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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Aufschluchzend umschlang sie ihn mit beiden Armen und schmiegte sich in Angst und Beben an seine Brust.

„Aber, Schatzerl – Jesus Maria – ja was is denn?“ stotterte der Bursche in beklommener Sorge. „Ja ich bitt’ Dich gottstausendmal – so sag’ mir nur g’rad –“

„Selbigsmal – Du weißt es ja noch – wie mir selbigsmal so an lieben Abschied g’sagt hast,“ zitterte es in fliegenden Worten von Sanni’s Lippen, „hast es denn selbigsmal net g’merkt, daß ich schier auf’n Tod erschrocken bin, wie ich Dich g’sehen hab’ –“

„Ja – aber –“

„Selbigsmal in der Fruh, da is ’was g’schehen – und ich kann’s net sagen – aber – aber da muß mei’m Vater ’was in’ Kopf ’nein ’kommen sein – was Seltsams, wo ich mir gar net denken kann – und da hat er mich an der Hand in die Stuben ’neing’führt – g’wiß wahr, ganz zum Fürchten is er g’wesen – und da hat er mich Sachen g’fragt, daß ich ganz erschrocken bin – und – ja – und wie ich ihm nix anders hab’ sagen können, als daß ich brav g’wesen bin mein Leben lang und daß ich mei’m lieben Herrgott ohne Scheu mein Herz auf d’ Hand hinlegen könnt’ – da hat er völlig aufg’schnauft, mein Vater – und g’halst und ’druckt hat er mich, daß mir schier Angst worden is – ja – und nachher hab’ ich ihm bei Blut und Leben schwören müssen –“

„Was, Sanni, was hast schwören müssen?“

„Schwören hab’ ich müssen, daß – aber ich kann Dir’s net sagen, wie’s der Vater g’sagt hat – weißt, g’meint hat er halt, es sollt’ für mich kein andres Mannsbild geben als wie der liebe Herrgott und der Vater, und an kein’ dürft’ ich denken, mit kei’m dürft’ ich reden, um kein’ sollt’ ich mich harben und kein’ dürft’ ich gern haben –“

„Na, na, jetzt da hört sich fein schon gar Alles auf!“ rief Karli mit zornbebenden Worten aus. „So a Vater – der so ’was von sei’m Deandl verlangen kann! Und bei so einer Narretei auch noch unsern Herrgott zur Aushilf’ nehmen! Geh’, Sanni, sag’ Dei’m Vater, wann er sich schon gar so gut auskennt im Testament, nachher soll er sich auch auf dieselbigen Sachen b’sinnen, wo für die andern Leut’ taugen, net g’rad für seine narrischen G’schichten allein – weißt – daß unser Herrgott in seiner Allgütigkeit amal g’sagt hat: Liebet einander – und – und es is net gut, wann der Adam allein is!“

Mit einem freudig aufleuchtenden Blick schaute Sanni in Karli’s Augen und schmiegte sich noch enger an ihn.

Karli aber, den die Wahrnehmung, daß er das beste Wort getroffen, ordentlich wachsen machte, predigte in flammendem Eifer weiter: „Ah na – das sag’ Dir ich – da brauchst Dich fein jetzt gar net z’ kümmern. Denn unserm lieben Herrgott sein Verstand geht dengerst noch über Dei’m Vatern sein’ g’spaßige G’scheitheit. Und für so an unsinnigen Schwur, zu dem Dich Dein Vater überhaupts noch ’zwungen hat, für so an Schwur hat unser Herrgott g’rad an Lacher! Bei so ’was sagt man halt Ja, daß man vor der Narretei sein’ Fried’ hat, und weiters braucht man sich net z’ halten. Das sag’ ich vor ei’m Jeden, und wann’s der Pfarrer is, und g’rad so sag’ ich’s Dei’m Vater, und wann’s mir einfallt, nachher geh’ ich schon auf der Stell’ auch ’nein zu ihm und sag’s ihm schnurg’rad ins G’sicht.“ Dabei schüttelte er die Fäuste, hob sich halb in die Höhe und that, als hätte er wirklich nichts Eiligeres im Sinne, als seine letzten Worte zur Wahrheit zu machen.

Erschrocken zog ihn Sanni wieder auf den Stein zurück.

„Mein Gott, Karli, laß Dir nur so ’was nie net einfallen! Du kennst mein’ Vater net! Und Gott sei Dank, heut’ könntst ihm schon gar nix sagen, heut’ is er gar net daheim. Am Sonnberg is er droben! Um Mittag erst is er fort, und da kann er auch vor Abend schier net daheim sein. Sonst hätt’ ich mich auch net weg ’traut vom Haus. Aber mir is g’rad g’wesen, als müßt’ ich wieder amal an andere Luft zum schnaufen kriegen als g’rad die unser’.“

„Hast schon Recht g’habt, Sanni, ganz Recht! D’ Viecher sperrt man hinter die Zäun’ und net die g’wachsenen Leut’. Aber was ich fragen will: der Sonnberg mit sei’m ganzen Holz, der g’hört ja zu unserm Hof. Was hat denn Dein Vater da droben zum schaffen?“

