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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

g’wanden thut. Und allweil ärger wird’s – allweil ärger mit jedem Tag. Und in der letzten Zeit da redt er g’rad allweil von der ‚Erleuchtung‘ – und von der ‚Vorbereitung zu Gottes Werk nach Gottes Willen‘ – und allweil hat er an ‚Ausgang‘ in der Sprach’ – was er da damit meinen kann, das weiß ich mir gar net z’ denken. Und ganze Täg’ lang thut er beten in seiner g’spaßigen Weis’ – und martern thut er sich und fasten, daß er schier ganz von die Kräften fallt.“

„O mein Gott, Schatzerl – ja da fehlt’s ja weit!“

„Ja – gelt?“ sagte Sanni weinend. „Und wie’s mir da dabei z’ Muth sein muß, das kannst Dir denken! Und am allerschwersten liegt’s mir am Herzen, daß der Vater auch mich mit G’walt von meiner Christenpflicht abhalt’. Ich kann ja bald die Tag’ nimmer zählen, daß ich kein’ Kirchen nimmer g’sehen hab’! Und seit der heiligen Osterzeit hab’ ich nimmer kummlicirt und bin bei keiner Beicht’ nimmer g’wesen. Da kann’s ja schiergar nimmer möglich sein, daß mich der liebe Herrgott auch noch a Bißl gern hat!“

„Aber geh’, wie kannst denn jetzt so daherreden! Der liebe Herrgott – und Dich net gern haben! Ja wen sollt’ er denn nachher mögen, wann er Dich net mag! Geh’, Schatzerl, Du bist ja eine von dieselbigen, die unserm Herrgott sein’ Sonntagsfreud’ ausmachen! Und weg’m Beichten? O Du Hascherl, Du! Was kannst denn Du zum Beichten haben?“

So tröstete Karli in zärtlichen Worten weiter, und als ihm die Worte schließlich ausgingen, half er sich mit Küssen und Küssen. Und ganz besonders diese letztere Sprache war es, welche auf Sanni’s Kummer die am besten tröstende Wirkung zu üben schien. Ihre Thränen versiegten; eine sanfte Röthe färbte ihre schmächtigen Wangen, und ihre Augen strahlten im Schimmer süßer Trunkenheit.

Als sie dann endlich einmal von einander ließen, schauten sie sich erröthend in die Augen, und Karli kicherte:

„Jetzt da schau, wie’s wir Zwei mit einander können! G’rad ein Bußl ums ander’ – gar nimmer zum zählen. Ja hast mir denn Du schon b’standen, daß Du mich mögen thust? Hab’ Dir denn ich schon g’sagt, daß ich Dich gern hab’?“

„Ich mein’, das wird’s jetzt nimmer brauchen!“ sprach Sanni lächelnd, und weil seine übermüthigen Blicke sie gar verlegen machten, wußte sie sich keine andere Hilfe, als ihr Gesicht an seine Brust zu drücken.

Da schlang er wieder die Arme um ihren Hals und lachte glückselig auf. Mitten in diesem Lachen aber verstummte er; es war ihm gewesen, als hätte er hinter sich einen knisternden Schritt, ein Rascheln in den Büschen gehört, und als er hastig über die Schulter blickte, sprang er erbleichend auf und taumelte, Sanni mit sich reißend, fast bis an das Ufer des Baches zurück.

Hinter dem Steine, von wirrem Gezweige halb verdeckt, stand der Bygotter, mit vorgestrecktem Halse, die eine Hand über dem kahlen Scheitel, die andere mit krallenartig gekrümmten Fingern weit ausgestreckt. Grauenerregend war sein fahles Gesicht verzerrt, und was aus seinen blutunterquollenen Augen funkelte, das war wie der Blick eines Raubthieres. Doch nur eine Sekunde stand er so; dann schlug er unter einem gurgelnden Laut die Büsche aus einander und stürzte mit erhobenen Fäusten auf Karli zu.

(Fortsetzung folgt.)




Ueber Bergsteigen und Bergsport.[1]

Die Reisezeit hat ihr Ende erreicht. Allmählich verschwinden aus der Tagespresse die Berichte über Unglücksfälle im Gebirge, welche in diesem Sommer eine beängstigende Höhe erreicht hatten. Mit ernster Sorge sieht man ein Unheil heranwachsen, das bereits unsäglichen Jammer in viele Familien gebracht und sich immer weiter zu verbreiten droht. Soll man diese Thatsache als ein unabänderliches Fatum ruhig hinnehmen, soll man mit offenen Augen alljährlich eine Anzahl in voller Jugendkraft stehender Männer dem Verderben entgegen eilen sehen, oder können Maßregeln ergriffen werden zur gänzlichen Beseitigung oder doch zur Verminderung dieser Unfälle? An eine vollständige Verhütung derselben wird wohl Niemand ernstlich denken, der die großartige Entwickelung unseres Verkehrslebens mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt hat. Gleichzeitig mit dem mächtigen Reisefieber, das namentlich in Deutschland die weitesten Schichten der Bevölkerung ergriffen zu haben scheint, hat sich auch eine bestimmte Geschmacksrichtung ausgebildet, wodurch der Strom der Reisenden vorzugsweise nach gewissen Gebieten und namentlich nach den Gebirgen gelenkt wird.

