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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Psychologie, so weit ihm diese Wissenschaften noch in Erinnerung waren, zu erklären suchte, das war der Charakter seiner Tochter Edith. Gerade weil sie zur praktischen Anwendung dessen geboren war, was er nur theoretisch im Munde führte, zu einem seelenstarken Entsagen und Verzichten, verstand er sie nicht und glaubte, daß sie seine Bücherweisheit nicht verstehe.

Der frühe Tod ihrer Mutter hatte sie ihrer angebornen Gemüthsrichtung ungestört und ungehemmt überlassen. Diese war eine dem Weltleben abgekehrte, und Edith wäre vielleicht unter andern Verhältnissen dieser Richtung sich gar nicht bewußt geworden und hätte sich zu einem naiven anspruchslosen Geschöpf entwickelt, wie es in den Schranken der Dürftigkeit überall aufwächst. Allein in den Beziehungen ihres Vaters, ihres Hauses gab es so viele Berührungspunkte mit der reichen und vornehmen Welt, mit Menschen, welche die luxuriösesten Ansprüche an das Leben stellen und befriedigen, daß für Edith nur zwei Möglichkeiten übrig blieben: sie mußte entweder einen täglichen Kampf des Entbehrens und der Erbitterung mit den Verhältnissen führen und sich zuletzt so unglücklich fühlen, daß sie eine solche Existenz nicht mehr ertragen hätte; oder sie mußte zum Bewußtsein kommen, daß ihr Inneres stärker war als die äußere Lage, daß die Entbehrung überwunden werden könnte und die Erbitterung nicht aufzukommen brauchte. Ihre Natur befähigte sie, den letztern Weg einzuschlagen, und ohne daß sie geneigt oder geeignet war, sich darüber in Reden zu ergehen, sah man all ihrem Thun und selbst ihrer Erscheinung eine entsagende Gelassenheit an, die auf Männer von Geist einen noch tiefern Eindruck üben mußte, als die auffallende Schönheit des Mädchens, die freilich ihren ganz eigenthümlichen Charakter eben von jener Gemüthsrichtung erhielt.

Nach der Hauptstadt zum lange andauernden Besuch der Gräfin Surville hatte sie sich nur auf das Drängen ihres Vaters begeben. Glowerstone, während er gezwungen sich in die äußere Armseligkeit seines Daseins zu fügen schien, ertrug es nur durch zwei ihm zur Hilfe kommende Eigenschaften. Zunächst war er sanguinischen Temperamentes und hoffte von jedem Tage, von jedem Augenblicke einen besonderen Glücksfall; sodann war er eine Schmarotzernatur und stets begierig, nach einem Genuß zu greifen, der ihm geschenkt wurde, den er weder zu erwerben noch zu bezahlen brauchte. Der Gelegenheit, die Tochter eine Zeit lang das köstliche Leben der Hauptstadt, ohne daß es ihn etwas kostete, mitmachen zu lassen, hätte er unmöglich Widerstand leisten können. Zugleich war er überzeugt, daß Edith in der Hauptstadt eine Eroberung machen würde, die zu einer glänzenden Partie führen müßte.

Vater und Tochter saßen nach dem Mittagessen noch am Tische in ihrem „Salon“, der ziemlich groß und tüchtig geheizt, aber nicht anders als eine Bauernstube möblirt war.

„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll,“ setzte Glowerstone eine angefangene Unterhaltung fort, „ist denn meine Kousine lsabel ein Blaustrumpf geworden? Du sprichst von lauter Dichtern, Schriftstellern, Zeitungsschreibern, die zum Thee gekommen sind. Ich habe geglaubt, man läßt diese Leute gar nicht hinein, wo Diplomaten und Officiere erscheinen. Sind denn gar keine solchen dagewesen?“

„Eine Menge,“ erwiederte Edith, „von den Ordenssternen und Epauletten konnte man Augenschmerzen bekommen. Ich habe aber die Augen zugemacht und die Ohren aufgethan. Für die Ohren hatten diese funkelnden Herren gar nichts Angenehmes, wogegen die Zeitungsschreiber, wie Du sie nennst, wieder nichts Angenehmes für die Augen hatten.“

„Nun, und was hast Du Gescheites von ihnen gehört?“ fragte der Vater gleichgültig und sehr enttäuscht.

„Am meisten hat mir die Vorlesung einer russischen Novelle in französischer Uebersetzung gefallen. Die Novelle ist von Pawloff. Da kommt ein Mädchen vor, das seiner herabgekommenen Familie durch eine reiche Heirath aufhelfen soll. Der reiche Mann aber wittert diesen Beweggrund in der vorgeschützten Neigung der Geliebten und macht ihr den Vorschlag, der Familie zu helfen auch ohne eine Heirath, falls er nicht geliebt wird. Das Mädchen liebt ihn wirklich nicht und hat die Kourage, die Hilfe anzunehmen und ledig zu bleiben.“

„Die hätte ich nach Sibirien verbannt,“ rief Glowerstone; „kann es noch etwas Dümmeres geben? Als Frau hätte sie der Familie noch ganz anders beistehen können. Ich hätte Dir nach dieser Geschichte erst recht gesagt, daß Du die Augen aufmachen sollst. Hast Du denn Niemand gesehen, der Dich interessirt?“

„O ja,“ entgegnete Edith vollkommen ruhig, „ich hätte mich beinahe verliebt. Da war ein Legationsrath Malköhne, und weil mir seine Gespräche mit der Gräfin und manchmal auch mit mir so sehr gefielen, gerade deßhalb hab’ ich mich weiter nicht nach ihm erkundigt. Ich wollte mich nicht mit ihm beschäftigen.“

Die Köchin trat in das Zimmer und überreichte eine Karte. Glowerstone las laut: „Legationsrath Siegfried Malköhne.“

Der Vater sah die Tochter, die ebenfalls überrascht aufblickte, mit Erstaunen an und gab eilig Befehl, den Besucher eintreten zu lassen.




