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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Meyer’s Konversations-Lexikon.
Die Geschichte eines Buches.0 Von Friedrich Hofmann.

Eine überaus schwierige Aufgabe ist es, das gesammte Wissen der Menschheit, die Thatsachen der Geschichte und die Fortschritte der Neuzeit in einem einzigen Werke zusammenzudrängen, ein Buch zu schaffen, in welchem Jedermann über alles Wissenswerthe eine klare und zuverlässige Auskunft erhält. Seit Diderot’s Zeiten, welcher das Muster aller Realencyklopädien geschaffen, fehlte es zwar nicht an Bestrebungen, ähnliche Werke auch für das deutsche Volk herauszugeben; aber im Laufe

Trachtenbild: Schaube.

der Zeit vermochten nur äußerst Wenige, das hohe Ziel, dem sie entgegenstrebten, zu erreichen. Nur wenige der Realencyklopädien und Konversationslexika bestanden die Feuerprobe der Kritik, und um so mehr verdienen diejenigen Anerkennung, welche sich durch Jahrzehnte die Gunst des Publikums zu erhalten wußten und von Auflage zu Auflage vollständiger und besser wurden.

Bronzestanduhr im Stil Heinrich’s II.
Moderne französische Arbeit.

Zu diesen wenigen gehört unzweifelhaft Meyer’s Konversationslexikon.

Wir haben schon wiederholt der besonderen Vorzüge dieses Werkes gedacht und erst vor Kurzem empfehlend auf die vierte, gerade im Erscheinen begriffene Auflage desselben hingewiesen. Wir möchten jetzt, wo von der neuen Auflage bereits die Hälfte der sechzehn Bände des Gesammtwerkes erschienen ist, unser Urtheil vervollständigen und glauben dies am besten durch die Wiedergabe seiner Geschichte zu erreichen. Spiegelt sich doch in derselben getreu der Geist wieder, welcher den Gründer und die späteren Leiter des Unternehmens beseelte. – –

Der Gründer des Bibliographischen Instituts, Joseph Meyer (geboren in Gotha 1796, gestorben in Hildburghausen 1856), hatte in England seine kaufmännischen Erfahrungen gesammelt und dann in Deutschland auf den Buchhandel dadurch reformatorisch eingewirkt, daß er das Subskriptionswesen und das lieferungsweise Erscheinen größerer Werke einführte: beides, um nicht bloß Massenproduktion zu ermöglichen, sondern vor Allem, um die Mittel zur Bildung der großen Masse des Volks zugänglich und erwerbbar zu machen, getreu seinem Wahlspruch: „Bildung macht frei.“ Wie er diesem Wahlspruch diente, bezeugte gleich sein erstes Verlagsunternehmen: die Herausgabe der sogenannten „Groschenbibliothek der deutschen Klassiker“. Tausende werden noch leben, die mit mir sagen können, daß sie ihre erste Kenntniß von deutscher Litteratur einzig und allein diesen Heftchen verdanken, an die sie freudig ihre Sparpfennige wendeten; waren doch selbst Gymnasien damals noch so beschaffen, daß Professoren derselben äußern konnten, „ein gewisser Schiller sei ebenfalls ein Dichter, der ganz hübsche Sächelchen geschrieben habe“. Als

Schmiedekunst: Schlüssel. Aus dem 17. Jahrhundert.

Meyer’s in Folge der Julirevolution (1830) entstandene Zeitung „Der Volksfreund“ vom Bundestag unterdrückt worden war, schuf er sich eine neue Stimme als Rufer zum Volk: sein weltberühmtes „Universum“ (1832). Und zur Zeit Metternich’s, als Theater- und Bücherkritik noch die einzigen Gegenstände publicistischer Thätigkeit sein durften, wagte J. Meyer mit den Heften seines Bilderbuchs sich ins Volk und benutzte die Textblätter desselben zur Verbreitung liberaler Ideen und humaner Bildung. Eine Auflage von 80 000 Exemplaren in jener Zeit zeugte dafür, daß Meyer für Kopf und Herz der noch nicht Eingeschlafenen im Volke wieder das Richtige getroffen hatte.

