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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Blätter und Blüthen.

Johann Karl August Musäus. (Mit Portrait S. 709.) Am 28. Oktober sind es hundert Jahre, seitdem in Weimar der liebenswürdige Erzähler dahingeschieden, der neben einem Goethe, Herder und Wieland freilich nur auf einem bescheidenen Piedestal stand, dessen Werke aber zum Theil jetzt nach hundert Jahren sich noch so frisch erhalten haben, wie die Werke der Klassiker.

Musäus war am März 29. März 1735 in der Universitätsstadt Jena geboren. Sein Vater war dort Amtscommissarius und Landrichter und selbst eines Pfarrers Sohn, wie auch seine Mutter die Tochter eines Geistlichen. Der junge Musäus lenkte in die Bahnen seiner Vorfahren ein, studirte Theologie, kam aber nicht dazu, eine Kanzel zu besteigen; denn die Dorfgemeinde, der ihn die geistliche Oberbehörde zugewiesen hatte, weigerte sich, ihn zu wählen, weil er einmal als Kandidat sich an einem Tanzvergnügen betheiligt hatte. So begab er sich nach Weimar, wo er 1763 Pagenhofmeister wurde und seit 1770 eine Professur am Gymnasium bekleidete. Die sittenstrengen Bauern, die ihn als Seelenhirten ablehnten, haben sich damit ein Verdienst um unsere Litteratur erworben: denn als Geistlicher würde er schwerlich die Werke verfaßt haben, die ihm einen Namen gemacht. Die Eingebungen seiner guten Laune, denen er in seiner freieren Stellung rückhaltlos folgen durfte, würden ihn in Konflikt mit einem kirchlichen Amt gebracht haben.

Musäus hatte eine satirische Ader; er verstand nach berühmten Mustern zu dichten und verkehrte Zeitrichtungen durch seine Parodieen zu geißeln. Da war damals von England die Mode der großen bürgerlichen Romane herübergekommen; Richardson war mit seinem „Grandison“, seiner „Pamela“ und „Klarissa“ der Held des Tages geworden. Diese weitschweifigen Romane hatten allerdings die Absicht, die Menschen zu bessern und zu belehren; aber es geschah dies im Ton einer so falschen Empfindsamkeit und affektirten Rührseligkeit, daß ein gesunder Sinn und Geschmack sich unangenehm davon berührt fühlen und dagegen Protest erheben mußte. Das geschah durch Musäus in seinem Roman: „Grandison der Zweite“ (2 Bände, 1760 bis 1762), in welchem er, sich an das Vorbild des Don Quixote anlehnend, den Roman Richardson’s parodirte. Und als der fromme Züricher Lavater mit seiner Physiognomik der Menschenkenntniß in stürmischer Weise neue Gebiete erobern wollte, wobei es nicht ohne abenteuerliche Auslegungen und den quacksalbernden Prophetenton selbstgewisser Weisheit abging, da geißelte Musäus die Auswüchse dieser neuen aufdringlichen Lehre in seinem Werke: „Physiognomische Reisen“ (1778 bis 1779), eine Schrift, die durch ihren schlagenden Witz dem Autor eine große Zahl von Freunden erwarb.

Diese Werke, so geistreich sie waren, so sehr sie in die damalige Zeit eingriffen, verschwanden doch wieder mit den Zeitrichtungen, die sie geißelten, und ließen ihre Spur nur in der Geschichte des deutschen Schriftthums zurück. Zu bleibendem Genuß aber auch für die Nachwelt erhielten sich „Die Volksmärchen der Deutschen“ (5 Bde. 1782 bis 1787), in welchen das graziöse Erzählertalent von Musäus seine unbestrittenen Triumphe feiert. Hier zeigt er sich als ein Jünger Wieland’s, dessen „Oberon“ er ein schön versificirtes Märchen von achtzehn oder mehr tausend Reimen nennt: das waren die anmuthigen Plaudereien, wie sie aus der Feder des schalkhaft lächelnden Meisters der attischen Grazie flossen. und doch war ein nicht unwichtiger Unterschied zwischen den Beiden bemerkbar: Wieland huldigte vielfach der orientalischen, noch mehr der französischen Dichtweise; davon wollte Musäus nichts wissen. „Reichthum an Erfindung, Ueppigkeit und Ueberladung an seltsamen Verzierungen zeichnet die morgenländischen Stoffe und Erzählungen; Flüchtigkeit in der Bearbeitung, Leichtigkeit und Flachheit in der Anlage die französischen Feeerieen und Manufakturwaaren, Anordnung und Uebereinstimmung und handfeste Komposition die Geräthschaft der Deutschen und ihre Dichtungen.“

So spricht sich Musäus aus, und damit entscheidet er sich für das deutsche Märchen.

