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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Der Unfried.
Nachdruck verboten.
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Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)

Karli blieb unter der Hausthür stehen, schloß die Augen und drückte die Hand an die Stirn. Dann schüttelte er heftig den Kopf, als hätte er Alles, was drückend auf ihm lastete, gewaltsam von sich werfen mögen, sprang mit einem Satze über die drei hölzernen Stufen nieder, huschte hinter das Haus, schlich die Kegelbahn entlang, übersprang einen Zaun und eilte quer über die Wiesen der Straße zu, die nach dem Binderholze führte.

Als er den Waldsaum erreichte, stieg er über den Straßengraben hinweg, schleuderte den Hut bei Seite und warf sich der ganzen Länge nach ins Moos. Gleich aber richtete er sich halb wieder auf und lauschte gegen die Stelle, an welcher sich die Straße mit einer Biegung in den tieferen Wald verlor. Nun vernahm er den deutlichen Hall von Schritten, und da machte er schon Miene, zwischen die Bäume zu flüchten. Aber nein – vor dem, der dort einhergewandert kam, laut vor sich hinpfeifend, die eine Hand in der Hosentasche, die andere Hand am Stocke, mit dem er über der Schulter ein dickes Bündel trug – vor dem brauchte er sich nicht zu verbergen. Der war ja nicht aus dem Dorfe – von dem hatte er keine Frage zu befürchten, vor welcher er die Fäuste ballen oder die Augen hätte niederschlagen müssen.

Seufzend warf sich Karli wieder in das Moos zurück, verschlang die Hände hinter dem Nacken und schaute unter halbgeschlossenen Lidern hervor dem Näherkommenden entgegen, den man wohl für einen wandernden Handwerksgesellen halten konnte. Aber sicher hatte nicht er dem Meister, sondern der Meister ihm gekündigt – so meinte Karli, auf den der Fremde beim ersten Blick einen unbehaglichen Eindruck machte. Es war eine schlanke, kräftige Gestalt, die aber bei faulem Gange träg in sich versank. Das in halb städtischem, halb bäuerischem Schnitte aus schwarz und grün gewürfeltem Tuch gefertigte Gewand war zertragen und unsauber gehalten. Ein zerknitterter, hellgrauer Filzhut saß schief über den schwarzen, peinlich frisirten Haaren, die sich mit breiten Haken in die Schläfe krümmten, wodurch das blasse, scharfgeschnittene Gesicht noch schmäler erschien, als es war. Der dünne, schwarze Schnurrbart war in steif gewichste Spitzen ausgezogen; Kinn und Wangen waren sorgfältig rasirt. An der rechten Seite des Halses zeigte sich eine schlecht verheilte Schnittnarbe, die sich unter dem schneeweißen Papierkragen verlor. Eine bauschig gebundene, hellblaue Kravatte verdeckte nur halb die zerknüllten Brustfalten des unsauberen Hemdes.

Als sich der Fremde bis auf einige Schritte genähert hatte, drückte Karli die Augen zu – wenn er schlief, brauchte er nicht zu grüßen. Es schien auch, als wollte der Fremde vorübergehen; plötzlich aber hielt er die Schritte an, musterte den im Moose Liegenden mit einem stechenden Blick seiner grauschillernden Augen, überstieg den Straßengraben, puffte die Stiefelspitze an Karli’s Sohle und sprach ihn mit scharfer, spöttisch klingender Stimme an: „Geh Du, mach’ Deine Guckerln auf!“

Karli öffnete die Augen und heuchelte eine verschlafene Miene.

„Was is denn – bin ich da recht am Weg ins Ort ’nein?“ fragte der Andere und nannte den Namen des Dorfes.

„Natürlich – geht ja d’ Straßen g’rad aus!“

„Und ’s Wirthshaus? Is wohl net weit von der Straßen?“

„Hart dabei. Wer an Durst hat, verleid’t kein’ Umweg.“

„Wie schaut’s denn da mit der Unterkunft aus?“

„Für Unserein’ thut’s es. Aber für noblige Leut’ – natürlich, da wird’s spuken.“

„Und a saubere Kellnerin? Was?“

„Wann s’ Ihnen g’fallt! Ich hab’s noch nie drum ang’schaut.“

„Geh’!“ lächelte der Fremde und kniff die Augen ein, als fänden Karli’s Worte bei ihm keinen besonderen Glauben. Und als der Bursche verwundert aufschaute, sagte der Andere in einem ganz eigen gedehnten Tone: „Ich mein’, ich sollt’ s’ kennen – Euer’ Kellnerin. Sie is doch erst vor a paar Monat’ eing’standen? Oder net?“

