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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

begabten oder weniger kräftigen Innerafrikaner zu unterjochen, stellt sich aber selbst mit dem erkauften Neger auf brüderlichen Fuß und ergiebt sich anscheinend geduldig in das ihn bedrückende Verhängniß, nachdem er vergeblich versuchte, im Ringen mit der Uebermacht Sieger zu sein. Er ist noch heutigen Tages Naturmensch mit jeher Faser seines Wesens, während der Aegypter als trauriges Abbild eines verkommenen und mehr und mehr verkommenden Volkes erscheint. Jener hat sich auf dem unergiebigsten Boden der Erde noch immer eine gewisse Freiheit bewahrt; dieser ist auf der reichsten Scholle zum Sklaven geworden, welcher schwerlich jemals seine Ketten abzuschütteln, obwohl er noch immer ruhmrredig von seiner großen Vergangenheit spricht.

Und dennoch hätten die Nubier wohl eben so viel, wenn nicht mehr Recht, von den Großthaten der Väter zu berichten, sie rühmend hervorzuheben und an ihnen sich zu stählen, als die heutigen Aegypter. Denn jener Vorfahren haben nicht allein mit den Pharaonen und Römern, sondern auch mit Türken und Arabern, den Herrschern und Beherrschten des neuzeitlichen Aegyptens, wacker gekämpft und sind letzteren nur deßhalb unterlegen, weil ihnen die furchtbare Feuerwaffe fehlte. Noch lebten zur Zeit meiner ersten Reise in den Nillanden Augenzeugen jener Kämpfe, aus deren Munde mir Kunde dieser wurde, so, wie ich sie jetzt getreulich wieder erzählen will, um einem mannhaften, vielfach verkannten Volke wenigstens in einer Beziehung gerecht zu werden. Die Begebenheiten, um welche es sich handelt, fallen in die ersten Jahre des dritten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts.

Nachdem Mohammed Aali, der eben so thatkräftige wie rücksichtslose, selbst grausame Begründer der heut zu Tage Aegypten regierenden Herrscherfamilie, im März des Jahres 1811 die von ihm eingeladenen Häupter der Mameluken treulos überfallen und niedergemetzelt hatte, schien seine Herrschaft über das untere Nilland gesichert zu sein. Aber noch war der stolze Kriegerstand, dessen Häuptlinge jener durch schändlichen Verraths und nichtswürdige Treulosigkeit vernichtet hatte, nicht vollständig unterjocht worden. Rachebrütend erwählten die Mameluken neue Führer aus ihrer Mitte und zogen sich zunächst nach Nubien zurück, um hier sich zu sammeln, von hier aus den tückischen Feind aufs Neue zu bekämpfen, mindestens zu bedronen. Mohammed Aali erkannte die Gefahr und säumte nicht, ihr zu begegnen. Sein Heer folgte den noch zerstreuten Scharen der Mameluken auf dem Fuße nach. Dies, zu schwach, um Feldschlachten zu wagen; mußten sich in Festungen werfen und fielen in ihnen, mit Todesverachtung verzweiflungsvoll kämpfend, bis auf den letzten Mann. Gleichzeitig mit ihnen wurden auch die Nubier besiegt und, weil sie den Siegern sich fügten, zur Knechtschaft verurtheilt. Einzig und allein der tapfere Stamm der kampfgeübten Scheikie trat im Jahre 1820 den türkisch-ägyptischen Kriegern beim Dorfe Korti gegenüber: ein heldenmüthiges, regelloses Volk mit Lanze, Schwert und Schild siegverwöhnten, regelrecht eingeübten, mit Feuerwaffen ausgerüsteten Soldaten. Wie von altersher waren auch die Frauen mit ihren Kindern während der Schlacht zugegen, um durch gellende Schlachtrufe zum Kampfe anzufeuern, den kämpfenden Vätern ihre mit den Armen emporgehobenen Kinder zu zeigen und sie so zu todesmuthigem Vorgehen zu entflammen.

Wohl stritten die Nubier ihrer Väter würdig; wohl drangen sie bis zu dem Tod und Verderben in ihre Reihen schleudernden Geschützen vor; wohl hieben sie mit ihren langen Schwertern auf die vermeintlichen Ungeheuer, tiefe Eindrücke der Schneide ihres Schwertes in den einzelnen Röhren hinterlassend: aber die Aegypter siegten; – nicht ruhmvolle Tapferkeit, sondern Uebermacht der Waffen entschied. Unter schrillendem Wehegeschrei der Weiber ergriffen die braunen Männer die Flucht. Jene aber erfaßte wilde Verzweiflung: rühmlichen Tod schmachvoller Knechtschaft vorziehend, drückten sie ihre Kinder an das Herz und stürzten sich mit ihnen zu Hunderten in den vom Blute ihrer Gatten gerötheten Strom. Den Fliehenden wehrten die Wüsten zu beiden Seiten des Stromes, Zufluchtsstätten zu erreichen, und so blieb ihnen endlich nichts Anderes übrig, als sich zu ergeben und den bisher stolz und aufrecht getragenes Nacken unter das Joch der Ueberwinder zu beugen.