„Ich kann mir’s selber net denken. Er redt auch so über seine Sachen schier nie mit mir. Aber seit a paar Wochen hab’ ich’s schon öfter mit ang’sehen, daß er ganze Stund’ lang draußen im Hof g’standen is, und g’rad allweil hat er ’naufg’schaut gegen d’ Sonnbergplatten. Und was er jetzt droben thut, ich kann mir’s net denken.“

„Am End’ is er gar so gach in d’ Höh’ g’stiegen, weil er meint, da droben redt er sich leichter mit sei’m Herrgott, weil er ihm näher is – und ’leicht zündt er ihm wieder a Feuerl an.“ Dazu lachte Karli spottend auf. Dieses Lachen aber that ihm bitter leid, als er in Sanni’s angstvoll staunende Augen sah und den schmerzlich traurigen Zug gewahrte, der in ihrem Gesicht erschienen war. Mit sanfter Zärtlichkeit drückte er ihr Köpfchen an seine Brust und flüsterte: „Geh’, schau, mußt mir net harb sein, daß ich so dumm hab’ ’rausreden können. Aber weißt, mir is halt g’rad wieder eing’fallen –“

Und da erzählte er, auf welche Weise er an dem bewußten Morgen zum heimlichen Zeugen jenes seltsamen Vorganges geworden war.

Als er davon sprach, wie eigen das Alles auf ihn gewirkt hätte, zuerst belustigend, dann aber unheimlich, seufzte Sanni tief auf, nickte mit kummervollem Gesichte vor sich hin und flüsterte unter Thränen:

„Ich weiß ja, es is a Sünd’ für a Kind, bei sei’m Vatern an so ’was z’ denken; aber ich kann mir net helfen; oft kommt’s mich mit G’walt so an, daß ich denken muß, wie wann er diemal net ganz licht wär’ in sei’m Kopf. Aber natürlich, mein’ schuldige Lieb’, die redt mir’s allweil wieder aus, und nachher kann ich’s auch wieder mit ansehn, wie er schafft und umeinander hantirt im Haus, ich sag’ Dir’s, viel g’scheiter und anstelliger noch als hundert Andere. Darnach aber, da packt’s ihn auf amal wieder an, daß ich mir schier nimmer z’ helfen weiß vor Fürchten und Aengsten. Ich kann Dir’s net sagen, Karli, und Du kannst es net denken, wie er oft sein kann in sei’m Zorn, daß mir im Schrecken oft der Herzschlag aushalt’ – und – und net bloß im Zorn – g’rad so in seiner Lieb’.“

Sanni verstummte, und ein Schauer rüttelte ihre Schultern.

„Na, na, und da sollt’s gar kein’ Hilf’ net geben und kein Wehren?“ grollte Karli, während er den Arm noch fester um Sanni’s Nacken schlang.

„Im Anfang, weißt – wegen seiner g’spaßigen Glaubenssach’ – da hab’ ich allweil g’meint, wie wann’s nix anders wär’, als so a ung’scheite Einbildung, wo d’ Leut’ oft haben und dabei ganz g’scheit sein können. Jetzt aber weiß ich schon bald nimmer, was ich denken soll. Wann ihn nur g’rad hören könntst, wie er diemal redt – das is oft, daß ich kein einzigs Wörtl net versteh’, wenn ich auch gleich a jedweds Wörtl deutlich hören kann. Und an andermal redt er wieder, daß ich mein’, das hätt’ ich Alles schon g’hört – in der Schul’ oder in der Christenlehr’. Ganze Täg’ und Nächt’ lang sitzt er über seine Büchersachen – oder wann er allein in der Stuben is, da halt’ er ganze Predigten für ihm selber. Wann ich mein’, daß ich’s recht versteh’, so wart’t er auf a g’wisse Zeit, wo er nachher die Leut’ fromm machen will, und wo er Alles in der Welt wieder so richten möcht’, wie’s um Abraham’s Zeiten unter die Patriarchen g’wesen is. Ja, ich sag’ Dir’s – vom richtigen Gottesglauben zum lieben Heiland und seiner heiligen Mutter, da därf ich ihm gleich kein Sterbenswörtl net sagen – da kann er ganz aus einander kommen. Und auf die geistlichen Herrn – Du – da hat er’s erst abg’sehen. Die heißt er ein Pharisaer und ein Baalspfaffen um den andern hin und her – ja – daß ich mich heimlich oft kreuzigen thu’.“

„No – da – da wann der Pfarrer amal dahinter kommt, da kann’s was setzen!“

„Und was man am allerwenigsten mit ihm reden därf, das is von überm Wasser drüben – und von mei’m Mutterl selig. Und ich möcht’ doch diemal ’was davon erfahren, wie’s ihm drüben in Amerika ’gangen hat – ja – und ganz wohl thät’s mir, wann ich diemal mit ihm diskrieren könnt’ von mei’m lieben Mutterl. Aber wann ich anfang’ davon, da kann er ganz verblassen, und da macht er mir Augen an wie zwei feurige Kohlen, daß mir d’ Red’ gleich auf der Zung’ erstickt. Und so viel kann er in Zorn g’rathen, wann ich ihm diemal im Guten zusprich, daß er doch ’s richtige Schaffen und ’s Verdienen amal anfangen müßt’! Da hat er Dir gleich den lieben Herrgott in der Red’, der wo die Vogerln ernährt und die Bleameln auf’m Feld draußt

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