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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Frage an sie; schweigend wartete er, bis sie in leisen, stockenden Lauten die Sprache fand. Und da sagte sie ihm, daß es ihr letzter Gedanke gewesen wäre, ihm das Herz zu betrüben, ihn wissentlich zu hintergehen. Als er das Haus verlassen, hätte sie gethan, wie er ihr befohlen – sie hätte seine Linnengewänder am Brunnen gewaschen. Aber in dem harten, moosigen Brunnenwasser hätte sie das Linnen nicht rein und weiß gebracht, und so wäre sie gegangen, um es im rinnenden Bache zu spülen. Und da wäre er plötzlich vor ihr gestanden – er – und da hätte sie in ihrer jäh erwachten Herzensfreude vergessen, was sie dem Vater vor Wochen in die Hand gelobt. Zitternd verstummte sie; aber immer noch schwieg der Bygotter, ihre Augen gebannt haltend mit funkelnden Blicken – und da begann sie aufs Neue zu sprechen, flüsternd und unter Thränen, und Alles sagte sie dem Vater, was sie ihm von Karli zu sagen wußte – von seiner Liebe und von ihrem eigenen Herzen.

Als sie geendet hatte, erhob sich der Bygotter und winkte ihr, daß sie ihm folgen sollte. Er schritt ihr voraus in die traurig kahle Stube und trat auf den morschen Tisch zu. Hier lag ein großes Buch, und das schlug er auf.

„Komm’ zu mir! Und wenn Du die Wahrheit geredet hast, so lege Deine Hand hierher – auf Gottes Wort!“

Sie legte ihre Rechte auf das Buch. „Daß ich d’ Wahrheit g’sagt hab’, Vater!“

„Und daß Du nichts verschwiegen hast – nichts – nichts?“

„Und daß ich nir verschwiegen hab’!“

So beängstigend auf Sanni bis nun die finstere Starrheit des Vaters gewirkt hatte, ebenso beängstigend wirkte jetzt auf sie die unheimliche Freude, welche jählings aus seinen glühenden Augen brach. Er riß sie an sich und drückte sie an seine Brust, daß ihr der Athem fast verging. Er streichelte ihr mit zitternden Händen das Haar und die Wangen, und während er ihre Stirn mit heißen Küssen bedeckte, lallte und schluchzte er: „Susanna – mein Kind – mein Leben giebst Du mir wieder – und die Hoffnung meiner Seele! Meines Ausgangs Schwelle bist Du, von reinem Holze und unbetreten! Die Leiter Jakob’s bist Du mir – das Siegel der Vollendung! Meine Augen hatten wider Dich gezeuget – und Gott hat gezeuget für Dich. Seine Arme stehen Dir offen – und harren wird er und sitzen auf den Steinen des Weges, wenn Du mir vorangehst, auf daß ich ihn finde, der sich verschließet vor mir!“

Wieder preßte er sie an seine Brust, mit so ungestümer Gewalt, daß ihr unter einem stöhnenden Laute die Sinne vergingen.

Als sie wieder zum Bewußtsein erwachte, sah sie sich in ihrer Kammer auf dem Bette liegen. Draußen in der Stube hörte sie die hastigen Schritte des Vaters, ein Poltern wie von fallenden Scheiten und dann ein Rascheln, als würden Späne auf die Dielen geworfen. Eine Weile lauschte sie in einem traumhaften Zustande den Geräuschen, welche durch die geschlossene Thür an ihr Ohr schlugen und die sie sich nicht zu deuten wußte. Die Gedanken versagten ihr. Aufseufzend drückte sie die Hände vors Gesicht und weinte bittere Thränen. Dann wieder horchte sie – eine Thür hatte sie gehen hören, und es kam ihr vor, als verließe der Vater das Haus. Da hörte sie auch seine Tritte von draußen her über den gepflasterten Vorplatz hallen und auf dem knisternden Kiesweg sich entfernen. Sie sprang vom Bette und eilte an das kleine vergitterte Fenster; aber sie konnte von ihm aus das Zaunthor nicht gewahren. So flog sie auf die Thür zu – und fand sie verschlossen. Mit erschrockenen Augen starrte sie die Bretter an, und dann überfiel sie eine namenlose Angst – um sich selbst? – um den Vater? Das wußte sie nicht; sie fühlte nur, daß es ihr war, als möchte ihr der Herzschlag stocken und das Blut gerinnen. „Jesus Maria!“ schrie sie schluchzend auf und begann mit beiden Händen an der Thür zu rütteln. Ein Knirschen und Knacken – und unter ihrer schwachen Kraft zerbrach das vom Roste zerfressene Schloß. Aufathmend taumelte sie in die Stube. Hier stand sie eine Weile und starrte nach dem Tische, auf welchem zwei lange Kienholzfackeln und ein großes Bündel dünn geschliffener Späne neben schweren Fichtenscheiten lagen, die mit Stricken zu einem mächtigen Packe verschnürt waren. Dann eilte sie in den Flur hinaus und fand auch die Hausthür versperrt. Aber die Stubenfenster waren ja nicht vergittert! Sie flog zurück, riß an einem der Fenster den Flügel auf und sprang in den Hof hinaus. Zitternd lehnte sie sich an die von der sinkenden Sonne röthlich beschienene Mauer und drückte die Hände vor die Augen. Nun wußte sie sich nicht zu sagen, weßhalb sie das Alles gethan, und wozu. Da fielen ihre verstörten Blicke auf das halb offene Zaunthor, welches, vom Winde leicht bewegt, in seinen hölzernen Angeln knarrte. Mit zögernden Schritten näherte sie sich dem Thore, trat unter die leise rauschenden Bäume hinaus und rief mit schwankender Stimme ziellos in die Dämmerung des Waldes: „Vater! – Vater!“

