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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Dank zurufen konnte. Wahrhaft königliche Worte, wie sie der Monarch nur denen je gesagt hat, die Viel, die Großes zum Ruhme des Vaterlands gethan.

„General von Werder – General von Werder“ flog’s wie Blitzesstrahlen durch die gesammten deutschen Gauen, als er an jenen Tagen am Ufer der Lisaine im Angesicht von Belforts Felsenfeste Bourbaki schlug.

„Le Général de Werder“ ging’s angsterfüllt auch durch des Franzmanns flüchtige Reihen, und was am Leben blieb, das dankte Gott, die Eisenfaust des Generals nicht mehr zu spüren. Sah auch das ganze Deutschland mit Stolz auf diesen Einen seiner besten Sohne, schlug ihm auch jedwedes Herz dankbar entgegen, so waren es doch besonders die Länder an der Grenze, welche am allerwärmsten für ihn fühlten.

Man denke, wenn der alte Löwe nicht Zähne und Pranken so tapfer dem Feinde gezeigt, wenn er unterlegen und der Strom der gallischen Horden uns ins Land gekommen wäre, wie hätten die rheinischen Gefilde beim ersten Anprall des wutherfüllten Feindes dessen frühere Niederlagen und unsere Siege büßen müssen! Und unser weiser Kaiser wußte das; er unterstellte, als Friedenshymnen durch deutsche Wälder klangen, gerade die Truppen dieser Länder dem Kommando des ruhmgekrönten Generals.

„Wie schön die Reben bei Euch stehen!“ sagte von Werder einst zu einem Bauern.

„Das haben wir Euer Excellenz allein zu danken, denn wenn die Bourbaki’schen uns ins Land gekommen wären, nicht eine stünde heute hier!“

Und während sein greiser Kriegsherr, sein ehemaliger Regimentskamerad im Regiment der Garde du Corps und im ersten Garderegiment zu Fuß, in Stettin die alten, mit Kriegesruhm geschmückten Regimenter, Nr. 2, König Friedrich Wilhelm IV., Colberg, Nr. 9 und die rothen Blücher’schen Husaren bei sich vorüber defiliren ließ, da ruhte der tapfere General, der Ehrenbürger der Stadt, von seinem Waffenruhme auf stiller Bahre aus. Einer war wieder dahingegangen, der Deutschlands Ruhm zum höchsten Glanze brachte, der mit nerviger Faust geholfen hat, zum einigen Ganzen es zusammen zu schweißen.

Auf seinem Gute Grüssow bei Belgard, wo der greise Krieger, einfach, bieder, schmucklos, seinem Charakter entsprechend, die letzten Lebenstage in stiller Zurückgezogenheit verbrachte, hauchte er am 12. September, an seinem 79. Geburtstage nach kurzem Krankenlager seine Seele aus. Mancher Ordensstern zierte seine Brust, doch heller als diese strahlt sein Name in der Geschichte. Ewig unvergessen wird er bleiben, so lange noch ein Deutscher jener großen Zeit gedenkt.

Werder’s kriegerische Thätigkeit war mannigfaltig. Schon als Premierlieutenant im Jahre 1842 hörte er während des russischen Feldzuges im Kaukasus die Kugeln pfeifen. Thatendrang und Wißbegierde führten ihn im Verein mit seinem Kameraden von Gersdorff – Ruhm seinem Namen, er starb bei Sedan als Generallieutenant den Heldentod! – zu einer Zeit dorthin, wo seine Altersgenossen in der Armee den Krieg nur vom Hörensagen kannten. Der Wladimirorden zierte seitdem seine Brust, und eine Ehrenwunde am Arme begleitete ihn seit jener Zeit durchs Leben.

Auch bei Gitschin focht er, und ruhmvoll war sein Antheil am Siege von Königgrätz; sonst wäre ihm der Orden Pour le mérite nicht geworden. Als die Kanonen vor Straßburg sprachen, da war es Werder, welcher kommandirte und der nicht locker ließ, als bis die Feste sich ergeben. Am 22. Oktober schickte er die französische Ostarmee mit eisernem Zwangpaß über den Oignon gen Besançon; bei Dijon, Nuits und Villersexel führte er siegreich die Fahnen. Das Eichenlaub zum Pour le mérite und das Großkreuz des Eisernen Kreuzes schmückten ihn dafür! Groß sind die kriegerischen Verdienste dieses Mannes, aber eben so hoch ist anzuschlagen das, was er der Armee im Frieden war. Jede Stellung, und deren waren es viele, welche ihm sein König übertragen, sah ihn als Soldat, als Mann, als Mensch mit weichem Herzen, starkem Sinn und hellem Blick.

General Graf von Werder wurde am 12. September 1808 zu Schloßberg, Amt Norkitten in Ostpreußen, geboren, entstammte einem niedersächsischen, in Brandenburg angesessenen Geschlechte, trat am 14. Juni 1825 in das Regiment der Garde du Corps ein und feierte im Jahre 1875 sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum, bei welchem ihm der Orden vom Schwarzen Adler verliehen wurde. Am 5. April 1879 wurde er auf sein Ansinnen unter Erhebung in den Grafenstand und unter Belassung als Chef des 4. rheinischen Infanterieregimentes Nr. 30 zur Disposition gestellt.

