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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

der lieben Jugend all die männlichen und weiblichen Diplomaten, welche nicht so und nicht so sagen wollten, damit es schließlich nicht hieße, sie hätten so oder so gesagt, und welche bei nichts dabei sein wollten, als höchstens beim Schreien und Maulaufreißen.

Und während nun diese Verbliebenen mit kreischenden Stimmen ihre diplomatischen Meinungen tauschten, erzählte Karli in der Stube drinnen mit müden tonlosen Worten dem Vater die Geschichte dieses Morgens, soweit er sie selbst erlebt und begriffen, und er fügte aus früheren Tagen bei, was nöthig war, damit der Pointner den Inhalt dieser vergangenen Stunden verstehen konnte. In Starren und Staunen hörte der Alte zu, und immer wieder schlug er unter Anrufung Gottes und aller Heiligen die Hände über dem Kopfe zusammen. Als Karli mit versagender Stimme von den Empfindungen sprach, die ihn beim Anblick des armen, gequälten Mädchens überkommen hätten, und wie ihm vor Angst und Leid schier das Herz zersprungen wäre, da brach dem Pointner die Rührung in dicken Zähren aus den Augen. Mit beiden Händen faßte er den Burschen am Kopfe und schluchzte ihn an: „Sag’s ’raus, Karli, – sag’s ’raus – brauchst Dich net scheuen vor Dei’m Vater! Sag’s ’raus, daß d’ Sanni gern hast!“

Schwerathmend nickte der Bursche vor sich hin.

„Und wie lang’ denn schon – wie lang’ denn, Karli? Sag’s!“

„Mein – seit ich halt denk’! Und – und g’wiß weiß ich’s, seit ich ’s erstmal in Urlaub heimkommen bin.“

Da mischte sich ein zorniger Ton in die Stimme des Pointner’s. „Jesses na – und warum hast denn net g’redt – net lang schon g’redt! Tausendmal für einmal hätt’ ich Dir mein Jawort g’sagt – und übergeben hätt’ ich Dir – ja – und heirathen hättst können – ja – und Alles wär’ anders jetzt – Alles – Alles –“

Jählings verstummte der Alte; es war ihm gewesen, als hätte er in der Stube irgend ein Geräusch vernommen; hastig richtete er sich auf, schaute mit ängstlichen Augen umher und fuhr erschrocken zusammen, als seine Blicke auf das Ledersofa im Ofenwinkel fielen. Dort in der hintersten Ecke saß Kuni’s Bruder regungslos ausgestreckt, mit zwinkerndem Lächeln, einen erloschenen Cigarrenstummel zwischen den gelben Zähnen.

Der Pointner kraute sich die Haare und stotterte: „Jetzt – g’wiß wahr – jetzt hab’ ich ganz vergessen –“

„Macht nix! Nur net scheniren wegen meiner,“ lächelte der Gast. „Ich mach’s g’rad so, ich schenir’ mich auch net.“

Mit betroffenem Gesichte war Karli aufgesprungen. Er war am verwichenen Nachmittag von seinem heimlichen Gange gerade noch rechtzeitig zurückgekommen, um sich dem Zuge anschließen zu können, in welchem dem Pointner und seiner jungen Bäuerin „heimgeblasen“ wurde; so wußte er noch nichts von dem Besuche, der sich da ins Haus gebeten; doch erkannte er auf den ersten Blick jenen spöttischen Fragesteller aus dem Binderholze.

Der kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen und lächelte: „Jetzt weiß ich net – wir zwei, mein’ ich, wir müßten uns schon amal wo g’sehen haben?“

Karli schwieg, rührte keinen Finger und schaute nur mit verdutzten Augen den Vater an.

„Ja, da schau, Bua – der Herr da – der hat uns halt jetzt amal b’sucht – weißt – a Bruder is er von meiner … von – von der Kuni – ja!“ stotterte der Pointner. „Gregor heißt er, und a Metzger is er – und jetzt hat er sein’ Schwester b’sucht – und da wird er halt jetzt a paar Tag bei uns da bleiben –“

„No – wer weiß – wann’s mir g’fallt, bleib’ ich länger auch,“ meinte Gregor.

„No ja – natürlich – so lang’s der Schwager halt aushalt’,“ verbesserte sich der Pointner mit verzagter Stimme, „das is ja g’wiß – und natürlich – ja –“

Da gingen ihm die Worte aus, und weder Karli, noch der Schwager wollte ihm weiter helfen. Ein unbehagliches Schweigen folgte, welches schließlich von Karli gebrochen wurde, der nach kurzem Aufhorchen in zitternder Erregung der Thür zueilte. „Der Götz! Der Götz kommt mit’m Doktor!“

Aufathmend humpelte der Pointner seinem Buben nach, welcher draußen im Flur schon mit überstürzten Worten auf den bejahrten, ruhig horchenden Doktor einsprach. Der nickte bedächtig mit dem Kopfe und schob die Brille höher. Gemächlichen Schrittes stieg er die Treppe hinauf. Karli und der Pointner folgten, doch durften sie die Krankenstube nicht betreten. Nur die Frau des Lehrers verblieb bei dem Doktor. Kuni kam in den Flur heraus. Wie auf geheime Verabredung traten diese Drei in Karli’s Kammer; hier setzte sich der Pointner seufzend auf das Bett, und während sich Karli bleich, wortlos und zitternd an die weiße Kalkwand lehnte, trat Kuni, die Arme hinter dem Rücken verschränkend, vor das kleine Fenster und schaute mit starren, finsteren Blicken durch die trüben Scheiben.