Schon damals stand Meyer’s Plan, dem Volke ein Konversationslexikon nach seinem Geist und Wahlspruch in die Hand zu geben, fest; denn ich selbst habe bereits im Jahre 1833 an den Vorbereitungen dazu durch Artikellieferungen mitgewirkt, also sechs Jahre bevor Joseph Meyer (zugleich im Namen seiner Mitredakteure) das vom August 1839 datirte Vorwort dem ersten Bande seines „Großen Konversationslexikons“ Vordrucken ließ, das die Jahrzahl 1810 trägt. Mit dem Anfang des folgenden Jahres trat ich in die Mitredaktion ein und erhielt die zweite Sektion.

Der Kaiserstuhl in Goslar.
Thronsessel KaiserHeinrich’s III., später im Besitz des Prinzen Karl von Preußen, diente am 21. März 1871 dem Kaiser Wilhelm als Thronsessel bei der Eröffnung des ersten deutschen Reichstags.

Trotz der sichtbaren Ausdehnung des Riesenwerks blieb das Publikum immer bedeutend (die Auflage war bis zu 70 000 gestiegen); denn ein neuer Vorzug lieh ihm immer starke Anziehungskraft: ein fast 2000 Blätter umfassender Atlas mit landschaftlichen, architektonischen, technologischen und naturwissenschaftlichen Tafeln, dazu Hunderte von Landkarten und Bildnissen hervorragender Zeitgenossen.

Die Arbeit an dem großen Unternehmen war im glücklichsten Fortgang, als über uns Alle in Deutschland und natürlich auch über unser Werk das erschütterndste Schicksal hereinbrach: der Sturm von 1848! Der unermeßliche Freiheitsjubel betäubte im ersten Aufwallen selbst die Kühlsten und Bedenklichsten, wie er die Stärksten und Mächtigsten augenblicklich lähmte und unbegreifliche Ereignisse ins Leben rief. Auch wir jubelten mit und unser Werk jubelte mit; hatten wir doch mit ihm uns aufs Eifrigste bemüht, das, was plötzlich als „die große Zeit“ vor uns stand, herbeizuführen. Es war ein wundervoller Traum, dem jedoch ein blutiges Ende folgte und ein namenloses Elend, welches über Tausende hereinbrach. Und von dieser ganzen Zeit, wie überhaupt von der Zeit seines Erscheinens, ist Meyer’s großes Konversationslexikon das treueste Spiegelbild. Während es noch unter dem Drucke der Censur begonnen wurde, schimmerte es mit der fortschreitenden Zeit immer freiheitsfreudiger in den geschichtlichen und politischen Artikeln, bis das Feuer von 1848 so hell auflohte, daß wir heute unmöglich das noch einmal drucken lassen dürften, was damals im Wonnerausch der Preßfreiheit in alle Welt hinausstürmte.

Und als endlich den allzu langen Wortkämpfen in der Paulskirche die Straßenkämpfe folgten, als die Verfolgten massenhaft flohen und verdarben – da zählte auch das Lexikon die Häupter seiner Lieben, und siehe, sie fehlten zu Tausenden!

Benutzung des Kehlkopfspiegels.

Jeder Andere würde damals die Flinte ins Korn geworfen haben, Joseph Meyer jedoch ließ den Muth nicht sinken, er schaffte sieben neue Schnellpressen an und alle Kräfte wurden angespannt, um trotz der unermeßlichen Verluste das große Werk ehrenhaft zu Ende zu bringen. Der Schatten der Reaktion lag nun auf den Artikeln, bis auch dieser sich verlor und das Werk mit dem männlichen Ernst schloß, der in dem musterhaften „Schlußwort des Herausgebers“ als dem lautersten Zeugniß rücksichtsloser Wahrhaftigkeit sich ausspricht.

In diesem Schlußwort sagt Joseph Meyer: „Mein großes Konversationslexikon liegt vollendet vor dem richtenden Publikum und erwartet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_705.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2023)