Seite:Die Gartenlaube (1887) 717.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Da konnte der Pointner aber lange rufen und suchen. Wenn er seinen Buben hätte finden wollen, hätte er einen andern Weg nehmen müssen, als vom Tanzsaal in das Nebenzimmer, von dort in die untere Wirthsstube und von der Stube wieder in den Tanzsaal. Er hätte hinauswandern müssen ins Binderholz, wo Karli hoch oben saß im Wipfel einer tiefästigen Buche.

Vielleicht aber ahnte der Bursche, daß er im Wirthshause vermißt und gesucht wurde; denn seufzend und kopfschüttelnd warf er einen letzten Blick auf das stille Bygotterhäuschen und das öde Gehöft, ließ sich achtsam zwischen den Aesten niedergleiten, eilte lautlos den hohen Zaun entlang und schlüpfte durch die Birken- und Weidenbüsche, um den Fußweg zu gewinnen. Als er einer kleinen Lichtung


Tirolerin.
Nach dem Oelgemälde von Fr. Prölß.


nahe kam, über welche der Pfad hinwegführte, blieb er lauschend und betroffen stehen. Durch dünnes Buschwerk scholl ihm ein sachtes Plätschern und ein halblauter Gesang entgegen, dessen schwermüthige Weise von dem monotonen Rauschen und Murmeln des Baches begleitet wurde. Eine jähe Röthe schoß ihm in die Wangen; mit zitternder Vorsicht theilte er die Büsche, und dann plötzlich sprang er durch die schlagenden Zweige mit jubelndem Aufschrei dem Ufer zu.

Erschrocken fuhr Sanni in die Höhe, und das weiße Linnen, das sie im rinnenden Wasser des Baches gespült hatte, sank ihr aus den Händen. Doch ehe sie noch ein Wort über die Lippen brachte, hatte der Bursche sie schon umschlungen, an seine Brust gerissen, und unter stammelnden Lauten überströmte er Sanni’s Mund und Wangen mit glühenden Küssen. Regungslos, als wüßte sie nicht, wie ihr geschähe, ließ sie all diese stürmische Zärtlichkeit über sich ergehen. Nun aber schien ihr die Besinnung zu kommen, sie riß sich gewaltsam los, und es war, als wollte sie fliehen. Doch blieb sie mit einem unsagbaren Blick an den Augen des Burschen hängen – und da hob sie nun selbst die zuckenden Arme, schlug sie in heiß erwachender Leidenschaft um Karli’s Nacken und drängte sich stammelnd und schluchzend an seine Brust, als wäre sie einsam, verlassen und verirrt in weiter Welt gestanden und hätte nun plötzlich ihr Heim und ihren Ort gefunden.

„Sannerl! Schatzerl! Deandl! Schau – jetzt is mir Alles eins! Jetzt kann meintwegen heirathen, wer mag! Weil nur wir Zwei wieder amal bei ’nander sind!“ jauchzte Karli, während er das Mädchen nach einem halb von Gebüsch umwachsenen Steinblock führte und an seine Seite zog. „Aber jetzt – jetzt sag’ mir nur gleich, ob auch Dein Versprechen g’halten hast und ob auch fleißig an mich ’denkt hast in die vier ewigen Wochen? Gelt – so oft hast g’wiß net an mich ’denkt, wie ich an Dich denkt hab’. Aber schau, wenn ich ’s Denken an Dich net g’habt hätt’ – ich hätt’ ja schiergar narrisch werden müssen in all meiner Kümmerniß. Aber – was schaust mich jetzt so an – verstehst mich denn net? Ja weißt denn am End’ gar net amal, was heut’ für a Tag is – was heut’ im Ort drin g’schieht?“

Wie hätte Sanni das wissen können! Seit Karli’s Abschied hatte sie keinen andern Menschen gesehen, als ihren Vater; seit langen Wochen war es heute zum ersten Male, daß sie den Bereich des umzäunten Hofes überschritten hatte.

In stockenden Worten gestand ihr Karli, was der vergangene Morgen über ihn gebracht. Doch schien diese Nachricht auf Sanni nicht die niederschmetternde Wirkung zu üben, welche Karli befürchtet haben mochte; denn als er sie an den „Besuch“ erinnerte, den sie vor langen Wochen an einem Fenster des Pointnerhofes gewahrt hatte, als er nach zögernden Umschweifen endlich damit herausplatzte, daß heute dieser „B’such“ mit seinem Vater Hochzeit hielte, fuhr dem Mädchen anstatt des erwarteten Schreckensrufes ein freudiges „Gott sei Dank!“ über die Lippen.

Mit verdutzten Augen schaute Karli auf „Was? Was, Gott sei Dank?“

„Daß – daß der selbige B’such Dei’m Vater ’golten hat und – net –“ Weiter kam Sanni nicht; in lieblicher Verwirrung barg sie ihr Gesicht an Karli’s Brust.

Nun verstand er sie, und eine leichte Röthe huschte über seine Züge, während er mit leisen Worten schmollte:

„Aber, Schatzerl, geh’, wie hast denn da an Augenblick lang eifern können? Und auf so Eine noch dazu.“

„Aber sie is halt gar so viel sauber g’wesen – und – und so glanzige Augen hat s’ g’habt!“ entschuldigte sich Sanni.

Karli lächelte und drückte das Mädchen glückselig an sich. „Ah na – wer Dich amal in die Gedanken hat, der schaut sich g’wiß auf nix anders nimmer um. Und weiter brauchst Dich auch net z’ kümmern wegen der g’spaßigen Heirath da. Seit wir Zwei mit einander gleich auf gleich sind, kümmert mich schon gar nix mehr! Mag der Vater hausen mit seiner Bäuerin – ich hab’ zwei junge Arm’, ich will mir schon a Heimatl schaffen für Dich und mich! Und überhaupts – mein Muttergut kann mir der Vater net verwehren! Und das will er auch net, ich weiß! Heut’ in der Fruh erst hat er mir’s g’schworen, und unser Herrgott hört an jeden Schwur und straft Ein’ um an jeden, der ’brochen wird –“

Karli verstummte, zu Tod erschrocken über die unverhoffte Wirkung seiner Worte. Sanni’s Wangen erblaßten, ein Zittern befiel ihren Körper, mit angstvollen Augen starrte sie ins Leere und schlug dann erschauernd die Hände vor das Gesicht.

„Ja – ja – er hört an jeden Schwur, und jeden straft er, der wo ’brochen wird!“ stöhnte sie unter Thränen. „Und ich – ich hab’ g’schworen – und – und –“ Tiefathmend ließ sie die Hände sinken und schaute mit nassen Augen zu Karli auf. „Aber ich kann ja nix dafür – ich hab’ net anders können – und es mag mich auch net g’reuen, und wann ich’s gleich büßen müßt’ an mei’m Leben.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_717.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2023)