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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Reihe. Da schien es, als möchten die Musikanten die Klügeren spielen, denn da der Bygotter nicht zur Seite wich, schwenkten sie um ihn herum. Einen der Bläser schien aber doch die Neugier zu packen; er setzte die Trompete ab und schaute lachend zurück; ein anderer that’s ihm nach, die übrigen geriethen aus dem Takte; nach einem kurzen, ohrzerreißenden Tongewirr verstummte die Musik, und das Gelächter wurde hörbar, mit dem es durch die Reihe schrie und kreischte: „Jesses, der Bygotter, da schaut’s her, der Knotzensepp!“ Im Nu hatte eine lachende Schar den Bygotter umringt, dessen zornig rollende Stimme alle anderen übertönte: „Feste feiern sie, den Bauch füllen sie mit Fraß und Jauche, mit Pauken und Zinken tanzen sie die Straße des Lasters und der Sünde, statt daß sie wandeln den Weg des Herrn in Sack und Asche! Aber kommen wird ein Tag, nahe ist er und eilet schon herbei! Ein Tag des Grimmes ist selbiger Tag, ein Tag der Vernichtung, ein Tag der Finsterniß, ein Tag der Drangsal und Angst!“

„Miau – ouih – au – oh,“ kam es mit Winseln, Stöhnen und Gelächter von allen Seiten, während man den Hochzeitslader die Musikanten anschreien hörte: „Ja malefiz noch amal – spielen, sag’ ich – und weiter! Wie könnt’s Euch denn aufhalten lassen von dem alten Narren da, daß mir der ganze Zug aus einander kommt!“ Dem Pointner aber schien diese Anordnung nicht zu taugen. „Nix da – da’blieben wird!“ lallte er. „Ich möcht’ auch ’was hören – und wann ich gleich an Rausch hab’ – ich g’hör’ ganz vornhin – ich bin der Hochzeiter!“

Und während dieses Durcheinanders von kreischenden Worten und spottenden Lauten rollte und grollte die Stimme des Bygotter’s: „Das Unheil und die Rache sehet Ihr schweben über Eurem Haupte, und nichts thuet Ihr, sie abzuwenden! Ihr ziehet Euch die Strafe her an Stricken des Lasters und an Wagenseilen den Sündenlohn! Das Rind kennt seinen Hüter und der Esel die Krippe seines Herrn; Ihr aber kennt nicht den Gott, von dem Ihr ausgegangen. Ein Volk Gomorras seid Ihr; von Euren Köpfen bis zu Euren Füßen ist an Euch nichts Reines und Gesundes! Die sich Männer heißen unter Euch, sie mästen sich vom Raub der Armen, der in ihren Häusern ist. Stolz dünkt Ihr Euch, und Helden meint Ihr zu sein! Ja, Helden seid Ihr im Schlemmen und Völlern! Und hoffärtig sind Eure Weiber und Töchter! Sie gehen einher mit gerecktem Halse, frech die Augen werfend und klirrend mit silbernen Ketten, die Haare duftend von Oel! Aber ein Tag wird kommen, und statt des Wohlgeruches wird Moder sein, Verwesung statt schwellenden Fleisches und statt der duftenden Haare wird Glatze sein!“

Da hob sich über das Johlen und Lachen, welches die Reden des Bygotter’s begleitete, eine schrille Mädchenstimme: „Buben! Buben! Ihr wollt’s Buben sein und laßt’s auf Euere Deandln solchene Sachen sagen! Pfui der Teufel! Von mir aus könnt’s heut’ Nacht mit die Besenstiel tanzen! Und was a richtigs Deandl is, die halt’s mit mir!“ Und aus der Schar der Dirnen kam die Zustimmung: „Ja! Ja! Ihr seid’s Buben! Schöne Buben!“ Einer der Burschen lachte: „Recht hat d’ Wabi – ganz Recht!“ Eine andere Stimme schrie: „Werft’s ihn ’nein in Straßengraben!“ und eine dritte rieth: „Haut’s ihn durch, daß ihm d’ Heiligkeit zu blaue Fleck’ auswachst!“

Der Bygotter aber streckte die Arme gegen den Himmel und donnerte in die Lüfte: „Ihr Schmähen hörst Du, Gott, und ihre Anschläge wider mich! Zahl ihnen Vergeltung nach ihrem Thun und Reden! Dein Fluch komme über sie! Verfolge sie im Zorne. Tilge sie hinweg –“

„Tilgen? Was? Tilgen? Wart’ – Dir will ich tilgen!“ kreischte der Maurer-Hansl, stürzte auf den Bygotter zu und packte ihn an der Brust. Ein wilder Tumult erhob sich, ein Dutzend Arme schwang sich in die Höhe, und während die Aelteren und Besonnenen, unter ihnen Karli, vergebens zu wehren suchten, regnete es Faustschläge über Kopf und Schultern des Bygotter’s.

