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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

den Anschein der lächerlichsten Eitelkeit gebracht hatte. Aber mochte sie nun auch so grundschlecht gehandelt haben, wie keine Andere gehandelt hätte – ein gutes und gesundes Fleckchen mußte ja dennoch in ihrem verkrüppelten Herzen sein, sonst hätte sie nicht mit solch einer abgöttischen Liebe auf Leben und Tod an ihrer armen Mutter hängen können.

Da gewahrte Karli an einer Mauerecke den gesuchten Briefkasten. Hastig schob er den Brief in den schmalen Spalt. Doch als er ihn mit leisem Knistern niederfallen hörte, zwängte er gewaltsam die zitternden Finger unter die Klappe, als hätte er den Brief noch einmal erhaschen mögen. Der aber lag schon in der unerreichbaren Tiefe des Briefkastens.

„Meintwegen – jetzt kann ich’s auch nimmer anders machen!“ murrte Karli und wanderte zögernden Schrittes zur Kaserne zurück.

Am andern Morgen erfolgte der Abmarsch ins Lager, und es kamen Tage, deren Aufregung und Strapazen dem Burschen nur selten Einkehr bei sich selbst gestatteten. Und wenn er wirklich einmal mit einem ruhigen, bewußten Gedanken an die Dinge zu Hause dachte und darüber grübelte, welche Wirkung sein Brief wohl auf den Vater geübt haben könnte, dann überkam ihn zumeist ein Gefühl von unbehaglicher Bangigkeit, über dessen Ziel und Ursache er sich keine Rechenschaft abzulegen wußte. Da schüttelte er manchmal gar unwillig den Kopf, schluckte Alles mit Gewalt hinunter, was in ihm aufstieg, und redete sich in eine Hoffnungsseligkeit hinein, die ihm statt des zweifelhaften Gesichtes der Gegenwart nur die Zukunft mit lächelndem Antlitz zeigte.

So war eine Woche vergangen. Als Karli dann eines Nachmittags vom Manövergefechte in sein Quartier einrückte, wurde ihm durch die Post eine kleine Kiste überbracht. Sie kam von Hause und war mit allerlei Fleischwaaren vollgepackt. Auf dem Boden der Kiste fand sich ein kleines Säcklein angenagelt, welches zwanzig Preußenthaler enthielt – und einen Brief des Pointner’s. Er lautete:

„Mein lüber Karli! Da schig ich Dir was zum schnabulüren, weil wir ein Sau gschlacht haben und ein Lampl, das Du mir nicht von Fleisch fahlen dust, mein armer Puab, beim Exerziren und der filen Plag und schlechte Kohst. Und ein bisl Geld auf ein gute Mas Bier und das Dein gschtrengen Herr Wachmeister ein bisl einreiben kannst, daß er Dich beser halten duht. Und so ietz las Dir Schmeggen, und nur gwis nix laß Dir nix abgehen, was Dein alten Vater im Herzen kimmern dät. Sonst get es mir gut, nur das Du nicht da bist, was ich in meiner Draurigeit immer dran denke. Und las Dir kein graus Haar nich waxen, wo ich Dir son verzichen hab. Weil ich kein solchener bin, wo sein liben Son des sein Kann, und daß ich gwis alles Recht mache, das es Dir recht is. Wo es schon einmahl so sein mus, und weis ich auch, daß der lübe god schon noch die Stund kommen last, wo ich mit mein gutten Karli ales dadrüber mit einand ausred, das er sein alten dummen Vater nicht bes ist. Was ich Dir auch schreiben Wil, daß der Stofl gestern auf sein Nas gfallen ist und sich ganz blüedig schlagen hat in Gsicht, grad derweil die Kuni fort is in ihr Heimahd, und das sie Dich schön grießen laßt. Und must nich derschreggen, weil der Schiml, wo Du so hizig gfahren hast, ganz dempfig heim kommen is und leicht grebiern mus. Aber macht nichs und gibts auch ned, das ich zwegen ein lausigen Ros mein liben Karli des sein kunt. Und also mach Dir nigs draus und pfiet Dich Got, mein lieber Bueb, womid ich Dich grisse, und so auch der Getz und ale und insbsonders Dein alter

 dalketer Vater
 mit seim Gsalbader.“

Karli las, und las zum zweiten und dritten Male, und während ihm die hellen Thränen über die Backen rieselten, lachte und lachte er, und das war ein so übermüthig seliges Lachen, wie es ihm wohl selten noch in seinem Leben von den Lippen geklungen war.

