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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

allein mit ihren Gedanken, bis draußen das Leben der Residenz erwacht.

Auch als Dichterin verleugnet sie jenen starkgeistigen Zug nicht, der ihrem ganzen Wesen eigen ist: es liegt etwas Kraftgenialisches in ihren Dichtungen, welche schon dadurch beweisen, daß sie nicht Erzeugnisse eines poetischen Dilettantenthums sind; denn das wandelt am liebsten in ausgefahrenen Gleisen, liebt das Glatte und Gefeilte, das Regelrechte, welches sich nachahmen läßt.

Eine ursprüngliche Begabung bricht oft hervor wie ein Wildstrom, gewaltig, mit schäumendem Sturz und findet erst allmählich ein geregeltes Bett. In der That kann man der Dichterin eher zum Vorwurf machen, daß sie in ringender Gedankenarbeit bisweilen die dichterische Form sprengt und dieselbe dann spröde und zerklüftet erscheinen läßt, als daß sie bequem und gedankenlos auf der glatten Strömung der landesüblichen poetischen Phrasen einhergondelt.

Eine Sammlung einzelner Gedichte hat Carmen Sylva unter dem Titel „Meine Ruh“ (1884) erscheinen lassen. Das Titelbild zeigt uns einen prächtigen Waldgang unter hochstämmigem Laubholz: im Walde zu träumen hat sie ja schon in ihrer Jugend gelernt, und jene rumänischen Wälder am Fuße des Siebenbürger Grenzgebirges habem ja noch alle Frische des Urwaldes. Der Pelesch, der von den Karpathen herabströmende Waldbach, dem sie ihre „Peleschmärchen“ abgelauscht, ergießt sich durch jene Waldeinsamkeit, in welcher Carmen Sylva sich mit ihren Gedanken zu ergehen liebt – ihr Sanssouci ist das rumänische Sommerschloß Sinaja. (Vergl. die Schilderung desselben, „Gartenlaube“ Jahrg. 1885, S. 705.)

In ihren Gedichten muthet vor allem die Selbständigkeit des Denkens, die so vielem Hergebrachten den Krieg erklärt, erfreulich an: ein Quell von Sprüchen wie in Rückert’s Dichtungen sprudelt uns entgegen, und viele von ihnen haben jene schlaghafte Form, die sich dem Gedächtniß einprägt:

„Sag’ nie der trägen Stunde:
     Eile doch!
Der fröhlichen Sekunde:
     Weile doch!
Dem frischen Dichtermunde:
     Feile doch!
Der tiefen Herzenswunde:
     Heile doch!
Dem heißen Liebesbunde:
     Theile doch!“

„Der keinen Willen hat, ist immer rathlos,
Und der kein Ziel noch hat, ist immer pfadlos,
Und der nicht Früchte hat, ist immer saatlos,
Und der kein Streben hat, ist immer thatlos.“

Wie lebensfreudig klingt das folgende anmuthige Gedicht:

„Ich genieße, weil mir’s gegeben ist,
     Zu genießen,
So wie es der Bergquelle Leben ist,
     Fortzufließen.

Mich entzücken die Strahlen der Sonne so,
     Wie sie glühen;
Mich erfüllen die Blumen mit Wonne so,
     Wie sie blühen.

Ich erfreue der Schönheit des Schönen mich
     Ohne Tadel;
Mir enthüllet in Farben, in Tönen sich
     Höchster Adel.

Bin ich müde, erquicken die Winde mich,
     Wie sie fächeln;
Bin ich traurig, getröstet gar linde mich
     Nur ein Lächeln.

Ich bin heiter, weil alles, was Leben ist,
     Ich seh’ sprießen;
Ich genieße, weil mir’s gegeben ist,
     Zu genießen.“

Dabei hat die Königin auch der Erde Leid erfahren, ihr einziges Kind, eine Tochter, verloren:

„Nimm mich hinweg, laß mich nicht schauen
Des eig’nen Kindes Todesringen!
Ringsum ist schwarze Nacht und Grauen,
Das Herz will mir vor Schlagen springen.“

Und so mocht’ es der Dichterin gelingen, welche den Schmerz der Mutter oft in lyrischen Ergüssen ausströmt, auch ein dichterisches Gemälde der vor Schmerz erstarrten „Niobe“ zu geben, welcher Kinderstimmen, wenn sie „Mutter“ rufen, noch selbst ihr steinern Herz zerreißen. Aehnliche Gemälde aus der Götterwelt, wie auch poetische Erzählungen in reichem Farbenschmuck, in denen oft eine gewisse Herbheit des Tons überwiegt, finden sich häufig in der Gedichtsammlung.