Eine bange Viertelstunde verging. Dann hörte man nebenan die Thür gehen, hörte eine schluchzende Stimme und die knarrenden Stiefel des Doktors.

Nun erschien der alte Herr über der Schwelle. Sein Votum lautete: „Ein schweres Nervenfieber im Anzug – und das Schlimmste zu befürchten.“

Dem Pointner kam ein Zittern in die Kniee; Karli aber griff mit den Händen in die Luft, und er wäre zu Boden gestürzt, hätte ihn Kuni nicht mit raschen Armen aufgefangen. –


(Fortsetzung folgt.)




Broterwerb durch die Massage.

Eine Warnung für Viele.

Seitdem die Massage auch in Deutschland immer mehr von den Aerzten angewandt wurde und überraschende Erfolge bei vielfachen Leiden erzielt hat, faßten viele Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen den Entschluß, diese Kunst zu erlernen, und manche, deren Existenz im Leben nicht genügend gefestigt war, glaubten, durch die Ausübung der Massage ihren Lebensunterhalt erwerben zu können. An unsere Redaktion ergingen in letzter Zeit zahlreiche Anfragen, wo man die Massage lernen könne, und wir haben darum Herrn Dr. Zabludowski in Berlin, eine Autorität auf diesem Gebiete, um sachkundige Auskunft gebeten. Wir erhielten hierauf die nachfolgenden dankenswerthen Mittheilungen, welche wir im gemeinnützigen Interesse veröffentlichen. Der Brief lautet:

„Hochgeehrter Herr Redakteur!

Auf Ihre gefällige Anfrage vom 17. d. Mts., betreffend die Angabe, wo eine Frau das Massiren erlernen könnte, um sich später durch Ausübung von Massage ihr tägliches Brot zu erwerben, beehre ich mich, Nachstehendes zu erwiedern:

In öffentlichen Blättern, in Berlin z. B. auch in Fachzeitungen, werden im Inseratentheil regelmäßig Annoncen über Massage-Lehrkurse veröffentlicht, welche für Laien beiderlei Geschlechts gehalten werden. Solche Lehrkurse dauern gewöhnlich 3½ Wochen. Sie bestehen hauptsächlich darin, daß einerseits die wenigen Hauptmanipulationen der Massage: Kneten, Streichen und Klopfen, andererseits einige heilgymnastische Bewegungen, wie sie in dem Schreber’schen[WS 1] Buche über Zimmergymnastik zum Selbststudium angegeben sind, an einer gesunden Person gezeigt werden. Das Lehrhonorar beträgt gewöhnlich 100 Mark.

Anstalten, wo Laien zum Zwecke des Unterrichts die Möglichkeit gegeben wird, die Behandlung Kranker durch Massage zu beobachten und systematisch zu erlernen, giebt es nicht und darf es auch aus folgenden Gründen nicht geben:

Die Ausübung der Massage durch Laien ist durchaus nicht geeignet, das Ansehen der massirenden Personen an ihrem Wirkungsorte zu heben. Vereinzelte Ausnahmen können dabei nicht in Betracht kommen; denn nur vermöge der durch jahrelanges ärztliches Studium erworbenen Kenntnisse kann man in jedem gegebenen Falle die nöthigen Angriffspunkte bei der Massage wie auch die dabei anzuwendenden Kraft richtig bemessen. Die tägliche Erfahrung lehrt jetzt, daß durch die Massage von Laien gerade in den dankbarsten Fällen, zu welchen besonders die chirurgischen und diejenigen der Nervenleiden gehören, öfter Schaden als Nutzen für die Patienten entsteht. Eine zu starke Bewegung im entzündeten Gelenk läßt eine akute Entzündung zu einer chronischen werden, während hingegen eine zu schwache Massage da ganz resultatlos bleibt, wo ein energisches Eingreifen am Platze wäre. Das Massiren unter sogenannter ärztlicher Leitung schafft absolut keine Abhilfe für die angeführten Mängel der Massage durch Laien; denn es wird dem Arzte immer unmöglich bleiben, die von einer mit der Heilkunde nicht vertrauten Person ausgeübten Massagemanipulationen an einem kranken Organe jeden Augenblick gehörig zu beherrschen.

Anders verhält es sich mit der allgemeinen Massage (Massage des ganzen Körpers), welche, wie etwa auch ein gewöhnliches Bad, lediglich hygienischen Zwecken dienen kann. Diese wird in Rußland und in der Türkei z. B., wo Bäder von Jedermann in regelmäßigen Zwischenräumen von einer Woche genommen werden, fast an jedem Badenden von den Badedienern ausgeübt, was jetzt auch in Deutschland in den meisten Bade-Orten geschieht. Zur Erlernung dieser allgemeinen Massage, deren Manipulationen dieselben sind wie diejenigen bei den Einreibungen gegen Muskelschmerzen (Rheumatismus), bedarf man aber überhaupt keiner Lehrkurse, und die dafür vorhandenen Kurse dienen natürlich nur dem materiellen Nutzen der sich Massagelehrer nennenden Personen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schröber’schen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_770.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)