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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Blätter und Blüthen.

Nach dem Sturm. (Mit Illustration S. 744 und 745.) Ja, er ist vorüber, im Südosten steht das schwarze Gewölk, vom Sturm auf einen Haufen zusammengefegt. Der Sturm ist vorüber. Die beiden Männer, Vater und Sohn, haben ihm Stand gehalten. Hart ging es her und mehr als einmal flog das Stoßgebetlein „Gott sei uns gnädig“ über die stummen Lippen der Beiden, wenn der wüthende Nordwest den Mast zu brechen drohte und im Wogenkampfe das Fahrzeug wie eine Eierschale umhergeworfen wurde. Wie durch ein Wunder entkamen sie dem Unwetter, heil an Leib und Leben, nur mit leichter Havarie am Schiff, aber – o dieses Aber! Wie viel Seufzer, stumme Klagen, verzweiflungsvolle Thränen werden ihm folgen! Die beiden Männer wissen das genau und doch müssen sie die Unglücksbotschaft verkünden. Sobald die Beiden das sichere Festland betreten, strömen sie herzu, die Frauen und Töchter, die Greise, welche nicht mehr „hinauskönnen“, und die Kinder. Sie laufen an den Strand und mit Fragen werden die glücklich Heimgekehrten bestürmt. Nun muß es heraus. Es geschieht auch; aber mit welch zartem vorsichtigen Mitgefühl wissen diese rauhen Männer das Schreckliche mitzutheilen! Das hat Meister Jordan’s Pinsel zu überraschend naturwahrem Ausdruck gebracht.

Sie fischten hoch in der Nordsee, und nicht sie allein; eine kleine Flotte hatte ja den heimischen Hafen verlassen. Da brach das Wetter los; jedes der kleinen Fahrzeuge hatte mit sich zu thun in schwerer Noth und keines konnte auf die Noth des anderen achten. So kamen sie, durch Sturm und Wellen vertrieben, einander aus Sicht. Unter furchtbaren Anstrengungen, stets den Tod vor Augen, suchten Vater und Sohn im schwankenden Boote den Hafen zu gewinnen. Da, backbord von ihnen, unter den tobenden Wassern fast begraben, sehen sie ein zweites Fahrzeug kämpfen. Es hat den Mast verloren; unablässig stürzen die Wogen darüber hinweg; in Gischt und Schaum ist keine Menschenseele, auch kein Schiffsmann zu erkennen. Um das eigene Leben ringend, können die Beiden nicht zur Hilfe eilen. Wer hat den Vater, den Gatten, den Liebsten verloren, für ewig verloren? An wessen Thür wird nun der bleiche Hunger, das Elend pochen? Welches von den unschuldigen, harmlosen Kindlein wird niemals das helle Vaterauge schauen? O unbarmherziges Meer! Sie Alle werden jetzt warten Stunde um Stunde; jedes Boot, welches am Horizont erscheint, wird ihre bange schwache Hoffnung nähren. Das eine oder andere Fahrzeug wird, muß wiederkehren; kamen doch die beiden Erzähler glücklich heim! Gewiß, sie werden kommen, heute oder morgen, oder auch übermorgen! Vielleicht ist jenes Wrack das eines ausländischen, eines norwegischen Schiffes – an solchen Strohhalm klammert sich die bange Erwartung bis zu dem Tage, der die tödliche Gewißheit bringt.