In der Gedankendichtung ist ja Carmen Sylva vorzugsweise heimisch: das beweisen zwei selbständige poetische Werke: „Jehova“ und „Die Hexe“. Der Held des ersteren ist Ahasver – und diese Dichtung hat vor vielen etwas breitspurigen Verherrlichungen des ruhelosen Wanderers die schlaghafte Kürze voraus. Ein reiches Leben wird uns in großangelegten Freskobildern entrollt: der hymnenartige Ton der ersten Hälfte erinnert oft an Goethe’s Prometheus: so viel düsterer, zusammengeraffter Trotz liegt in diesen Versen: umsonst sucht Ahasver den Tod; weder die Schlacht, noch des Tigers Zahn, noch das Erdbeben, noch das Rad, auf das er als Ketzer gespannt wird, noch der Schneesturm im Eisgefilde vermögen ihm die Seligkeit der Vernichtung zu verschaffen. Erst als er im Arkadien der Alpenwelt ein selig liebendes Paar belauscht, wird ihm der Segen des Todes zu Theil: eine überraschende Schlußwendung, die aber nicht überzeugend wirkt; denn diese vorübergehende Harmonie kann doch nicht die Dissonanzen auflösen, welche sich durch die ganze Dichtung hinziehen. Sehr stimmungsvoll sind die landschaftlichen Schilderungen des Gedichtes, wie diejenige des Todten Meeres:

„Rings war es wüst und leer. Kein Baum, kein Strauch,
Kein Grashalm wiegte dort das feine Haupt
In schattenloser Wüste. Sengend heiß,
Wie sprüh’nde Feuerzungen stach der Strahl
Der weißen Sonne senkrecht und versank
In’s Todte Meer, ein Pfeil in flüssig Blei.
Es glitt verirrt ein Vogel drüber hin;
Doch von des Wassers Gifthauch fiel er todt
Herab und trieb noch lange, regungslos,
Mit angespannten Flügeln auf der Fluth.“

Zu dem Gedicht: „Die Hexe“ hat sich die Dichterin durch die Statue von Karl Cauer begeistern lassen:

„Auf der höchsten Felsenspitze,
Sturmumbraust, ob schwarzem Abgrund,
Sitzt ein Weib in hehrer Schönheit,
Wunderbar des Leibes Biegung.
Wie sie auf der Hand sich aufstützt,
Leicht sich ob der Tiefe schaukelnd,
Ruht das eine Bein gewichtlos
Auf dem andern, das sich rundend
Ueberschlägt in weicher Biegung.
Eine Schlange hält die Rechte;
Achtlos nun das Thier sich windet,
Krümmt und sträubt und giftig züngelt,
Ohnmächtig, der schönen Finger
Festem Drucke zu entgleiten.
Roth das Haar, es wogt gewaltig.
Flammengleich hinaus im Sturme,
Naht den Wolken, fängt die Blitze,
Die sich durch die Strähne schlängeln,
An dem Weib herniedergleiten,
Um dann eine Riesentanne
Bis zur Wurzel zu zerschellen.
Und in lodernd hellem Brande,
Der von Baum zu Baum sich fortwälzt,
Funkeln jenes Weibes Augen
Grün, aus dunkler Wimpern Schatten.“

Ohne Frage, ein lebensvolles Bild, welches der Statue malerische Lichter aufsetzt. Diese dämonische Loreley wird von einem Jäger geliebt, den sie durch ihre Reize berückt und ins Verderben stürzt.

Die „Rumänischen Gedichte“, welche Carmen Sylva ins Deutsche übersetzt hat, zeugen von ihrem eifrigen Bestreben, auch dem Genius des Volkes, dessen Krone sie trägt, gerecht zu werden und seine dichterischen Spenden andern Völkern zugänglich zu machen. „Leiden’s Erdengang“ ist nicht ein Kreis von Märchen, sondern von Allegorien; aber sie sind nicht trocken und „strohern“, sondern sie haben vom Märchen die anmuthige Plauderhaftigkeit mit überkommen. „Die Gedanken einer Königin“, in französischer Sprache geschrieben, enthalten einen reichen Schatz sinnvoller Bemerkungen und Aussprüche.

Neuerdings hat sich Carmen Sylva auch dem Romane zugewendet; und sie verleugnet, auch in dem bequemeren Fahrwasser, das so vielen Flachschiffen zugänglich ist, nicht die Kraft und Energie ihrer Darstellungsweise. Zwei trotzige Mädchencharaktere von frischer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_750.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)