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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Da kam’s wie ein Rasseln und Aechzen aus der Stube.

Der Bygotter war aus den Kissen aufgefahren. Mit glühenden Augen spähte er nach allen Winkeln; seine Züge erstarrten wie in tödlichem Schreck; keuchend hob sich seine Brust, und mit gellendem Schrei durchhallte Sanni’s Name das nachtstille Haus.

Bleich und zitternd stürzte Sanni in die Stube, riß das Tuch von ihren Schultern und eilte auf den Vater zu, der sich vom Lager erheben wollte. Mit stammelnden Worten suchte sie ihn zu beruhigen. Er aber krampfte die knöchernen Finger um ihre Hände, drückte sie vor dem Bette aus die Kniee nieder und schrie ihr mit schäumendem Zorne ins Gesicht: „Wohin wolltest Du – wohin – wohin?“

Unter Schluchzen gestand sie ihm, weßhalb sie die Stube verlassen hätte.

Aufathmend beugte er sein Gesicht dem ihrigen entgegen und schaute ihr mit durchbohrendem Blick in die Augen. Dann ließ er ihre Hände, drückte sie an seine Brust und streichelte ihr Haar. Mit bebender, kaum verständlicher Stimme raunte er zu ihr nieder:

„Nein – nein – Du hast mir nicht entlaufen wollen – zu ihm, der Deinen Vater bestehlen will – um den Baustein seines Werkes – um den Tag der Vollendung. Deines Vaters Tochter bist Du – nicht Deiner Mutter Kind – Deiner Mutter, die ihren Mann verwarf – und nicht hören wollte seines Gottes Stimme –“

Er fühlte, wie Sanni unter seinem Arme zuckte, als wollte sie sich ihm entwinden – und da preßte er sie noch enger an seine Brust.

„Deines Vaters Tochter bist Du –“ flüsterte er in Lauten unheimlicher Zärtlichkeit, „Deines Vaters – an dem Du hangest in Liebe! Und Einen weiß ich, der es Dir lohnen wird; auf seine Hände wird er Dich nehmen und wird Dich erheben, auf daß Du die Größe Deines Vaters siehest. Das Fürchten wird er aus Deiner Seele blasen, und Deine Sorge wird sein wie Spreu im Winde. Mein Leiden sieht er – und sein Blick ist Heilung und Kraft. Er ist der Gott, der Wunder thut. Ihn sahen die Wasser und bebten. Fluthen gossen die Wolken, vom Donner dröhnte die Luft, und seine Pfeile flogen. Horch auf, mein Kind – hörst Du ihn? Seine Stimme redet und Donner krachen im Wirbelwind – es zittert und wankt die Erde!“

Unter Thränen seufzend schüttelte Sanni den Kopf und schaute mit traurigen Augen zu ihrem Vater auf, der wie in athemlosem Lauschen regungslos ins Leere starrte.

Da huschte ein dumpfes Klirren durch die Stube – ein großer Nachtfalter war in vollem Fluge wider eines der Fenster geprallt.

„Hörst Du ihn?“ schrie der Bygotter auf und zerrte an beiden Armen das Mädchen zu sich empor. „Er pochet an bei mir mit seiner weiten Hand! Er will mich des Weges mahnen! Und sein Wille ist geschehene That! Wie Wasser vom Steine rinnet, rinnet der Schmerz von mir! Sieh her – Susanna – sieh her!“ Mit zitternden Händen riß er sich den feuchten Bund vom Kopfe. „Wo siehst Du noch Blut und Wunde an meinem Haupte? Er ist der Gott, der Wunder thut! Lobet ihn!“

„Vater – Vater – um Gotteswillen – ja was thust denn? Jesus Maria!“ schluchzte Sanni in Angst und Sorge.

Doch ungehört verhallte ihr Schluchzen unter dem Jauchzen des Bygotters: „Lobet ihn vom Himmel her, all seine Engel, all seine Heere! Lobet ihn, Sonne und Mond, alle leuchtenden Sterne! Denn er gebot und ihr waret geschaffen! Lobet ihn von der Erde her, ihr Ungeheuer und alle Tiefen, Feuer und Schnee, Sturmwind, der seine Stimme trägt! Lobet ihn, Berge und Thäler, Felsen und Gewässer, Bäume und liebliche Blumen! Lobet ihn, Thiere und alles Vieh, Gewürm und gefiederte Vögel! Lobet ihn, Könige und Völker, Jünglinge und Jungfrauen, Greise und Knaben! Lobet ihn – erhaben ist sein Name allein, seine Herrlichkeit über Erde und Himmel!“

Mit verzücktem Gesichte sank der Bygotter in die Kissen zurück; wie Flammen brannten seine Augen, und es zitterte sein mächtiger Bart, während seine Lippen in unverständlichem Gemurmel sich bewegten.