Daß sein Brief solch eine rasche, radikale Wirkung üben könnte, hatte er sich denn doch nicht träumen lassen. Wohl kam ihm in des Vaters Brief die eine und andere Stelle etwas dunkel vor. Um so deutlicher las er die Erfüllung seines ganzen Hoffens aus jenen anderen Worten: daß der Vater Alles so richten wollte, wie es seinem lieben Buben recht wäre – daß die Kuni bereits ihren Laufpaß erhalten und lange schon den Weg nach ihrer Heimath genommen. Der Vater hätte ja mit dem besten Willen nicht deutlicher schreiben können! Und wie zufrieden und fröhlich mußte ihn dieser verständige Entschluß gestimmt haben! Das verrieth sich aus dem lustigen Verslein, mit dem der Vater seinen Brief geschlossen. Nach diesem Schlusse konnte Karli die Stelle mit der „Draurigeit“, die ihn anfangs so eigenartig berührt hatte, nur als einen gut gemeinten, aber etwas mißglückten Scherz betrachten. Daß sein eigener Brief vom Vater nicht mit einer einzigen Silbe berührt wurde, das fiel ihm mit keinem Gedanken auf. Die Freude war in ihm zu mächtig, als daß sie ihn hätte zu langem Denken kommen lassen. Daß Alles nun wieder gut wäre, das war sein einziger Gedanke – und der ließ in ihm nur noch Raum für die eine Erwägung, wie lieb der Pointner seinen Buben haben mußte, da er nicht einmal wegen der Geschichte mit dem Schimmel ein hartes Wort für ihn hatte. Daß ihm der Vater die „hitzigen Händ’“ vergessen konnte, daß er die Kuni aus dem Hause gestampert, das waren in Karli’s Augen für die Liebe des Vaters zwei Beweise, die weitaus noch von diesem dritten übertrumpft wurden: daß ihm der Bauer auf der Point den in Zorn und Erregung zu Schanden gehetzten Schimmel verzieh.

In seligem Taumel durchschwärmte Karli die Nacht. Jetzt waren ja Glück und Sanni in seinem Herzen wieder oben auf. Wie im Fluge vergingen ihm die folgenden Tage, und dennoch meinte er, die Stunde der Heimkehr kaum erwarten zu können.

Die Manöver gingen zu Ende; in drei Tagemärschen kehrte Karli’s Regiment nach München zurück, und dann kam der langersehnte Mittag, an welchem er, als der Eiligste von der ganzen Schar der „Urlauber“, aus der Kaserne nach dem Bahnhof stürmen konnte.

Gegen zehn Uhr Abends erreichte er die Endstation seiner Fahrt. Hier nächtigte er, denn er hätte vor zwei Uhr sein Dorf nicht erreichen können, und während es ihm die größere Freude schien, das Wiedersehen bei hellem Sonnenlicht zu feiern, hätte er’s für die unverzeihlichste Sünde gehalten, den guten alten Vater mitten in der Nacht aus dem besten Schlaf zu reißen.

Bei grauendem Morgen brach er auf, nachdem er für die gelegentliche Heimschaffung seines Koffers Sorge getragen hatte.

Rosige Gedanken kürzten ihm den Weg, der hügelauf und hügelab durch Wiesen, Wald und kahle Felder zog. Der Herbst verrieth sich schon in all dem kränkelnden Grün; an manchen Stellen deckte ein dünner Reif die Büsche und das Gras; und die schweren Frühnebel schienen sich untrennbar auf dem Grunde und in den Bäumen verfangen zu haben; dennoch war es Karli zu Muth, als hätte er nie noch einen schöneren Morgen gesehen. Das war ein Morgen, der in seiner Wirkung jenem Abend glich, an welchem über dem Bygotterhäuschen ein Stern sich geschnäuzt hatte. Und wie damals heimwärts auf der offenen Straße, so jodelte und dudelte jetzt Karli durch den Wald dahin. Als er dann seinem Dorfe bis auf eine halbe Wegstunde nahegekommen war, schlug er einen ziemlich beträchtlichen Umweg ein. Auf der Straße mußte man ihn im Pointnerhofe schon von Weitem kommen sehen – er aber wollte den Vater überraschen und so dachte er sich von der Waldseite über die Wiesen in das Haus zu schleichen.

Schon traten die Bäume weiter aus einander und Karli meinte zwischen ihnen bereits den leichtgesenkten Wiesenhang zu gewahren. Da fiel im Dorfe drunten ein Schuß, nun wieder einer, ein dritter und vierter, dann mehrere zugleich, und in das Knattern und Krachen mischten sich kreischende Jauchzer und johlendes Geschrei. Da drunten schien eine Taufe gefeiert zu werden. Aber nein – jetzt trug der bergwärtsziehende Wind auch die Töne von Geigen, Trompeten und Klarinetten, die Klänge eines lustigen Marsches herauf. Das mußte ja eine Hochzeit sein! Und all das hörte sich an, als käme es aus nächster Nähe – am Ende gar aus dem Hofe des Nachbars! Karli lächelte. Er gönnte der Huber-Kathl diese Freude – es war ja bei ihr recht an der Zeit gewesen, daß sie Hochzeit machte. Und wie schnell sich das gegeben hatte, nachdem es doch vor vier Wochen noch nicht den Anschein gehabt hatte, daß es die Kathl durchsetzen würde.

Lächelnd trat Karli unter den Bäumen hervor auf die Wiese – und das Lächeln erstarrte ihm auf den Lippen. Zu seinen Füßen lag das elterliche Haus, der ganze Hofraum war

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_680.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)