Freilich, nicht für das Kindermärchen, wie es die Grimm’s und ihre Nachfolger geschaffen oder aus der Ueberlieferung des Volkes heraus in der ursprünglichen naiven Form dem Schriftthum angeeignet haben. Das einfach Herzige, Kindliche, Schlichte liegt den Märchen von Musäus fern; er selbst will ja nicht im Kinderton der Märchen „einer Mutter Gans“ erzählen. Gleichwohl lehnen sie sich an deutsche volksthümliche Stoffe an; die Darstellungsweise aber ist eine geistreiche; die freispielende und freischaffende Phantasie des Erzählers kommt zu ihrem vollen Rechte. Feine Ironie, schalkhafter Muthwille streuen ihre wechselnden Lichter darüber; immer aber wirkt die Fabel mit selbständigem Reiz, ohne sich in ein Sprühfeuer willkürlicher Phantasiespiele zu verflüchtigen, wie bei Ludwig Tieck und seiner Schule; die Legenden von „Rübezahl“, „Michilde“, eine Neudichtung des Märchens von „Schneewittchen“, „Die Nymphe des Brunnens“, „Der geraubte Schleier“ und viele andere dieser Märchen werden noch heute wie vor hundert Jahren die Leser erfreuen.

Und so sei das Gedenkblatt zur Säkularfeier dem bescheidenen Erzähler gewidmet, dessen heiter lächelnder Charakterkopf im Album unserer Litteratur immer seine Stelle finden wird. †      

Schönheitskonkurrenzen. Aus Ungarn sowohl wie aus Belgien wird über Preiskrönungen weiblicher Schönheiten berichtet, die in letzter Zeit stattgefunden. Bei der großen Verschiedenartigkeit des Geschmacks bleibt die Thatsache immerhin merkwürdig, daß sich die Preisrichter über eine solche Entscheidung einigen können. Und doch ist dies in Pest wie in Brüssel betreffs der ersten Preise der Fall gewesen. In Brüssel hatten allerdings die neunzehn Preisrichter über die Schönheit der Schönen sehr abweichende Ansichten und über jeden Preis mußte eine geheime Kugelung stattfinden. Natürlich geht der Hautpreisvertheilung eine Ausmusterung in den verschiedenen Stadtvierteln voraus; da sind mehrere Preisjurys mit der „Aussiebung“ der überhaupt in Betracht kommenden Schönheiten thätig. In Brüssel handelte es sich zuletzt um acht junge Damen, aus denen die Schönste und die Schönsten, da es mehrere Preise gab, endgültig ausgelesen werden sollten. Im Pester Stadtwäldchen dagegen ging man liberaler zu Werke: schon bei der Vorprüfung hatten dreißig Schönheiten ausreichend bestanden, um bei der Hauptentscheidung in Betracht zu kommen. Außerdem wurde von dem Vorsitzenden des aus vier Edelleuten bestehenden Komtités noch mit lauter Stimme bekannt gemacht, daß sich Konkurrentinnen um den Schönheitspreis melden möchten. Und da durchbrachen noch zehn junge Mädchen den Kordon, im vollen Gefühl ihrer Berechtigung, mit dem Preise gekrönt zu werden.

Den ersten Preis im Pester Stadtwäldchen erhielt Gisela Scholz, eine sehr anmuthige Blondine, der ihre Rosatoilette vortrefflich stand; brausende Eljenrufe begrüßten die siegreiche Schönheit.

Den zweiten Preis erhielt Ida Toronyi, eine schöne Brünette, mit feurigen schmarzen Augen, welche bereits vor fünf Jahren einen Schönheitspreis erhalten und sich preiswürdig konservirt hatte. Den dritten Preis erhielt eine junge Wittwe, Marika Kolos, ebenfalls eine Brünette. Die jungen Damen hatten einen schweren Stand gegenüber der begeisterten, sich an sie herandrängenden Menge, welche ihre Kleider, ihre Haare berührte und nicht übel Lust hatte, sie auf den Schultern im Triumph davonzutragen.

Ohne stürmische Eljenrufe, aber nicht ohne pikante Arabesken ging die Preisverteilung in Brüssel vor sich. Eine Näherin, Fräulein Valdeken, erhielt wegen ihrer romantischen Schönheit und besonders ihrer prächtigen Augen wegen den ersten Preis und zugleich einen Kuß auf die Wange, den ihr der Vorsitzeude des Komités zu ertheilen das Recht und die Pflicht hat nach altem Brüsseler Stadtrechte. Eine klassisch schöne Schneiderin gewann den zweiten Preis. Bei den späteren war die Einigung schwieriger und man beschloß zwei fünfte Preise auszutheilen. Den letzten gewann eine Blumenverkäuferin, Fräulein Paque; da sie bei dem Konkurs zu spät erschienen war, so verurtheilte sie die Jury, zur Strafe ein Lied vorzutragen: es war bekannt, daß sie sehr hübsch sang. Nun wollten auch die andern preisgekrönten Schönheiten singen; einer wurde es noch verstattet; dem Andringen der übrigen aber leistete die Jury Widerstand und schloß die Sitzung.

