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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

so a Schlari[1], so a g’spaßiger, mit dem man ’s Deandl a Zeit lang z’sammg’redt hat – aber es kann auch nix dahinter g’wesen sein; denn vor der ganzen Stuben voll Leut’ hat’s dem Kerl amal eine ’neing’feuert über’s G’sicht, und hinther hat’s nachher g’heißen, es wär’ ihr Bruder g’wesen. Und d’ Stadtleut’ erst, die hat’s Dir weiters net anlaufen lassen! Und dengerst is Keiner davon ’blieben, weil s’ Dir g’rad ihr Gaudi g’habt haben an ihre g’schnappigen Reden. Und der Bräumeister, natürlich, der hat g’lacht, was er lachen hat können – dem hat’s am besten ’taugt! Dafür hat er aber nachher auch im Schrecken d’ Händ’ über’m Kopf z’sammg’schlagen, wie’s Deandl im letzten Herbst amal über Nacht auf und davon is, und wie nach a paar Wochen d’ Fliegen in seiner Wirthsstuben die einzigen Zehrgäst’ g’wesen sind. No, und d’ Leut’, die haben a Zeit lang g’redt davon; nachher hat kein Mensch mehr ans Deandl ’denkt. Und da kannst Dir jetzt fürstellen, was man für Augen g’macht hat, wie ’s Deandl heuer im Frühjahr über Nacht auf amal wieder da war. Der Bräu, natürlich, der hat’s aufg’nommen mit offene Arm’, und es is auch die alte Gaudi gleich wieder an’gangen. Aber ich weiß net, der richtige Zug is dengerst nimmer dabei g’wesen. Mir scheint, sie hat die alte Schneid’ nimmer g’habt zu ihrem G’schäft, und kein’ Freud’ mehr d’ran. A paar Monat’ hat sie sich g’halten; nachher hat s’ wieder auf’künd’t – und es heißt, sie wär ins Reichenhallerische ’nein. Wer weiß, ’leicht hat sie sich auch g’ärgert über d’ Leut’. Sie wird halt ’was von dem G’red’ erfahren haben, wo selbigs Mal im Ort um’gangen is – no ja – wie d’ Leut’ halt reden! Aber ich glaub’s amal net, denn wann ich mir denken will –“

Was sich der Rosenheimer denken wollte, sollte Karli nicht mehr erfahren; denn eben stimmte die Blechmusik mit schmetternden Klängen eine Münchner Volksweise an, und dazu erhob sich von allen Tischen ein johlender Gesang:

So lang’ der alte Peter,
Der Petersthurm noch steht …“

Säbelgerassel, lautes Klappern der zinnernen Krugdeckel und taktmäßige Stockschläge begleiteten diesen Gesang.

Einer von den wenigen Gästen des Schimmelwirthgartens, die bei diesem Gesange nicht mitthaten, war Karli. Er saß mit aufgestützten Armen und schaute mit finsteren Augen auf seinen Krug. Dann plötzlich fuhr er tiefaufathmend auf. Doch blieb er noch eine Weile sitzen, bevor er sich erhob, um sich ohne Abschied von seinen Kameraden davon zu schleichen.

Jetzt wußte er, was er dem Vater schreiben sollte. Mit glühendem Kopfe, erhitzt von dem überraschen Gange und zitternd vor Aufregung erreichte er die Kaserne. Er warf Mütze und Waffenrock bei Seite, suchte den angefangenen Brief hervor und setzte sich wieder ans Fenster.

„Mein lieber Vater!“ flüsterte er seufzend vor sich hin. Dann begann er zu schreiben, zuerst langsam, aber rascher und rascher kritzelte und kratzte seine Feder über das von den Händen der Kameraden beschmutzte und zerknitterte Blatt. Zuerst verallgemeinerte er den Fall und stellte dem Vater in wirklich herzlichen Worten vor, was eine Heirath in seinen Jahren zu bedeuten habe. Und nun gar eine Heirath mit einer Dirne, die den Jahren nach seine Tochter sein könnte! Und was die Leute dazu sagen würden, die bisher vor der „Hochehrensamkeit“ des Pointnerhofes den Hut auf die Erde gezogen. Und gar nicht zu reden davon, was er mit dieser Heirath einem Gewissen zufüge, der freilich mit seinen „hitzigen Händen“ das Recht zum Reden verspielt hätte – „aber doch, daß es mir mein lieber Vatter verzeihen wird, weil ich mir allweil noch zu sagen trau, daß es mein lieben Vater auch nicht anders ankommen wär, wenn ihm der liebe Ahnl selig auch so hätte gmacht, und nur so für der Thür hinsetzen und ein Tritt und zugeschlagen, wo ein drinnen sliebe Mutterl selig in Schmerzen gebohren hat.“ Und während er diese Worte schrieb, fiel ihm eine dicke Thräne auf das Blatt; er suchte sie mit dem Handballen fortzuwischen und verlöschte dabei die nasse Schrift. Seufzend fuhr er sich mit dem Aermel über die schweißbetropfte Stirn, schluckte ein paarmal, trocknete die Augen und kritzelte mit zitternden Fingern weiter. „Und überhaupts, wenn mein lieber Vater leicht glaubt, daß ich so bin und vom Heirathen überhaupts nicht wissen will, wenn es eine vom Ort is, und wo zu mein lieben Vatter passen thut und man eine Achtung haben kann. Aber das ist was anders, und weil es mir mein lieben Vatter zlieb schier das Herz abdruckt, wenn man sieht, daß es so Eine ist eine solchene. Wo man im Schimmelwirth beim Bier davon reden hört, was das für Eine ist. Einmal schon diese Familli, wo man sich schamen muß, wenn man mit ihnen beineinander kommt, wo sich der Vater in Schnaps versoffen hat, und die miserabligen Brüder, wo ihre Stiefmutter schiergar umbracht haben und die Schwester nicht viel mehr. Dann auch weil die Kuni überhaupts keinen ehrlichen Namen nicht hat und bis über ihrene Ohren roth werden muß, wenn man sie nach ihrem Vater fragt. Und daß ich nur mein lieben Vater verzähle, wo er sie fragen kann, ob sie nicht durchbrennt ist und hat in Rosenheim eine Kellnerin gmacht. Und das weiß man schon daß eine Kellnerin nichts ist, nur ein Handüchl für ein Jeden seine Händ, wo er sich dran hinbutzt. Wo man auch in Rosenheim nur nachfragen braucht, was dLeut reden –“