Wie aber hätte der Bygotter diesen schwachen, scheuen Ruf noch hören sollen? Er war schon zu weit von seinem Gehöft entfernt. Er hatte die Straße schon erreicht, auf welcher er mit weit ausgreifenden Schritten dem Dorf entgegenwanderte. Die langen Flügel seines Rockes flatterten hinter ihm; der graue mächtige Bart wehte über seinen Schultern; unter seinen Schritten wirbelte der Staub empor und legte sich weiß in die Runzeln der hochschäftigen Stiefel. Seine Augen waren halb in die Höhe gerichtet und starrten mit flackernden Blicken ins Leere. Er sah nicht die Schönheit des Abends, dessen roth überglühter Himmel die herbstlich bunte Landschaft mit einem zauberhaften Schimmer übergoß. Und als er das Dorf erreichte, schaute er nicht links noch rechts und sah nicht, wie die Leute an die Fenster eilten, wie sie aus den Thüren stürzten, wie sie ihm mit den Armen nachdeuteten und wispernd oder lachend zu einander traten.

Vor einem Hause endlich hielt er still – vor dem Hause des Krämers. Und diese Augen, die der alte Krämer machte, als er den Bygotter in seinen Laden treten sah! Und mehr noch, als er hörte, was der Bygotter von ihm zu kaufen wünschte: ein Messer, wie es die Schlächter führen, mit langem und breitem Stahl, scharfgeschliffen und niemals noch von einer Hand benützt. Kopfschüttelnd legte ihm der Krämer das Gewünschte vor. Mit funkelnden Augen betrachtete der Bygotter das Messer und prüfte die Schärfe der blitzenden Klinge an seinem Daumennagel. Was es kosten sollte? Zwei Mark und achtzig Pfennige – und das wäre geschenkt, meinte der Krämer – auch nur aus alter Freundschaft könnte er das Messer zu diesem Preise lassen. Der Bygotter nickte nur, stieß das Messer in die lederne Scheide und schob es hinter den hohen Schaft des linken Stiefels. Dann sagte er, daß er nicht bezahlen könne – aber er wolle tauschen – Gold für Eisen. Dabei griff er in die Tasche und legte einen kleinen goldenen Reif auf den Ladentisch – den Ehering seines Weibes. Der Krämer machte verdutzte Augen; aber er war mit dem Tausche zufrieden. Das konnte er nun freilich dem Bygotter nicht mehr sagen – der hatte, ohne die Meinung des Krämers abzuwarten, den Laden verlassen.

Und wie er durch das ganze Dorf einhergeschritten, so schritt er nun, der Straße folgend, wieder heimwärts. Doch hatte er die Hälfte des Dorfes noch nicht durchwandert, als er plötzlich wie angewurzelt inmitten der Straße stehen blieb.

Winselnde Geigentöne und schmetternde Trompetenklänge schollen ihm entgegen.

Da wurde dem Pointner mit seiner jungen Bäuerin „heimgeblasen“. Der Zug erfüllte die ganze Straße. Voraus die Musikanten. Hinter ihnen der Hochzeitslader inmitten des Brautpaares – und während Kuni frei an seiner Seite schritt, mit blassem, verstörtem Antlitz, mit schmalen Lippen und gesenkten Augen, hatte er schwere Mühe, den taumelnden Pointner aufrecht zu erhalten und vorwärts zu bringen. Den Dreien folgte ein einzelner Hochzeitsgast mit eingekniffenen Augen, die Cigarre schief im Munde, die beiden Hände in den Taschen der schwarz und grün gewürfelten Jacke.

Dann kam die lange Paarreihe der Mahlgäste, unter ihnen Karli, finster zu Boden starrend, Martl, Zenz und Stoffel mit lachenden Gesichtern. Ein Trupp johlender Burschen und kichernder Dirnen hatte sich dem Zuge angeschlossen.

Näher und näher kam dieser Zug, und immer noch stand der Bygotter auf der gleichen Stelle. Aus seinen Blicken sprühte ein wilder Zorn; seine Hände ballten sich, und an Stirn und Schläfen schwollen ihm die Adern zu dicken Striemen. Und jetzt erhob er mit drohendem Schütteln die Arme; aber die Worte, mit denen er diese Gebärde begleitete, erstickten ungehört unter dem Schmettern der Trompeten.

Nun standen die Musikanten dicht vor dem Bygotter; der Zug staute sich; die Leute reckten die Hälse und traten aus der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_734.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)