„Ein Kuß“. Unter diesem Titel hat Paul von Schönthan in der Reclam’schen Universalbibliothek Gereimtes und Ungereimtes zusammengestellt. Er schickt eine kurze Geschichte des Kusses voraus und giebt dann eine Auswahl poetischer und prosaischer Stellen, die man im Ganzen billigen kann; denn leicht war die Arbeit nicht, bei einem Thema, das alle Poeten des Alterthums und der Neuzeit, des Morgenlandes und Abendlandes behandelt haben, in einem Miniaturbändchen das Gute und Beste auszuwählen. Für den Geschmack des Sammlers spricht es, daß er an die Spitze seines Bändchens die Verse gestellt hat, mit denen Friedrich Halm im „Wildfeuer“ den Kuß verherrlicht, die auch wir für das Schönste und Schwungvollste halten, was über ihn gedichtet worden:

„Ein Wunder, ein Geheimniß ist der Kuß,
Denn wie des Morgenlandes Weise sagen:
Die Lippe küßt, wohin das Herz sie neigt,
Ehrfurcht die Hände, Sklavendienst das Kleid,
Die Freundschaft auf die Wangen, auf die Stirne
Küßt tröstend Mitgefühl; doch auf die Lippen
Drückt Liebe ihren Kuß, wildloderndes
Verlangen auf das müd geschloss’ne Auge,
Und Sehnsucht haucht ihn seufzend in die Luft.
Noch mehr! Ein Kuß ist das, was ihr ihn schätzt,
Nichts, wenn ihr scherzt, und, wenn ihr ernst meint, alles;
Er kühlt und glüht, er fragt und er giebt Antwort;
Er heilt und er vergiftet, trennt und bindet,
Er kann versöhnen wie entzweien, kann
Vor Wonne tödten und kann Todte wecken,
Und mehr, noch mehr! Was könnte nicht ein Kuß?“

Die Umgebung Roms und Athens. Es giebt kaum einen neueren Schriftsteller, der solche stimmungsvolle geschichtliche Landschaftsbilder zu zeichnen weiß wie Ferdinand Gregorovius: das hat er in seinen interessanten Schriften über Italien, Sicilien, Corfu etc. zur Genüge bewiesen. Auch in seiner neuen Sammlung: „Kleine Schriften zur Geschichte und Kultur“ (Leipzig, F. A. Brockhaus) finden sich solche mit historischem Geist gesättigte Naturschilderungen, besonders in dem Aufsatz: „Aus der Landschaft Athens“. So wenn er die athenische Ebene mit der römischen Campagna vergleicht: „Alle Linien und Formen in der Landschaft Athens sind geistiger, feiner, durchsichtiger und verklärter als die der Ebenen Roms, aber sie sind kleiner und begrenzter. Der Aether, der sie umfließt, ist göttlicher und lichter, und der Gedankenstrom, der sie durchdringt, ist mit nichts auf Erden vergleichbar; denn wie muß ein von Natur schönes, anmuthsvoll gestaltetes Land die Seele des Betrachters ergreifen, wenn sein strahlender Himmel erfüllt ist mit den Göttergestalten der hellenischen Dichtung und seine geweihte Erde mit der edelsten Blüthe des geschichtlichen Menschengeschlechts. Ganz so natur- und geistgemäß wie die elysischen Gefilde hier das ideale Athen umrahmen, ganz so dem großen Wesen Roms entsprechend umschließt die feierliche Campagna dort die Majestät der ewigen Stadt, die zweimal die Gebieterin der Welt gewesen ist. Die Grazie und vollendete Schönheit der Tempel und Bildwerke Athens läßt alle Denkmäler der Römer plump und schwer erscheinen; aber die zaubervollen Formen der attischen Landschaft rauben der Empfindung nichts von der tragischen Erhabenheit der Campagna Roms oder von dem überwältigenden Hauche des Weltschicksals, der auf ihrem weiten Trümmerfelde weht.“