Karli stockte; es war ihm, als hätte sich eine Hand mit schwerem Druck auf seine Finger gelegt, um ihn am Weiterschreiben zu hindern. Mit verdrossenem Gesichte schaute er auf, und während er durch das Fenster nach dem Himmel starrte, verschwamm ihm allmählich das lichte Blau in eine trübe, graue Fläche, aus welcher er Kuni’s Gestalt emportauchen sah. Drohend schaute sie ihn an – nein, nicht drohend – mit dem Ausdruck unsagbarer Traurigkeit. Und das war auch die Kuni nicht, das war ein Kind, ein kleines Mädchen mit röthlichen, zerzausten Haaren, mit einem schmalen, blassen Gesichtchen, auf dessen Wange sich blutige Nägelspuren zeigten. Es trug nur ein rothes Unterröckchen und hielt mit den kleinen Händen das Hemdchen dicht an den Hals gezogen – dann plötzlich streckte es die zitternden Aermchen in Zorn und Angst von sich, und da fiel ihm das Hemdchen über die Schultern, welche bedeckt waren mit blauen Striemen. Und nun mit einem Male stand an des Kindes Seite eine bildsaubere junge Frau, mit „so viel traurigen“ Augen, und das Prügeldirnlein flog auf die Mutter zu, krampfte die Aermchen um ihre Kniee, drückte das Gesichtchen in ihren Schoß und schluchzte und schluchzte –

Hastig neigte Karli den Kopf, und in ungelenken Zügen schrieb er mit schwerer Hand noch die Worte an den Brief: „Aber ich glaube, daß es genug ist und das man lieber Vater sich daß überlegen wird. Und indem ich mein lieben Vater aus das Beste grüße, verbleibe ich mit den herzlixten Grüßen mein lieben Vater bis in den Tod – sein – lieber Karli.“

Aufathmend sprang er in die Höhe und behauchte den Brief so lange, bis die Tinte völlig eingetrocknet war. Dann verschloß er ihn und rannte aus der Kaserne, um den nächsten Briefkasten zu suchen. Und da kam’s ihm nun wieder so in die Augen – und auf dem ganzen Wege brachte er dieses Bild nicht mehr aus den Gedanken, dieses zerraufte, zerschlagene Dirnlein. Welch ein entsetzliches Leben – das Leben dieser Mutter und dieses Kindes! Da war es ja wirklich zu verwundern, daß eine „so saubere, musper gewachsene Person“ aus diesem Kinde geworden, und nicht ein Krüppel! Oder war es unter dem grausamen Drucke dieser bitteren Jugend nicht am Ende doch zum Krüppel verwachsen – zum Krüppel an Herz und Seele – zu einem Krüppel des Glückes, mit dem man sein Erbarmen haben mußte, statt in Zorn und Haß mit ihm zu rechten? Zu rechten – und weßhalb? Geschlagen und gepeinigt bis aufs Blut, und dann verlassen von Gott und Menschen, umhergestoßen in fremder Welt, ohne Trost und Rath – war es denn nach solch einem Leben zu verwundern, daß sie mit beiden Armen sich an einem Orte festzuklammern suchte, an dem sie zum ersten Male sich wohl und behaglich fühlte, an welchem sie etwas galt, an welchem sie nur lachende Gesichter gesehen, nur freundliche Worte gehört? Freilich hätte ihr die Dankbarkeit einen andern Weg zeigen sollen als jenen, welchen sie für ihren Zweck gewählt – so meinte Karli. Und Eines – Eines war unter gar keinen Umständen an ihr zu entschuldigen: die schlaue Scheinheiligkeit, mit der sie es zu vertuscheln verstanden, was zwischen ihr und dem Vater im Gange war. Die Sache mußte ja doch seit Langem reif gewesen sein; sonst hätte sie an jenem Unglücksmorgen nicht so Knall und Fall über ihn herplumpsen können, gerade in der Stunde, in der er sich durch seine „unsinnige Einbildung“ vor Kuni’s Augen in


  1. ein unnützer, fauler Bursche.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_679.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)