Noch einmal nur loderte der alte Heldenmuth in hellen Flammen auf. Einer der Häuptlinge, der gegenwärtig bereits von der Sage verherrlichte Melik el Nimmr, zu deutsch „Pardelkönig“, versammelte sein Volk zu Schendi in Südnubien, weil ihm die Geißel des grausamen Siegers unerträglich geworden war. Mißtrauisch zog ihm Ismaël Pascha, des ägyptischen Herrschers Sohn und seiner Krieger Heerführer, entgegen, und ehe noch Melik Nimmr seine Rüstungen beendet, erschien er, alle vorhandenen Boote benutzend, vor Schendi, unerfüllbare Forderungen an Melik Nimmr stellend, um ihn zu willenloser Unterwürfigkeit zu zwingen. Dieser erkannte das ihm angedrohte Verderben und ermannte sich zum Handeln. Während er Unterwürfigkeit heuchelte, eilten seine Sendboten von Hütte zu Hütte, um unter der Asche glimmenden Funken der Empörung zur lodernden Flamme zu schüren. Durch listige Vorspiegelungen lockte er Ismaël Pascha von dem sicheren Boote in seine ringsum von dichtem Dornenhag umschlossene, geräumige, aber stroherne Königsbehausung, um welche riesige Strohhaufen aufgeschichtet worden waren, nach des Pardelkönigs Versicherung nur deßhalb, um das vom Pascha ebenfalls verlangte Kameelfutter zu liefern.

Ein herrliches Fest, wie Ismaël nie geschaut, will Melik Nimmr seinem Herrn und Gebieter geben; deßhalb bittet er um Erlaubniß, auch alle Officiere des Heeres der Aegypter einladen zu dürfen, und erhält die Genehmigung des Pascha. Heerführer, Stab und Officiere vereinigt das in der Königsbehausung zugerichtete Gastmahl. Vor der dornigen Umzäunung tönt die Tarabuka, die zum Reigen wie zum Kampfe anfeuernde Trommel des Landes: das junge, festlich gesalbte Volk übt sich im fröhlichen Tanze. Geschleuderte Lanzen schwirren durch die Luft und werden bewunderungswürdig sicher mit dem kleinen Schilde von den gegenüber sich bewegenden Mittänzern aufgefangen; lange Schwerter zweier im Kriegstanze sich drehenden Kämpen bedrohen des Gegners Haupt und werden nicht minder geschickt mit Schild und Klinge abgewehrt. Ismaël ergötzt sich weidlich an den schönen braunen Jünglingen, den anmuthigen Bewegungen ihrer gelenkigen Glieder, der Kühnheit der Angriffe, der Sicherheit der Abwehr. Mehr und mehr verdichtet sich das Gewimmel vor der Festhalle, mehr und mehr Schwerttänzer treten auf; heftiger und ungestümer werden ihre Bewegungen, ungleichmäßig beschleunigt ertönen die Trommeln. Da plötzlich nimmt die Tarabuka eine andere Weise an; hundertfach, in allen Theilen Schendis klingt sie wieder, in den Nachbardörfern hüben und drüben am Nile nicht minder. Gellendes, in den höchsten Tönen der Frauenstimme sich bewegendes Geschrei durchzittert die Luft; bis auf die Lenden nackte Weiber, Staub und Asche in den fettgetränkten Haaren, Feuerbrände in den Händen tragend, stürzen herbei und schleudern die Brände ist die Wandungen der Königshalle wie in die sie ums lagernden Strohhaufen. Eine ungeheure Flammengarbe lodert zum Himmel auf, und in die Flammen, aus denen Schreck- und Weheruf, Fluch und Klage erschallen, fliegen sausend die todbringenden Lanzen der Kriegstänzer. Weder Ismaël Pascha noch irgend einer seiner Festgenossen entgeht qualvollem Tode.

Es ist, als ob die Streiter des geknechteten Volkes dem Boden entwüchsen. Wer Waffen tragen kann, wendet sich gegen die grausamen Feinde; Weiber treten, ihr Geschlecht vergessend, in die Reihen der Kämpfer; Greise und Knaben ringen mit der Kraft und Ausdauer der Männer nach dem einen Ziele. Schendi wird in einer Nacht von allen Feinden befreit; nur wenige von den in ferneren Dörfern siegenden Aegyptern entrinnen dem Blutbade und bringen dem zweiten, in Kordofan weilenden Heerführer die grausige Mär.

Dieser, Mohammed-Bei el Defterdar, von Nubiern noch heutigen Tages „el Djelâd“, der Henker, zubenannt, eilt mit der ganzen Macht seines Heeres nach Schendi, schlägt dje Nubier zum zweiten Male und opfert sodann seiner unersättlichen Rache mehr als die Hälfte der damaligen Bewohner des unglücklichen Landes. Dem Pardelkönige gelingt es, nach Habesch zu entfliehen; seine Unterthanen aber müssen sich dem Fremdherrscher beugen, und ihre Kinder „wachsen“, um mich des Ausdruckes meines Gewährsmannes zu bedienen, „im Blute ihrer Väter auf.“ Seit jenen Unglückstagen sind die Nubier hörige Knechte ihrer Unterdrücker geblieben.

(Fortsetzung folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_748.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)