„Beim Aeppelwein in Sachsenhausen“. (Mit Illustration S. 753.) Ist München ohne Bier denkbar? Wien ohne seinen „Heurigen“? Nun – Eines ist undenkbar: Sachsenhausen ohne „Aeppelwein“. Wenn in jenen beiden großen Städten mit der Zeit auch Alles ins Große gewachsen ist und modernisirt wurde, so daß nur ein sehr erfahrener Ureinwohner den Weg nach den richtigen „Quellen“ weisen kann, so ist dagegen Sachsenhausen, die am linken Mainufer gelegene Vorstadt Frankfurts, in dieser Beziehung wenigstens von der Kultur unbeeinflußt geblieben. Der Aepfelwein übt auf die „fremden Elemente“ durchaus nicht jene Anziehungskraft aus wie Wein und Bier, und das erklärt jene Erscheinung. Die Stübchen und Gärtchen sind noch immer klein, oft haarsträubend enge, wie sie es von jeher waren, und was sich da, oft an einander gepreßt wie Häringe, zusammenfindet, ist nichts weniger als „gemischte Gesellschaft“. Da ist der Sachsenhäuser, bieder, humorvoll und grob – göttlich grob! – Und neben ihm der alte Frankfurter „Borjer“, der, wenn der Abend hereindämmert, gerne über die alte Brücke hinüberwandert in die schmalen, von alterthümlichen, hochgiebeligen Häusern gebildeten Gäßchen und dort den gewohnten Schoppen zu sich nimmt. Damit ist aber auch der Kreis vollendet – Neu-Frankfurt trinkt lieber Champagner als Aepfelwein und diejenigen, welche das Unglück haben, „von außerhalb“ zu sein, wagen sich auch nur selten in die dämmerigen Stübchen und Gärtchen. Daran wird, wie gesagt, wohl mehr der Aepfelwein als die Sachsenhäuser schuld sein; denn diesen fehlt es nicht an einer gewissen Art Gemüthlichkeit, wenn sie auch grob sind. Aber besser als Alles mag ein Stückchen den Sachsenhäuser schildern, das der Schreiber dieser Zeilen erlebte, als er einmal ein paar fremden Damen den „Aeppelwein“ zeigen wollte. An den drei langen Tischen, die in dem engen Hofe standen, war auch nicht ein Plätzchen mehr frei, aber es sollte Rath geschafft werden. „Warten Sie nur!“ brummte der nächstsitzende Stammgast, als er die Hilfe suchenden Blicke der Damen gewahrte, und dann stemmte er seine Füße an den Boden und schwupps – am andern Ende der Bank flogen Zwei zur Erde, aber neben uns waren zwei Plätze frei. So ist der Sachsenhäuser – und wer diese oft prächtigen Charaktergestalten kennen lernen will, der thut am besten, wenn er sie zu Hause aufsucht – nämlich „beim Aeppelwein“. Emil Peschkau.


Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

K. L. in …g. Luise Otto’s jüngst erschienener kulturhistorischer Roman führt den Titel „Die Nachtigall von Werawag“ (Freiburg i. B., Adolf Kiepert). Da Sie kulturhistorische Erzählungen mit Vorliebe lesen, findet gewiß auch dieser Roman Ihren Beifall.

J. W. in B. Wir bedauern sehr, Ihren Wunsch nicht erfüllen zu können, da eine Fortsetzung der Serie die meisten Leser nur ermüden würde. Photographien sind vorhanden und durch jede Kunsthandlung zu beziehen.

M–a. Nicht geeignet.


Inhalt: Die Geheimräthin. Novelle von Hieronymus Lorm (Fortsetzung). S. 741. – Hofball. Illustration. S. 741. – Vom Nordpol bis zum Aequator. Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Edmund Alfred Brehm. Land und Leute zwischen den Stromschnellen des Nil (Fortsetzung). S. 746. – Eine gekrönte Dichterin. Von Rudolf von Gottschall. Mit Portrait. S. 749. – Der Unfried. Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer (Fortsetzung). S 751. – Blätter und Blüthen: Nach dem Sturm. S. 756. Mit Illustration S. 744 und 745. – „Ein Kuß“. S. 756. – „Beim Aeppelwein in Sachenhausen“. Von Emil Peschkau. S. 756. Mit Illustration S. 753. – Die Umgebung Roms und Athens. S. 756. – Kleiner Briefkasten. S. 756.


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Gartenlaube-Kalender für das Jahr 1888.

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Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_756.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2021)