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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 48.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Die Geheimräthin.

Novelle von Hieronymus Lorm.
(Fortsetzung.)
10.

Perser und Glowerstone fuhren nach dem Telegraphenamt und begaben sich dann nach dem Hotel, welches Malköhne schon in der Hauptstadt Perser zum Aufenthalt angewiesen hatte. Dort trafen sie mit der Gräfin Surville zusammen, die im Speisesaale eben mit ihrer Gesellschafterin sich zu Tische setzte. Sie lud beide Herren ein, an dem Mahle theilzunehmen. Glowerstone schätzte sich im Stillen darüber glücklich und war nur beklommen durch den Gedanken, wie er auf eben so bequeme Weise, als er gekommen, in der Nacht wieder nach Hause gelangen sollte. Ein guter Genius schien jedoch an diesem Tage die geheimsten Wünsche seiner stets nach Gratisgenüssen schmachtenden Seele befriedigen zu wollen. Er hätte unfehlbar den weiten Weg in der Nacht zu Fuß zurücklegen müssen, da es doch nicht gut angegangen wäre, sich auch für ein Bett zu Gaste zu laden, wenn sich die Gräfin nicht beim Dessert bittend an ihn gewandt hätte. Er blickte dankend zum Himmel, als er vernahm, um was es sich handelte.

„Wiesbaden ist so voll,“ sagte die Gräfin, „daß ich für meine arme Freundin“ – sie deutete auf die immer finster blickende Gesellschafterin – „kein bequemes Schlafzimmer bekommen kann, während ich im Hôtel, Dir gegenüber, an Räumen Ueberfluß habe. Mein Wagen ist auch bereit, aber ich muß über Nacht hier bleiben. Du sagtest, daß Du nach Hause willst; möchtest Du nicht der Ritter dieser Dame sein, damit sie im fremden Lande in der Nacht den Weg nicht allein zurücklegen müßte?“

So fügte es sich, daß Perser später mit der Gräfin allein im Saale blieb. Nachdem er ihr mitgetheilt, daß er in derselben Angelegenheit nach Wiesbaden gekommen, für welche Malköhne auch die Gräfin zu interessiren gesucht hatte, sagte diese:

„Ich bin so unbekannt mit der Gesellschaft in Deutschland, daß ich nicht recht verstehe, was der Legationsrath von mir will. Er behauptet zwar, hier durch mich in Glowerstone’s Sache zu wirken; aber er hat mir so viele Aufträge für den Lord gegeben, meinen alten Freund, daß ich wohl bemerke, es handle sich um eine politische Affaire. Malköhne bittet mich auch, Ihre Bekanntschaft mit dem Lord zu vermitteln.“

Es konnte nicht fehlen, daß diese beiden Menschen, die einst eine den Ernst des Lebens betreffende Beziehung zu einander gepflogen hatten, jetzt, zum ersten Male ohne Furcht vor Störung beisammen, unbefangen und nüchtern, aber mit der Behaglichkeit,

Eine schwierige Sitzung.0 Originalzeichnung von Franz O’Stückenberg.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 789. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_789.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2023)