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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Existenz geworfen, bedeutend verstärkt durch die Ermächtigung des jungen Mannes, bei Brigitta einzutreten.

Siegfried Malköhne war etwa sechsundzwanzig Jahre alt und gehörte einer wegen ihrer Millionen allgemein bekannten Banquiersfamilie an. Diese war von jüdischer Abkunft, aber schon der Großvater des jetzigen Stammhalters zum Christenthum übergetreten. Der jüngste Sohn, Siegfried, der Liebling seines Vaters, war von Jugend an allen kaufmännischen Pflichten und Aufgaben entzogen und dazu bestimmt worden, die großen Konnexionen des reichen Hauses mit den hochgestellten Persönlichkeiten der Gesellschaft in vollem Maße zu verwerthen. So war er nicht nur ein vielgesuchter Gast in den vornehmen Kreisen, sondern hatte es auch nach kaum vollendeten Rechtsstudien zum Legationsrath im Ministerium des Aeußern gebracht. Von ihm sollte gewissermaßen, nach der Meinung seines Vaters, ein neuer Zweig der Familie ausgehen, ein Geschlecht, das von Hause aus allen Handelsgeschäften entfremdet wäre und seinen Anfang in der Politik, in der Diplomatie hätte. Zu diesem Zweck wurde Siegfried von seiner Familie gedrängt, das Schnupftuch auszuwerfen, wie man sagt, das heißt unter den schönsten und vornehmsten Töchtern des Landes zu wählen. Der Adel, den er noch nicht besaß, war kein Hinderniß, sich für seine Wahl in den Kreisen des Adels umzuschauen, denn der Reichthum, über den er verfügte, hätte ihm nicht nur, wenn er gewollt, den Adelsbrief verschafft, sondern ließ über den Mangel desselben Diejenigen hinwegsehen, welche ihn schon besaßen, wäre es auch seit ältester Zeit. Diese älteste Zeit wird in diesem Punkte gerade von der neuesten Zeit verlacht.

Niemand wußte sich zu erklären, weßhalb Siegfried Malköhne nicht schon längst gewählt hatte. Er war den Frauen freundlich gesinnt, und an Proben, daß auch sie es ihm waren, fehlte es keinen Tag. Die einzige Erklärung wäre der ungewöhnlich ernste Sinn des jungen Mannes gewesen, seine Neigung zur Wissenschaft, sein für seine jugendlichen Jahre fast zu gemessenes Verhalten. Allein er war andererseits ehrgeizig und wußte sehr wohl, daß ein verheiratheter Mann, der seine Salons der großen Welt öffnet, viel rascher Karrière macht als ein Junggeselle, besonders wenn jene Salons zugleich die ganze Pracht und allen Luxus einschließen, worauf unsere Zeit so begierig ist. Das Geheimniß seiner Zurückhaltung war nicht bloß die Befürchtung, seines großen Vermögens wegen geheirathet zu werden, obgleich sie ihn allerdings mit unablässigem Mißtrauen erfüllte. Das Geheimniß seiner Zurückhaltung war vornehmlich die verwittwete Geheimräthin Brigitta Forstjung. Er hatte die um zehn Jahre ältere Frau schon in seinem einundzwanzigsten Lebensjahre, also schon vor fünf Jahren kennen gelernt, als ihr Gatte noch gelebt, ein Beamter aus der Provinz und ganz nach dem problematischen Geschmack des verewigten Joachim von Tartarow. niemals war der Zauber, den gerade auf begabte Jünglinge eine ältere Frau übt, mächtiger gewesen, als bei der Begegnung Siegfried’s mit der Geheimräthin. Auch sie hatte sich sagen müssen, daß er ihre erste Liebe war, und so streng das Verhältniß bei Lebzeiten des Gatten in den Grenzen der Konvenienz geblieben – die Wittwe hatte wenigstens so weit ihrem Gefühle nachgeben müssen, daß sie täglich den Besuch des jungen Mannes empfing. Darin lag jetzt der ganze Reiz ihres Daseins, der Brennpunkt ihrer Gedanken, wenn sie sich auch äußerlich als eine vortreffliche Zeichnerin viel mit der Anfertigung von Portraits und Studienköpfen beschäftigte.

Es waren harmlose Besuche, die ihr Malköhne abstattete, so zu sagen, bei offenen Thüren. Brigitta’s ungewöhnlicher Verstand eignete sie sehr zur Vertrauten und selbst zur Rathgeberin bei Behandlung der zartesten Fäden, welche Politik und Diplomatie dem viel beschäftigten und aufstrebenden jungen Manne in die Hand spielten. Von ihrer beiderseitigen Zukunft wurde niemals gesprochen, mit dem leichten frohen Sinn der Jugend glaubte Siegfried, daß die gegenwärtige Situation, die ihn so ganz befriedigte, für immer erhalten werden könnte. Anders war es bei Brigitta; sie war nach Temperament und praktischer Denkungsweise nicht dazu angethan, mit ihrem Dasein in der Schwebe bleiben zu wollen. Insgeheim hatte sie sich einen Zeitpunkt bestimmt, in welchem es entweder zur Erfüllung ihrer heißesten Wünsche oder zu einem immerwährenden Bruch kommen sollte.

