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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

ich schier vergessen hätt’. Weißt denn schon, daß wir morgen an neuen Einstand kriegen am Hof? An Herrn Bruder von der gnädigen Frau Bäuerin!“

Götz setzte die Pfeife ab und hob den Kopf.

„Ja, heut’ Nachmittag bei der Hochzeit, da is er auf amal da g’wesen, der Herr Bruder. Kein Mensch net hat ihn kommen sehen. Und a sakrische Freud’ muß die Bäuerin g’habt haben mit ihm. Alle Farben hat s’ g’spielt, und völlig ’zittert hat s’ an Händ’ und Füß’. Und wie der Bauer dazu ’kommen is, da hat sich der Herr Bruder gleich auf B’such eing’laden, und da is Dir die Bäuerin ordentlich erschrocken! G’wiß wird sie sich ’denkt haben, daß der Bauer grob werden könnt’ – auf so a Keckheit ’nauf. Er hat auch net gleich anbeißen wollen, der Bauer. Aber wie nachher die Bäuerin so g’redt hat, als wie wann ’kein rechter Platz net wär’ im Hof, da hat der Herr Bruder seiner Frau Schwester g’rad ’nein ins G’sicht g’lacht. Ja, und den Bauern hat er untern Arm g’nommen und hat ihn wo ’nein’zogen in a Eck, wo s’ nachher ein Haferl um’s ander’ schön sauber aus’bichelt[1] haben mit einander! No ja – und morgen wird er sein’ Einstand halten, der Herr Bruder. Aber kannst Dir denken, was d’ Leut’ für Augen g’macht haben, und wie g’spaßig da um einander g’redt worden is. Wann die Bäuerin schon an Bruder hätt’, warum hat s’ ihn net zur Hochzeit eing’laden und hat net g’redt davon? Und wann s’ ihn schon net eing’laden hat, wieso nachher is er ’kommen? Weßwegen war s’ denn so derschreckt? Und wann s’ ihn net mag, weßwegen laßt s’ ihn denn ins Haus? Ich sag’ Dir’s, Götz, das Fragen und Wispern hat unter die Leut’ schiergar kein End’ net g’nommen! Aber no, jetzt is er amal da, der Bruder! Auf wie lang, das weiß ich net. Geht mich auch nix an! Und jetzt gut’ Nacht.“

Von Neuem gähnend schlurfte Martl davon.

Mit nickendem Kopfe schaute Götz ihm nach, und als der Andere verschwunden war, schleuderte er die Asche aus der Pfeife und stieß mit zornigem Lachen vor sich hin: „Morgen schon oder übers Jahr – aus’blieben wär’ er ja nie net – der Bruder von weiß Gott woher!“

Rasche, hallende Schritte näherten sich auf der Straße.

Götz erhob sich und ging auf das Zaunthor zu.

„Karli!“ rief er mit halblauter Stimme in die Nacht hinein.

„Ja, Götz!“ scholl es entgegen.

Karli betrat den Hof und drückte in zitternder Erregung die Hand des Knechtes.

„Wo kommst denn her so spät? Beim Tanz wirst dengerst so lang net ’blieben sein?“

„Wie kannst denn so ’was denken? Heimschaffen hab’ ich ihn helfen – den selbigen – wirst ja wohl g’hört haben, was g’schehen is! Na! D’ Haar’ möchten Ei’m aufstehn! Komm, Götz, komm! Ganz drucken thut’s mich, daß ich mich amal ausred’ zu Dir!“

Mit ungestümer Hast schob Karli seinen Arm unter den des Knechtes und zog ihn mit sich fort, quer durch den Hof und in den Garten zu jener gleichen Bank, zu welcher Götz ihn am verwichenen Morgen nach jenem plötzlichen Sturze geführt hatte. Noch auf dem Wege zur Bank erzählte Karli, wie er unter Beihilfe einiger anderer Burschen den Bygotter nach Hause geschafft hätte. Der hätte sich aus seiner Betäubung bald wieder erholt; aber wenn sie auch gleich gesehen hätten, daß es so gar gefährlich um ihn nicht stünde, so hätten sie ihn doch nicht mehr aus ihren Händen gelassen. In schäumendem Zorne hätte sich der Bygotter anfangs gegen ihre Führung gewehrt und hätte dazu bald in den lächerlichsten und bald in den unheimlichsten Worten getobt und geschrieen. Als er aber gemerkt hätte, daß ihm alles Sträuben und Toben wenig nützen könnte, wäre er ganz willig und still geworden, und so hätten sie ihn hinausgeführt bis ins Binderholz.