„Was? D’ Walli? Die is so schon a drei a vier Jahr’ beim Zeug.“

Jetzt war an dem Andern die Reihe, ein verdutztes Gesicht zu zeigen. Und da hatte er nun auch mit einem Male ausgefragt. Eine Weile stand er schweigend, mit finster zusammengezogenen Brauen; dann nickte er dem Burschen einen ungezogen kurzen Gruß zu, sprang über den Straßengraben zurück, und während er mit trägen Schritten weiterbummelte, murmelte er bissig vor sich hin: „Verflucht – da hab’ ich am End’ gar den Ludersweg umsonst g’macht!“

Je weiter er sich von Karli entfernte, desto rascher wurde sein Gang. Nach einer Viertelstunde erreichte er das Wirthshaus und schob sich in der Stube hinter einen Tisch. Während die Kellnerin davonrannte, um den von ihm bestellten Krug Bier zu holen, lachte er spöttisch auf und schaute ihr mit Blicken nach, als vergliche er sie in Gedanken mit einer anderen.

Als die Dirne zurückkehrte, winkte er gegen die zitternde, hallende Decke und fragte: „Wen graben s’ denn da schon wieder ein?“

Die Kellnerin schaute ihn fragend an und kicherte dann: „Ah so – wer heirath’, meinen S’? Der Bauer auf der Point. Ja, a ganz an alter – und ganz a junge heirath’ er – sein’ Hauserin, die vor a paar Monat’ erst bei ihm eing’standen is. Mit der haben s’ uns auch ’was Saubers g’schickt – d’ Rosenheimer!“

Mit starren Augen schaute der Fremde auf die Lippen der Dirne. Nun sprang er auf und klatschte mit wieherndem Gelächter die Hand auf den Tisch.

„Ja was haben S’ denn auf amal?“

„Was ich haben thu’? Den Bauer muß ich mir anschauen – den Bauer – und sein’ Hochzeiterin!“

Mit grober Armbewegung schob er die Kellnerin bei Seite, eilte aus der Stube und sprang in langen Sätzen die Treppe hinauf. Mit Mühe nur vermochte er sich in den Tanzsaal zu drängen. Hier stand er in einer dichten Gruppe von Burschen und überflog mit funkelnden Augen das Gewirr der Tanzenden. Da zuckte es in Zorn und Spott über sein Gesicht, und unablässig folgten seine lauernden, stechenden Blicke einem Paare. Jetzt trat dieses Paar aus der Reihe der Tanzenden, und während sich der ermüdete Tänzer mit den Fäusten den Schweiß von den Backen wischte, fuhr sich Kuni mit einem weißen Tuch über Stirn und Wangen. Sie wollte schon wieder zu tanzen beginnen, als sie über ihre Schulter eine spöttische Stimme hörte: „Grüß’ Dich Gott, Hochzeiterin!“

Erschrocken fuhr Kuni zusammen, und die glühende Röthe ihres Gesichtes verwandelte sich jählings in fahle Blässe. Sie stand wie gelähmt, und ein starrer, angstvoller Blick war in ihren Augen.

„Grüß’ Dich Gott, hab’ ich g’sagt!“ wiederholte jene spottende Stimme. „Oder hat Dir die gache Freud’ ’leicht d’ Red’ verschlagen? G’laden hast mich freilich net zu Deiner Hochzeit, aber ich trag’ Dir’s net nach, ich bin schon amal so a guter Kerl – und da kannst g’rad sehen, wie gern als ich Dich hab’ – Tag und Nacht bin ich g’laufen, daß ich noch recht komm’ zu Dei’m Ehrentag. Und da wirst mir ja dengerst an Tanz verlauben – mir als Deiner nächsten G’freundschaft?“

Kuni schwieg; mit Augen, in deren Blicken sich zitternde Angst und glühender Haß verriethen, hing sie noch immer an dem Gesichte des Burschen und übersah die Hand, die er ihr entgegenbot.

Da trat er mit grinsendem Lächeln dicht an ihre Seite: „Oder – meinst vielleicht, es thät’ sich net schicken für Dich? Denn wenn auch schon bis heut’ den gleichen Namen tragen hast mit mir, so könntst Dir ja dengerst einbilden, daß Dein’ Familli die besser is als wie die meinig’?“

In scheuer Hast hob Kuni die Hand, als hätte sie dem Sprecher den lauten Mund verschließen wollen. Ihre Augen füllten sich mit Thränen; einen ängstlichen Blick noch warf sie auf die neugierigen Gesichter der Umstehenden und sank dann, einer Ohnmacht nahe, in die Arme des Fremden, der sie in tollem Wirbel mit sich hineinriß in das Gewühl der Tanzenden.

Im gleichen Augenblick drängte sich der Pointner aus der Thür des Nebensaales, mit brennendem Gesichte und mit den kreischenden Rufen:

„Karli! Bua! Ja wo is denn mein Karli? Hat denn Niemand mein’ Buben net g’sehen? Karli! Karli!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_716.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)