag und Nacht wich Kuni nicht von dem Bette der Mutter, und als die Bachwirthin trotz aller dieser aufopfernden Pflege eines Tages die Augen schloß, um sie nie wieder aufzumachen, gebärdete sich Kuni in ihrem Schmerze wie eine Verrückte. Man mußte sie, als der Sarg gebracht wurde, mit Gewalt von der Leiche reißen. Zwei Tage später aber, als die Bachwirthin zur ewigen Ruh’ getragen wurde, da schien ihr Schmerz sich ausgetobt zu haben.

„Denn ’s Deandl ist dag’standen, kein’ Rührer net hat’s ’than, wie wenn’s von Stein wär’ auf und auf,“ erzählte der Oberisarthaler. „Kein’ Greiner net hast g’hört von ihr, die Zähn’ hat s’ über einander ’bissen, g’rad auf in d’ Höh’ hat s’ allweil g’schaut, und net a Zährl is in ihre Augen g’wesen. Und nachher, bei der Todtenmess’, da hat man s’ noch g’sehen, ganz z’hinterst in der Kirch’. Wie aber nach der Mess’ der Bachwirth mit die Leut’ heim’gangen is zum Schmaus, da war kein’ Kuni nimmer da – und seit der Zeit hat man ’s Deandl daheim im Ort nimmer verschaut mit kei’m Aug’ net. Und erst zwei Jahr’ danach, selbigsmal, wie der Schnaps über’n Bachwirth Herr worden is, und wie man nachher d’ Hinterlassenschaft ausg’schrieben hat, da is a Brief von der Kuni ’kommen. Auf Alles thät’ s’ verzichten, hat s’ geschrieben – und ’s ganze Dorf hat sich krank g’lacht über den Brief, bloß die zwei Bachwirthbuben haben sich g’ärgert, daß ihnen d’ Haar’ aufg’stiegen sind – so spöttisch hat er sich g’lesen! Ja, und der Brief is aus Rosenheim g’wesen.“

„Was? Was is? Was habt’s da g’redt?“ mischte sich der Rosenheimer ins Gespräch, als er seine Heimath nennen hörte.

„Ah, nix, g’rad von ei’m Deandl is d’ Red’ g’wesen, von ei’m Deandl aus mei’m Ort daheim, Kuni Rauchenberger heißt’s.“

„Kuni Rauchenberger? Jetzt den Nam’, mein’ ich, hab’ ich auch schon g’hört. Und hast net g’sagt, sie hätt’ sich bei mir daheim in Rosenheim aufg’halten? No freilich, jetzt denk’ ich mir auch, daß ich s’ kenn’. So eine von der mittlern Größ’ – net? Schön mollet beim Zeug, a mudelsaubers G’sicht, kohlschwarze Augen und a Bißl fuchsige Haar’? Hab’ ich Recht? No also, das kann so kein’ Andere net sein als wie die Kuni, dieselbig, wo durch a paar a drei Jahr’ bei’m untern Bräu drunten Kellnerin g’wesen is!“

„Was? A Kellnerin?“ fuhr Karli auf.

„Ja, und was für eine! Die hat ihr G’schäft verstanden, wie wann s’ schon mit ’m weißen Schurz auf d’ Welt ’kommen wär’! Bei’m untern Bräu is d’ Stuben allweil voller Leut’ g’wesen, da hat er jetzt a gut’s oder a schlecht’s Bier haben dürfen. Sein’ Kellnerin hat allweil ’zogen. Weißt, die hat Dir so a g’wisse Art g’habt, b’sonders, wenn s’ g’rad beim richtigen Hamur war. An anders Mal freilich wieder, da hat s’ Dir ihre Täg’ g’habt, wo kein’ Silben net ’raus ’bracht hast aus ihr, und wo s’ Dir ein’ Jeden g’rad so ang’schaut hat über d’ Achsel. Aber natürlich, g’rad so ’was hat bei die Leut’ verschlagen. Es hat sich auch schier a Jeder verschaut in ihre Teufelsaugen – ja – ich selber bin amal a Zeitl so dumm g’wesen. Aber mir is halt ’gangen wie den Andern – für an Jeden hat’s den gleichen, spöttischen Lacher g’habt!“

„Geh’! A Kellnerin! Jetzt so ’was is doch a Bißl hart zum glauben?“ frug Karli in lauernder Spannung.

„No, weißt, das war Dir halt auch a ganz a b’sonderne. Das heißt, Einer is schon allweil zu’kehrt, in der letzten Zeit,


  1. schmuck und kernig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_678.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)