„Stockfinster is ’s g’wesen,“ erzählte Karli, „aber natürlich, den Weg, den hätt’ ich ja mit verbundene Augen g’funden. Kenn’ ja da draußen jeden Span, der um einander liegt, und jeden Stein. Und wie wir nachher so auf dreißig Schritt zum Zaun hinkommen, da hab’ ich gleich g’merkt, daß ’s Thor offen steht, und für’kommen is mir’s, als sehet ich am linken Pfosten so an g’spaßigen Fleck, der sonst net da g’wesen is. Und wie ich noch so hinschau’ durch d’ Finstern, fangt sich der Fleck zum rühren an, und da hab’ ich auch d’ Sanni gleich ’kennt. Sie muß beim Thor heraußen auf ihren Vatern g’wart’t haben, wie wann sie sich schon ’denkt hätt’, daß ’was B’sonders g’schehen wär’. Und da schlagt s’ auch schon d’ Händ’ in einander, und ‚Vater – Vater!‘ schreit s’ – ich sag’ Dir’s, Götz, die Stimm’ is mir durch’s Herz durch’gangen wie a Stich! Und der Bygotter, wie er sein Deandl hört, macht an Rumpler rechts und links, wirft den Ein’ von uns hinum, den Andern herum, fahrt wie der Teufel auf d’ Sanni zu, reißt’s Deandl am Arm mit ’nein in Hof – und die Bretter hat er hinter ihm zug’worfen, daß ’s g’rad so g’scheppert hat. Ehvor noch von uns Einer an Rührer hat machen können, hat der Bygotter schon den Riegel zug’habt – drin im Hof is’s dahin’gangen übern Kies – und gleich drauf hab’ ich d’ Hausthür ’schlagen hören.“

Sie hatten die Bank erreicht. Seufzend ließ sich Karli nieder und zog den Knecht an seine Seite. Dann wieder begann er zu erzählen, von der Begegnung, die er Nachmittags mit dem Bygotter gehabt, von jenem Morgen vor seiner Abreise, von Allem, was er mit eigenen Augen wahrgenommen oder durch Sanni erfahren hatte.

„Die ganze Zeit schon hab’ ich mir’s denkt,“ so schloß er endlich in heißem Eifer, „und heut’ am Heimweg hab’ ich mir’s g’schworen, daß da ’was g’schehen muß. Das arme Deandl hat ja a Leben, daß’s net zum sagen is! Und net amal in die Kirchen laßt er’s gehen, damit sie sich in der Ordnung mit unserm Herrgott trösten könnt’ – und auch diemal mit andere Leut’ reden – wenn’s auch g’rad an einzigs Mal wär’ in der Woch’. Was meinst? Ich hab’ mir schon ’denkt, ich sollt’ mit ’m Lehrer reden, daß sich am End’ der um d’ Sanni annimmt. Oder – wann gar nix hilft – nachher wird halt dengerst der Pfarrer hinter’n Bygotter einrucken müssen!“

„Der Pfarrer? Ah na! Wie ich die Sach’ jetzt anschau’, mein’ ich, daß da der einzig’ rechte Helfer der Doktor wär’ – wenn überhaupts noch was zum helfen is!“

Da fühlte Götz die zitternde Hand des Burschen auf seinem Arme. Wortlos saßen sie eine Weile. Dann athmete Karli tief auf und murmelte:

„Ja – gelt? So ’was hab’ ich mir selber auch schon g’sagt. Aber natürlich, der Sanni z’ lieb hab’ ich halt dengerst net d’ran glauben mögen. An Elend is ’s allweil g’wesen, die ganze Sach’ – aber das, Götz, das wär’ a fürchtigs Unglück!“

„No geh’, mußt Dich auch net gleich von Allem so anpacken lassen!“ mahnte Götz, während er sich langsam erhob. „Mit ’m Jammer is nie nix g’holfen! Machst halt morgen amal an Sprung hin zum Dokter und verzählst ihm Alles. Nachher werden wir schon sehen, was er meint. Oder wann’s Dir lieber is, geh’ ich statt Deiner. Und jetzt verschlafen wir die Sach’ amal!“

„Schlafen? Ich – und schlafen? Unter ei’m Dach, unter dem – ah!“ Dumpf stöhnend schlug der Bursche die Arme über die Stirn. Sein Leid um Sanni hatte ihn die eigenen Sorgen völlig vergessen lassen, und da waren sie nun plötzlich zu doppelt fühlbarer Pein in ihm erwacht.

Mit schwerem Drucke legte sich die Hand des Knechts auf seine Schulter.

„Geh’, Karli, sei gescheit! G’schehen is g’schehen! Jetzt heißt’s halt weiter denken. A Bißl an ungute Zeit wird’s freilich setzen für Dich –“

„So? Meinst? Ah na, kein’ Tag net bleib’ ich im Haus, und wann ich an Bauernknecht machen muß!“

„Ja natürlich, daß Dich d’ Leut’ auslachen! Bist Dein halbeter Vater, der auch gleich ’s Kind mit ’m Bad ausschütt’ und meint, er müßt’ a Dummheit hinter ei’m Unsinn verstecken. Nix da! G’rad jetzt mußt bleiben, Dir selber und Dei’m Vater z’lieb! Wie sich Alles anschaut jetzt, mein’ ich, Du wirst Dich mit ihm so gar hart net fahren. Aber natürlich, nix G’wiß weiß man allweil net, wie ’s Wetter ausfallt mit der Zeit. Das is gar a zitteriger Barameter – die Bäuerin von heut’! Aber mußt denn nachher gleich an Bauernknecht machen? Was ich Dir sagen will – es is g’rad, daß man weiter denkt – für alle Fäll’ – – der schöne Freithof is auf der Gant und wär’ billig zum haben. Mit Dei’m Muttergut, mein’ ich, zahlst ihn baar aus.“


  1. Einen Krug um den andern geleert.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_736.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)