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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Bravo, bravo!“ schrie Onkel und klatschte in die Hände.

Ach – was er da erst Alles gesagt hat – ich schreib’s nicht her – das vergess’ ich ihm doch nie!

„Therese“ – sprach Onkel, und wieder klang die Stimme nicht ganz sicher – „was Deinen Schmetterling anlangt, so will ich Dir dann Einiges aus seiner Naturgeschichte mittheilen, was ihn für unsere Nichte (er betonte das unsere) nicht recht geeignet macht. Danke Gott, daß es so gekommen! Kinder!“ rief er dann in einem ganz lustigen Tone, „meinen Segen habt Ihr! Und die Kanahochzeit auch – für den Erlös giebt’s schon eine recht nette Ausstattung.“

Darauf fielen wir Beide über ihn her, wie sich’s für so einen Onkel gehört.

Da küßte Tante mich auch:

„Sei glücklich, Elisabeth!“ sagte sie.

Ich weiß, morgen wird sie mich schon wieder Lisi nennen; sie ist ja so gut.

„Ach Tante – ist es nicht möglich, daß der Trauermantel das Mädchen mit den betrübten Augen heirathet? Ich bin sicher, sie hätte es sehr gern … und Du glaubst nicht, was ich für Sehnsucht habe, allen betrübten Menschen ihre Wünsche zu erfüllen!“

Es scheint, sein Buch hat in Zürich sehr gefallen. Das müssen gescheite Menschen dort sein, die’s gleich begriffen haben, was mein Heinrich Werth ist!

„Bist Du glücklich, Lisa?“ fragte er mich, als wir nach der Maibowle unter den herrlichen Sternen, die so bekannt auf ihn herunterschauten, neben einander im Garten gingen – „bist Du auch glücklich?“

So – daß ich sterben möchte!“

„Um Gotteswillen – Liebste …“

„Ich fürchte mich, weiter zu leben – glücklicher kann ich nie werden!“

„Wir wollen sehen!“ sagte er und schloß mir die Lippen …




Abschied.
(Mit Illustration Seite 713.)

Die Bäume entlaubt des Herbstes Kuß;
Kühl weht sein Odem über den Fluß;
Da gleitet bei trüber Morgengluth
Ein Nachen durch die stille Fluth.

5
Ein Mägdlein sieht aus verfall’nem Haus,

Die Letzte des alten Stammes, hinaus
In fremde Fernen, Gott weiß wie weit,
Die treue Zofe als einzig Geleit.

Am andern Ufer legt der Kahn

10
Zwischen flüsterndem Schilf und Röhricht an;

Hier wendet die blonde Maid den Blick
Noch einmal zum Hause der Väter zurück.

Dort drüben liegt’s so still und müd;
Der Morgenschein an den Mauern glüht

15
Und über die grauen Thürme hin

Nach Süden schweigende Vögel ziehn.

„Du Stätte, wo meine Wiege stand,
Wo ich der Jugend Freuden fand,
Wo meiner Ahnen Asche ruht.

20
Leb’ wohl und bleibe in Gottes Hut!


Ihr Wandervögel, gegrüßt seid mir!
Ich hab’ keine Heimath, gleich wie ihr;
Auf den Himmel, der euch das Nest wird baun,
Muß auch das Waisenkind vertraun.“

25
Da faßt die Gefährtin ihre Hand:

„Ihr geht nicht allein ins fremde Land;
Es schlägt für Euch in Lust und Schmerz
Getreu bis zum Tode mein armes Herz.“

Die Jungfrau zieht in Wehmuth und Lust

30
Das Haupt der Genossin an ihre Brust,

Aus ihrer Wimper quillt’s heiß hervor …
Die Wellen murmeln, es rauscht das Rohr.

 Anton Ohorn.




Der Raub in der Tierwelt.

Charakterdarstellungen von Adolf und Karl Müller. 0 Mit Originalzeichnungen von Adolf Müller.
II.0 (Schluß.)


Wir kommen zu den Würgern, diesen Vögeln von merkwürdiger Doppelstellung, bei denen die Raubnatur mit dem Anspruch auf ihre Stellung als Sänger in schroffem Gegensatz steht. Doch wiegt bei der einen Art entschieden die eine, bei der anderen ebenso entschieden die entgegengesetzte Stellung vor. Unzweifelhaft ist der Raubwürger, unsere größeste Art, den Raubvögeln am meisten verwandt. Mit ihnen theilt er noch, abgesehen von der Schnabelbildung und dem vorwaltenden Gebrauch der Füße beim Zerlegen und Tragen der Beute, das Rauben in größerem Stil, die Beherrschung ausgedehnterer Flächen, sodann das Ritteln und den Raubanfall der Vögel im Fluge. Gewöhnlich sitzt er auf hoher Warte der Hecken und Bäume, nach allen Richtungen hin das Jagdterrain der Nähe überschauend. Hat er eine Maus, die er vorzugsweise gerne aufs Korn nimmt, entdeckt, so stürzt er sich eilend auf sie herab, mit ausgebreiteten Flügeln nach Genick und Kopf hastig auf einander folgende Schnabelhiebe richtend. Stößt er fehl oder entwischt sie ihm, so giebt er die Hoffnung auf baldige Wiederkehr derselben aus dem Zufluchtsort auf. Stellt er sich aber rittelnd über die Flur, so hat die Maus sich nur erst seinem Späherauge verrathen, und nun beginnt oft eine sehr anstrengende Arbeit für ihn. So lang er es vermag, hält er rittelnd aus, minutenlang; dann unterbricht er das Ritteln durch einen Bogenflug, um sich sogleich wieder festzustellen. Tritt Erschöpfung ein, so läßt er sich in der Nähe auf einer Erhöhung auf den Boden nieder, hochaufgerichtet den Kopf nach dem Aufenthalte des ausersehenen Opfers wendend. Nach einer Weile erhebt er sich wieder und setzt die Versuche fort, bis endlich der günstige Augenblick ihn zum Flugsturz veranlaßt. Goldammern und Sperlinge jagt und verfolgt er durch das Geäste der Bäume, um sie zur Flucht über freie Plätze zu nöthigen, wo er sie überfliegt und durch Sturzangriffe zu stoßen und zu verwirren sucht. Interessant ist es, wie er seine Anstrengungen verdoppelt, je näher der Flüchtling der rettenden Deckung kommt; da geht er zu einem förmlichen Purzeln über und verliert in der Hast selbst Halt und Sicherheit.

Im Winter bei Kälte und Schnee stößt er oft wochenlang täglich die Kleinvögel an Futterplätzen, wo sie entweder ermattet oder sorgenlos sich zusammenscharen. Und ob er nach und nach Dutzende im Laufe von Wochen raubt: die Genossen der zur Beute Gewordenen kommen nicht recht zur Erkenntniß seiner doch deutlich genug ausgesprochenen Feindschaft, sie erblicken in ihm nicht den Schrecken eines Raubvogels. Das kommt ihm denn natürlich sehr zu Statten, und er gehört zu denen, welche das Vertrauen zu jeder Zeit zu mißbrauchen bereit sind. Auch die Schwarzamsel, welche an Größe ihn etwas überragt, fällt er im Winter mörderisch an. Es ist wirklich ein kouragirter Räuber, dieser Würger, der sogar den staunenswerthen Erfolg zu erringen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_714.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)