Der rührte keinen Arm zur Abwehr. Mit jauchzender Stimme schrie er gegen Himmel: „Sieh, Herr – Deinen Knecht sieh an – was der duldet um Deines Namens willen! Meinen Rücken gab ich den Stoßenden und meine Wange den Schlagenden. Mein Antlitz biete ich der Schmach und dem Speichel! Sieh, Herr – Deinen Knecht sieh’ an –“

Da hatte sich Karli durch den Knäuel der Raufenden durchgezwungen. Unter zornigen Worten schlug er die Arme nieder, die den Alten gefesselt hielten, und stieß ihn gegen die freie Straße. Unter der Wucht dieses erlösenden Stoßes taumelte der Bygotter bis an den Zaun des nächsten Gehöftes. Hier raffte er sich auf, riß vom Halse an das Hemd entzwei und schrie: „Hier – sehet – meine nackende Brust! Ich fürchte nicht Eure Fäuste! Denn nahe ist, der mir Recht schafft! Mit ihm zusammen will ich auftreten. Wer ist mein Gegner – er nahe sich mir! Siehe, sie Alle, wie morsche Rinde zerfallen sie, und ihr Staub zergehet in fließendem Wass…“

Das Wort erstarb ihm auf den Lippen, und während rinnendes Blut seine linke Backe färbte, stürzte er mit dumpfem Schlag zu Boden.

Ueber die Köpfe der Burschen hinweg hatte von irgendwoher ein Stein die Schläfe des Bygotter’s getroffen.

Allen Andern voraus, eilte Karli auf den leblos Scheinenden zu. Wirres Geschrei erhob sich. Keiner wollte wissen, wer den Stein geworfen, keiner wollte es gethan haben. Und mitten in dieses Schreien, Schelten, Streiten und Jammern schmetterten die Trompeten der Musikanten, die der Hochzeitslader endlich zu Paaren gebracht. Energisch griff er dem Pointner unter die Arme, zerrte ihn an Kuni’s Seite; den Dreien folgten all die Vielen, welche jetzt „dahinten“ nicht mehr „dabei sein“ wollten, und so ging es vorwärts unter lustigen Klängen, bis der Pointnerhof erreicht war.

Hier schenkte der Hochzeitslader dem neuvermählten Paare den sonst üblichen „Zuspruch“. Er schob den lallenden Pointner über die Hausschwelle bis unter die offene Stubenthür. Dann warf er ihn in Kuni’s Arme, rückte den Hut und kehrte schnaufend in den Hof zurück, um die Musikanten nach dem Wirthshaus zu führen.

Während sich unter einem fidelen Marsche der Hof entleerte, zog Kuni in der dämmerigen Stube drinnen den schwankenden Pointner gegen die Kammerthür. Der aber wollte nicht folgen; mit Gewalt suchte er sich loszureißen und lallte dazu mit schwerer Zunge: „Na – net – ich mag net! Mein’ Karli möcht’ ich haben – mein’ Buben! Na – und Kreuz Teufel noch amal – ich laß’ ihn net drauß – unter dene Wildling’ – daß ihm ’was g’schieht – allein – solchene Räuber und Mörder – Spitzbuben – Halunken – Mordbrenner! Mein’ Buben möcht’ ich haben – mein’ Karli!“

Da stieß ihn Kuni mit zorniger Faust in die Kammer und schmetterte zwischen ihm und sich die Thür zu. Schwer athmend stand sie und preßte die Hände wider die Stirn. Eine Weile noch hörte sie den Pointner in seiner Kammer rumoren, dann wurde es stille hinter der Thür. Und da schritt sie wankenden Ganges durch die dunkle Stube, sank stöhnend auf die Holzbank nieder, warf sich über den Tisch, und das Gesicht in die Arme grabend, brach sie in krampfhaftes Schluchzen aus.




10.


Eine Stunde später – und stille Nacht lag über dem Pointnerhofe. Scharf und schwarz hoben sich die Dächer vom Himmel ab, an welchem in zahlloser Schar die Sterne funkelten. Manchmal trug der wechselnde Wind den vermischten Hall eines Jauchzers und einzelne gedämpfte Klänge der Tanzmusik vom fernen Wirthshaus her. In den Ställen rasselte ab und zu eine Kette; leise flüsterten die nahen Bäume, und melancholisch plauderte der Brunnen.

Mit gekreuzten Beinen, die qualmende Pfeife an den Lippen, saß Götz auf einer Ecke des Brunnentroges. Vor ihm, die Hände hinter dem Rücken verschlungen, stand Martl. Schweigend schauten sie vor sich hin. Sie hatten ja lange genug geredet über diese Hochzeit und über die Geschichte mit dem Bygotter. Das heißt, geredet hatte der Martl, während Götz ein wortkarger Zuhörer gewesen.

Jetzt reckte Martl gähnend die Arme. „No also, legen wir uns halt schlafen.“

„Kannst schon gehn!“

„Und was is dann mit Dir?“

„Ich hab’ noch kein’ Schlaf net!“

„Geh weiter, versaumst ja die schönste Zeit! Aber mein’twegen! Gut’ Nacht!“ Bei diesen Worten hatte sich Martl schon zum Gehen gewandt. Da kehrte er wieder um. „Ja, Du, was

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_735.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)