9.

Die jungen Leute begrüßten sich mit stummer Verbeugung und mit dem Blick des Wiedererkennens. Da Edith einen geschäftlichen Zweck seines Erscheinens voraussetzen mußte, so wendete sie sich hierauf, um den Saal zu verlassen. Malköhne that mit galanten Worten dagegen Einsprache und versicherte, wenn er sie auch nicht jetzt mit den bureaukratischen Details langweilen wolle, die er ihrem Vater vorzubringen hatte, so würde er doch die ihm auferlegte Beamtenpflicht untröstlich finden, wenn er nicht nachher das gesellige Vergnügen, sich mit ihr zu unterhalten, in das Geschäft mit einschließen könnte. Sie war einer inhaltslosen Plauderei niemals geneigt, fand aber selbst ein Interesse daran, Malköhne wiederzusehen, und antwortete ernsthaft und gemessen, ohne das konventionelle Lächeln, welches oft so gedankenlos gleichgültige Reden begleitet:

„Wenn Sie mich zu sprechen wünschen, Herr Legationsrath, so wird mein Vater mich rufen lassen, sobald er es passend findet.“

Malköhne verbeugte sich tief und sah der langsam sich Entfernenden gedankenvoll nach.

Die Angelegenheit Glowerstone’s war im Grunde sehr einfach, wenn auch ihre Erledigung bei den Umständen, in welchen sich der Besitzer dieses unansehnlichen Bauernhofes befand, große Schwierigkeiten bot. Unmittelbar an den Hof grenzte der unbedeutendste Theil eines Staatsforstes mit sonstigem dazu gehörigen Grund und Boden. Dieses Staatseigenthum war schon seit ungefähr einem halben Jahrhundert an dieselbe Pächterfamilie überlassen worden, die sich dort ein stattliches Landhaus auf eigene Kosten erbaut hatte. Der Vertrag mit dem Staate war dem Erlöschen nahe und der jetzige Pächter wollte ihn nicht erneuern. Dies hätte Glowerstone gern dazu benutzt, das staatliche Gut mit seinem kleinen Besitzthum zu vereinigen, was auch leicht zu ermöglichen gewesen wäre, wenn er die nöthigen Mittel beisammen gehabt hätte. Der Staat ließ sich auf keine Zukunftszahlungen ein und auch der Pächter wollte für sein eigenes Haus sogleich bares Geld haben.

Glowerstone wußte sehr wohl, daß nach der Arrondirung seines kleinen Besitzthums durch einen so stattlichen Zuwachs der ganze Komplex um einen doppelt so hohen Preis an den Mann zu bringen war, als jetzt dem Staate für seinen Theil zu bezahlen gewesen wäre, der Bauernhof aber für sich allein nicht zu einem wünschenswerthen Preise zu verkaufen war. Wie sollte aber der verschuldete Mann das nöthige Geld auftreiben, um die Regierung zu befriedigen? Er hatte keinen Kredit, und wenn er seinen Plan einem reichen Spekulanten verrathen hätte, so würde dieser für sich allein den Rahm von der Sache abgeschöpft haben. Deßhalb war Glowerstone nach der Hauptstadt gegangen, bei welcher Gelegenheit er Edith zur Gräfin Surville gebracht, hatte aber beim Ministerium nichts ausgerichtet und nur unbestimmte Zusagen, schwankende Hoffnungen mit heimtragen können.

Malköhne, in die ganze Sache umständlich eingeweiht, wußte sehr wohl, daß nur mit dem Geld in der Hand etwas von der Regierung zu erreichen war. Als nun die politische Affaire mit dem geheimnißvollen Lord in Wiesbaden auftauchte und Malköhne zur Verhandlung über dieselbe abgeordnet wurde, da lag diese Angelegenheit seiner eigenen so nahe im Gedanken, wie sie im Raume einander nahe lagen. Wenn es ihm gelang, die Hand Edith’s zu erhalten, bevor diese von seinem Reichthum unterrichtet war, dann konnte er nachträglich mit Leichtigkeit den Wunsch Glowerstone’s erfüllen und ihm das angekaufte Staatsgut gleichsam auf den Frühstückstisch legen.

Die Werbung war daher die Hauptsache, das Geschäft nur ein Vorwand, und Malköhne zitterte vor dem Gedanken, der Vorwand könnte ihn um den Zweck bringen, ein langes Verhandeln mit dem Vater die Gegenwart der Tochter unmöglich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_775.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)