In deutschen Landen besteht unseres Wissens nirgends eine althergebrachte Sitte, der zufolge solche Schönheitskonkurrenzen stattfinden. Doch wo eine „alte Sitte“ fehlt, könnte sie leicht durch eine „neue Mode“ ersetzt werden. Bisher hat bei uns nur jeder Einzelne das Recht, einer Schönheit den Preis zu ertheilen. †      

Die Elfenbeinfächer haben ihre frühere Harmlosigkeit verloren: sie dienen jetzt zum Theil als Autographenalbums und schon mancher berühmte Mann ist durch die Ankunft eines derartigen eleganten Toilettenstücks daran erinnert worden, daß der Ruhm auch seine Beschwerden mit sich bringt. Die Autographensammler jeder Art ertheilen den Herbergsgenossen der Konversationslexika diese Lehre in oft empfindlicher Weise. Wir haben in dem Artikel „Ein Stück Fächerlitteratur“ in Nr. 11, S. 173, den Lesern der „Gartenlaube“ Proben davon gegeben. Nicht alle Besitzerinnen schöner Fächer sinld indeß so glücklich wie Adeline Patti, die auf dem ihrigen die Inschriften so vieler gekrönter Häupter trägt. Ihre frühere eigene Landesmutter, die Königin Christine von Spanien, schrieb die Worte darauf: „Der lieblichsten Spanierin eine Königin, die stolz darauf ist, sie zu ihren Unterthanen zu zählen.“ Königin Viktoria: „Wenn es wahr ist, was König Lear sagt, daß eine sanfte Stimme ein schönes Ding am Weibe ist, dann sind Sie, meine holde Adeline, die entzückendste aller Frauen.“ Sehr sinnig und treffend in ihrer Kürze sind die Worte Kaiser Wilhelm’s I.: „Der Nachtigall aller Jahreszeiten“, während man aus denjenigen des Kaisers Alexander III. die Sehnsucht nach Ruhe herauslesen mag, die der so mächtige Herrscher gewiß oft empfindet: „Nichts beruhigt süßer als Ihr Gesang; selbst aufgescheuchtem Wilde würde er sofort das Gefühl der Ruhe geben.“ Der frühere Präsident der französischen Republik, Thiers, hat auf dem Fächer ein Epigramm mit ganz artiger Pointe eingezeichnet: „Königin des Gesangs, ich reiche Dir die bürgerliche Rechte.“ †      

Marodeure. (Mit Illustration S. 721.) Das Bild von Professor W. Diez ist ein stimmungsvolles Kriegsbild aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und erinnert uns an einige Kapitel in dem Roman: „Simplicius Simplicissimus“, der uns von dem wüsten Leben und Treiben jener Zeit ein treues Gemälde giebt. Damals zuerst bildeten sich aus zurückbleibenden Truppen jene dem Heere nachziehenden Räuberbanden, welche von dem französischen Worte „maraud“ (Schurke) den Namen Marodeurs erhielten. Raub und Plünderung, Mord und Brand war ihr traurig Handwerk; mit bewaffneter Hand führten sie das Werk der Verwüstung und Zerstörung aus: die Waffe des Kriegers ward bei ihnen zur Waffe des Räubers.

Unser Bild zeigt uns im Vordergrunde zwei dieser Hyänen des Schlachtfeldes. Der eine Marodeur hat eine Fahne erbeutet. Gewiß hat sich der schwerverwundete Fahnenträger noch zur Wehr gesetzt; denn der Beutemacher zeigt eine verbundene Stirn und hat sich wohl nicht ohne Kampf des Beutestücks bemächtigt. Der andere, dessen Kriegskleid sich zum Theil in traurige Lumpen verwandelt hat, schmaucht seine Thonpfeife mit einem gewissen Behagen; denn der Sack, den er auf dem Rücken trägt, ist reich an Beutestücken. Weiter hinten folgt ein lustiger Reiter auf einem geraubten Ackerpferde, das durchaus nicht kriegsmäßig ausgerüstet ist. Dieser improvisirte Kavallerist hat einen Mantelsack hinter sich, der jedenfalls für den Eifer spricht, mit welchem er Schlachtfelder und Bauernhöfe ausgeplündert hat.

Es folgt ein lustiger Zug dieser Heuschreckenschwärme, welche hinter der Kriegsfurie einher verheerend durch die Lande ziehen: ein Sittenbild aus einer wüsten Zeit. Die Kriege sind menschlicher geworden und die heutige Disciplin duldet nicht dies Räuberunwesen. Ganz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_723.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)