Der letztere kam ihr in Rücksicht auf den Unterschied der Jahre sehr wahrscheinlich vor. So wollte sie denn nur noch den ungefährlichen Verkehr, wenigstens bis zu der bestimmten Zeit, ohne Störung fortsetzen können. Es war ihr schon ein Glück, bis dahin an seine Anhänglichkeit, an seine ungeschworene Treue glauben zu können. Als aber das Drängen der Familie Malköhne in den jüngsten Sprößling, daß er endlich eine Wahl treffe, heftig genug wurde, um ihn selbst noch in Gegenwart Brigittas zu verstimmen, als er ihr, die nichts davon geahnt, sein Herz darüber ausschüttete, da wähnte sie, schon jetzt wäre der gefürchtete Augenblick des Bruches gekommen. Wie war sie überrascht und beseligt, als er zum ersten Male erklärte, sich in seinem Leben nicht von ihr trennen zu wollen! Vor der Welt, klagte er, könne der Bund noch nicht geschlossen werden, noch seien Kombinationen zu berücksichtigen, und nichts dürfe übers Knie gebrochen werden. Allein es würde ihm das Dasein schon ganz ausfüllen, wenn er der Neigung Brigitta’s für alle Zukunft gewiß sein könnte, worüber sie sich noch niemals ausgesprochen hätte.

Wie wäre es ihr möglich gewesen, diesem Geständniß, das sie zum ersten Male vernahm, nicht auch ihr eigenes, zum ersten Male offenbartes entgegenzubringen! Indessen folgte dem gewaltigen Sturm des Momentes wieder die frühere Besonnenheit und Ruhe. Sie sagten sich, daß sie glücklich in ihrem bisherigen Verkehr gewesen und daß sie an dem Frieden desselben nichts ändern wollten. Er vertraute ihr, wie bisher, die Angelegenheiten seines Amtes sowie die Erfahrungen, die er in Gesellschaftskreisen eingeheimst hatte, freute sich ihres Verständnisses in schwierigen Fällen und ihres Lachens, wenn er sich einer pikanten Medisance überließ. So waren wieder zwei Jahre dieses harmlosen Glückes hingegangen, als vor einigen Wochen der Geheimräthin zum ersten Male ein Umstand auffiel, der sie beunruhigte. Siegfried hatte von einer Bekanntschaft gesprochen, auf die er großes Gewicht gelegt und deren eigentliche Bedeutung er doch nicht anzugeben gewußt hatte. Ein Gutsbesitzer vom Rheine, der den Namen Albert Glowerstone führte, war nach der Hauptstadt gekommen, um beim Minister eine Begünstigung hinsichtlich der Arrondirung seines kleinen Besitzthums zu erlangen. Die Sache war ganz unbedeutend, bot kein geschäftliches Interesse und dennoch konnte Siegfried nicht müde werden, von den Einzelheiten dieser Sache zu sprechen, obgleich er mit Glowerstone, der übrigens bereits wieder abgereist war, niemals eine persönliche Begegnung gehabt hatte.

Dies wiederholte sich seit der ersten Erwähnung fast jeden Tag, und Brigitta, scharfsinnig und voll Angst im Bewußtsein, wie schwankend ihr Glück war, wenn sie den Unterschied der Jahre bedachte, kämpfte mit einem Heer von Zweifeln und Besorgnissen. Ein mächtiger Eindruck hatte unbestreitbar auf Siegfried gewirkt, und schon der Umstand, daß sie nicht über die Art desselben von ihm Klarheit erlangen konnte, verdarb ihr das gewohnte Glück. Dies war es auch, was sie im Gespräch mit Perser so stutzig gemacht, als dieser den Namen Glowerstone genannt, das war es, weßhalb sie sich nach einem inneren Kampfe entschlossen hatte, eine Frage über jenen Namen an Perser zu richten. Und sie hatte von ihm selbst eine Auskunft erhalten, die ihr Malköhne offenbar absichtlich verschwiegen: Albert Glowerstone besaß eine unverheirathete Tochter. Hatte sie ihren Vater nach der Hauptstadt begleitet oder sollte der Legationsrath von diesem Umstand wirklich keine Kenntniß haben? Das Letztere schien Brigitta zweifelhaft. Die instinktive Eifersucht, die Angst um ihr, wie sie sich oft selbst sagte, „zitterndes Glück“ wollten ihr die Ueberzeugung eingeben, daß bei dem unverkennbar starken Eindruck der Begegnung mit Glowerstone auf Malköhne ein Weib im Spiele sein müsse. Darüber hatte Siegfried jedoch geschwiegen: der erste Verrath, den sie von ihm erlebte. Klarheit mußte sie sich schaffen und doch konnte sich ihr Stolz, ihr weibliches Ehrgefühl nicht so tief demüthigen, eine direkte Frage darüber an ihn zu richten.




5.

Die Nacht war ihr in solchen Erwägungen schlaflos hingegangen. Am nächsten Tage erschien Malköhne, auf der Treppe von Perser gesehen und beneidet. Der Legationsrath war sehr heiter, er trug ein in Sammet und Seide gehülltes Päckchen in der Hand. Brigitta, die sonst jede Konversation mit dem Aeußerlichsten und Zufälligsten begann, was sich gerade darbot, hätte unter andern Umständen ihre Aufmerksamkeit gewiß zuerst auf das Päckchen gerichtet. Bei den in ihr wogenden Gefühlen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_743.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)