Im Anfang, ja sogar noch bis in die Mitte dieses Jahrhunderts war die Herrlichkeit des Hochgebirges nur einer kleinen, auserwählten Gemeinde von Naturfreunden und Forschern bekannt. Der große Haufen der Reisenden bewegte sich auf den gangbarsten Thalwegen und wich nur wenig von den breiten Heerstraßen ab. Eigentliche Bergreisen und Hochtouren wurden allerdings auch damals schon ausgeführt; aber sie galten für gefährliche Expeditionen, denen man sich wohl aus wissenschaftlichem Interesse, nicht aber aus Vergnügen unterzog. Wie anders steht heute die öffentliche Meinung dem Gebirge gegenüber, als in der Zeit, wo Hugi, de Saussure, Agassiz, Desor, K. Vogt, Escher u. A. ihre berühmten Studien in den Schweizer Alpen ausführten! An Stelle der ehemaligen Scheu vor den „schauerlichen, unwirthlichen und unzugänglichen“ Gebirgsländern ist heute eine enthusiastische Bewunderung derselben getreten. Eine Aenderung der jetzt herrschenden Geschmacksrichtung, eine Rückkehr zu der Naturanschauung, welche in weiten, wohl bebauten Ebenen ihr Ideal fand, ist wenigstens in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, und so werden denn unsere Gebirge in der Sommerzeit voraussichtlich stets mit einer von Jahr zu Jahr zunehmenden Wanderbevölkerung erfüllt bleiben.

Daß die zeitweilige Ansammlung und Bewegung einer solchen Menschenmenge mancherlei Gefahren mit sich bringt, daß beim einfachen Spazierengehen, bei kleinen Bergpartien, beim Blumenpflücken und namentlich beim Edelweißsuchen durch Unvorsichtigkeit, durch plötzliches Unwohlsein, durch elementare Ereignisse Unglücksfälle vorkommen werden, welche die Zahl derjenigen vergrößern, von denen die in den Bergen einheimische Bevölkerung bei ihrer regelmäßigen, häufig gefahrvollen Beschäftigung von jeher betroffen wurde, ist unvermeidlich, und da dieselben durch die Presse heute weit mehr als in früherer Zeit zur allgemeinen Kenntniß gelangen, so erscheint ihre Vermehrung viel erheblicher, als sie es in der That ist. Wenn es sich aber darum handelt, die durch das Bergsteigen und den Bergsport verursachten Unglücksfälle ins Auge zu fassen, so wird man billiger Weise alle vorgenannten Vorkommnisse in Abrechnung bringen müssen. Damit vermindert sich die Zahl der Unfälle auf eine ziemlich geringe Ziffer, die um so kleiner erscheint, wenn man sie mit der erstaunlichen Menge der dem Bergsteigen huldigenden Touristen vergleicht. Ja es darf kühnlich behauptet werden, daß kaum ein körperlicher Sport verhältnißmäßig weniger Opfer fordert, als das Bergsteigen. Aber immerhin sind die Unfälle noch zahlreich genug und meist auch von so furchtbaren Umständen begleitet, daß sie die öffentliche Meinung in hohem Grade beunruhigen. Wer könnte ohne tiefe Erregung an die Katastrophe auf dem Gipfel der Jungfrau (vergl. S. 563 der „Gartenlaube“) zurückdenken, welche sechs hoffnungsvollen jungen Männern das Leben kostete? Wer vermöchte den schauerlichen Absturz des Oberlehrers Prix von der Parseierspitze, die verhängnißvolle Glocknerfahrt des Marchese Pallavicini oder den grauenhaften Tod des kühnen Emil Zsigmondy vergessen? Daß diese und eine Reihe anderer Unglücksfälle, deren die Annalen des Bergsports nur zu viele verzeichnen, lediglich durch die in früherer Zeit unbekannte Leidenschaft des Bergsteigens veranlaßt wurden, steht außer allem Zweifel. Dürfen wir nun Angesichts solcher Vorkommnisse das Bergsteigen

  1. Am Schlusse des interessanten Artikels „Mahnungen aus den Hochalpen“ von Heinrich Noé haben wir unseren Lesern versprochen, daß wir die wichtige und jetzt die Gemüther so lebhaft beschäftigende Frage des alpinen Sportes noch einmal in streng sachgemäßer Weise erörtern werden. Es freut uns, für diese Arbeit Herrn Professor Dr. Karl A. von Zittel, den verdienstvollen Vorsitzenden des „Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins“, gewonnen zu haben, und wir hoffen, daß der vorstehende Artikel in den weitesten Kreisen nicht nur Interesse erregen, sondern auch Zustimmung finden wird. D. Red. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_719.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2023)