Mit scheuen Augen schaute Sanni zu ihm auf; es berührte sie so eigen, als sie gewahrte, daß die Wunde an des Vaters Schläfe sich wirklich geschlossen und zu bluten aufgehört hatte.

Als sie den Bund, den er noch immer in seinen zuckenden Fingern hielt, unter seinen Händen hervornehmen wollte, zog er sie an ihren Armen in die Höhe und raunte ihr zu: „Geh, Susanna – geh zum Fenster – und siehe, wie weit der Tag noch ist!“

Sie erhob sich, näherte sich dem Fenster, wischte den grauen Thaubehauch vom Glase und blickte nach dem Himmel.

„Es muß bald tagen, Vater. D’ Stern’ verlöschen schon.“

Tiefathmend richtete der Bygotter sich noch höher empor, und seltsam feierlich klang die Stimme, mit welcher er dem Mädchen zurief: „So hole mir Wasser, daß ich mich wasche!“

Sanni zögerte und wollte sprechen. Ihr Zögern aber schien den Vater in Zorn zu bringen, und in scharfem Ton wiederholte er: „Bringe mir Wasser, daß ich mich reinige!“

Da nahm sie das Becken mit dem blutigen Wasser von der Erde und verließ die Stube. Müden Schrittes trat sie ins Freie. Auf dem Grunde und über dem Walde lag noch die dunkle Nacht, während die Spitzen der Berge sich schon in mattem Grau vom Himmel abhoben, an welchem nur einzelne Sterne noch mit zuckenden Strahlen gegen das bleiche Licht des nahenden Morgens kämpften. Mit leisem Fauchen zog der herbstlich kalte Frühwind um das Haus. Fern aus dem Thalgehölze tönte der klagende Ruf eines Käuzleins, und über den Bach herüber, von den Waldgehängen des Sonnberges, hallte das dumpfe Röhren eines brünftigen Hirsches.

Ein Schauer flog über Sanni’s Schultern, als sie über die Schwelle trat. Und dennoch that ihr die kalte Luft so wohl, die sie mit langem Athemzuge zwischen die zitternden Lippen sog.

Nun stand sie am Brunnen. Im Troge wusch sie das Becken rein und schob es unter den spärlich rinnenden Strahl. Und während mit Plätschern und Gurgeln das Gefäß sich langsam füllte, schlang Sanni die Arme um den Brunnenstock und drückte die heiße Stirn in den feuchtkühlen Moosbehang. Sie war wie betäubt und hatte keinen Gedanken, der ihr zu vollem Bewußtsein kam. Nicht nur in ihren Gliedern spürte sie diese durchwachte Nacht; nach all dieser Aufregung, Angst und Sorge kam die gedankentödtende Erschlaffung.

Das Becken war gefüllt. Seufzend nahm sie es auf, vergoß einen Theil des Wassers wieder und kehrte in das Haus zurück.

Als sie die Stube betrat, erschrak sie. Aber sie sprach kein Wort. Was der Vater sonst bei Aufgang der Sonne zu thun pflegte, das schien er eben nun einmal bei grauendem Morgen beginnen zu wollen. Er stand inmitten der Stube, hatte die weiße Leinenbinde um das Haupt gewulstet und trug jenes seltsame leinene Gewand, das ihm Sanni vor langen Wochen nach seiner Angabe hatte fertigen müssen. Und er mußte das Kleid nun in fieberhafter Eile umgeworfen haben: das sah sie noch an der zitternden Hast, mit welcher er irgend ein Etwas hinter dem breiten Leinengurt verbarg, der um seine Hüften geschlungen war.

Sanni wußte, wie wenig ihr Reden und Bitten beim Vater galt, wußte, daß der leiseste Widerspruch ihn zu maßlosem Zorne reizte – und dennoch – als sie ihm näher trat und seine in dunkler Röthe glühenden Wangen, seine brennenden Augen sah, da wollte sie dennoch sprechen und bitten. Aber die Heftigkeit, mit der ihr der Vater befahl, das Becken unter seine Hände zu halten, erstickte die Sprache auf ihren Lippen. Unter murmelnden Worten wusch er sich die Hände; dann mußte sie das Gefäß auf die Erde stellen, und er tauchte die nackten Füße in das Wasser.

„Rein bin ich, Herr – und den Weg will ich gehen, den Du gezeiget Deinem Knechte!“ sprach er mit hallender Stimme vor sich hin. „Die Stunde ist gekommen – schon grauet der Tag – und es ist Zeit zum Werke.“

Seine hohe, hagere Gestalt schien noch zu wachsen, als er dem Tisch sich näherte.

„Komm her, Susanna – komm her zu mir – dies sollest Du tragen!“

Er nahm das Bündel Späne vom Tische und band es auf Sanni’s Rücken. Das schwere Scheitholz schnürte er über die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_752.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)