Ein Ast der alten deutschen Eiche ist wiederum gefallen, es schmerzt das Land – es schmerzt den Kaiser; doch Zagen ist uns fern, denn junge Sprossen treibt der alte Stamm!




Blätter und Blüthen.

Goethe’s Minchen. (Mit Illustration S. 687.) Außer den unsterblichen Mädchen- und Frauengestalten, die unser großer Dichter geschaffen, gehören auch der Litteraturgeschichte jene Mädchen und Frauen an, die ihm im Leben begegnet, die kürzere oder längere Zeit seinem Herzen nahe standen und seine Phantasie zu ihren unsterblichen Schöpfungen anregten. Zu diesen gehört auch Wilhelmine Herzlieb, die Pflegetochter des Frommann’schen Hauses in Jena: man kannte bisher einige dichterische Huldigungen, die ihr Goethe gewidmet, aber über ihr eigenes Empfinden gegenüber dem Dichterfürsten fehlten alle Mittheilungen; Wilhelmine hatte keine schriftstellerischen Neigungen; ja sie war, wie ihre Hausgenossen berichten, „entsetzlich schreibfaul“, führte also auch keine Tagebücher, in denen sie die Chronik ihrer Erlebnisse, ihre Stimmungen und Gefühle niederlegte. Gleichwohl ist es einem Goethe-Forscher, Karl Theodor Gaedertz, gelungen, 6 bisher ungedruckte Briefe des Mädchens aufzufinden, die er in einer Schrift „Goethe’s Minchen“ mit dem bisher unbekannten Portrait derselben veröffentlicht hat (Bremen, Müller). So tritt uns Wilhelmine Herzlieb, die bisher in einem gewissen geheimnißvollen Dunkel geblieben, menschlich näher; denn der Stil ist der Mensch, und einige Zeilen dieser Briefe geben auch einen Einblick in ihr Empfinden und zeugen von dem oft bestrittenen Antheil, den sie dem Dichter schenkte, von der Neigung, die sie ihm entgegenbrachte.

Wilhelmine Herzlieb war am 22. Mai 1789 zu Züllichau geboren als Tochter des dortigen Superintendenten. Ihre Eltern starben frühzeitig und sie kam 1798 in das Haus des Buchhändlers Frommann, der damals von Züllichau nach Jena übersiedelte. Hier lernte Goethe das artige Kind kennen und widmete ihm die folgenden Verse:

„Als kleines artiges Kind durch Feld und Auen
Sprangst du mit mir so manchen Frühlingsmorgen;
Für solch ein Töchterchen mit holden Sorgen
Möcht’ ich als Vater segnend Häuser bauen.
Und als du anfingst, in die Welt zu schauen,
War deine Freude häusliches Besorgen:
Solch eine Schwester und ich wär’ geborgen;
Wie könnt’ ich ihr, ach wie sie mir vertrauen.“

Doch das Kind erwuchs zur Jungfrau, „zur lieblichsten aller jungfräulichen Rosen“; das Portrait, von Johanne Frommann, der Pflegemutter, kurz vor der Zeit gemalt, ehe Goethe’s Herz sich dem schönen Mädchen zuwandte, dies bisher unbekannte Portrait giebt uns ein Bild von der Art und Macht ihrer Schönheit. „In der That,“ sagt Gaedertz, „liegt ein ganz eigenthümlicher Duft über dem wunderholden engelgleichen Angesicht ausgegossen; anmuthig und thaufrisch sind die kindlich reinen Züge; die großen dunkelbraunen ‚Augen‘ – mehr sanft als freundlich und feurig – schauen unschuldsvoll fragend drein; klein und köstlich sind die rosenrothen Lippen; schwarzes reich geringeltes, in Locken nach vorn fallendes Haar umrahmt den feinen ovalen Kopf und erhöht die Zartheit des Teints; man möchte meinen, eine Madonna vor sich zu sehen. Doch nicht bloß Haupt und Büste, ihre ganze Gestalt war schön, von klassischem Ebenmaß, schlank und biegsam, edel und graziös in allen Bewegungen, die Kleidung stets einfach, aber geschmackvoll; sie liebte schlichte, weiße Kleider, wie wir’s auf dem Bilde sehen.“

Im November und December 1807 verweilte Goethe längere Zeit in Jena: damals war Minna Herzlieb die begeisternde Muse des Dichters; er selbst schreibt 1813 an seinen Freund Zelter, er habe Minna schon als Kind zu lieben angefangen und in ihrem sechzehnten Jahre mehr als billig geliebt. Der Romantiker Werner, der Dichter der „Weihe der Kraft“ und des „Kreuzes an der Ostsee“, war in jener Zeit nach Jena gekommen und hatte Goethe mit der damals grassirenden „Sonettenwuth“ angesteckt. Diese Wuth ergriff den Dichter und die schöne Minna Herzlieb wurde die Heldin dieser Sonette. Da ruft er in dem einen aus:

„Nun kann das schöne Wachsthum nichts beschränken;
Ich fühl’ im Herzen heißes Liebestoben.
Umfass’ ich sie, die Schmerzen zu beschwicht’gen?

Doch ach, nun muß ich dich als Fürstin denken;
Du stehst so schroff vor mir emporgehoben;
Ich beuge mich vor deinem Blick, dem flücht’gen.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_686.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)