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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

die der Rückblick auf die Jugend gewährt, das Schicksal besprachen, das sie für einen Augenblick vereint und dann für immer getrennt hatte. Die Unterhaltung mußte in Beiden ein freundschaftliches Gefühl erregen, und der Gräfin entging es nicht, daß Kummer auf dem Baron lastete, der, obgleich um vier Jahre älter, als Mann doch unvergleichlich mehr Jugend vor der Gräfin vorauszuhaben schien. Perser, der im ersten Gespräch mit ihr in der Hauptstadt kein Geheimniß aus seiner äußeren Lage gemacht, würde doch um keinen Preis verrathen haben, was ihn jetzt bedrückte. Er hätte gefürchtet, mit seinen fünfzig Jahren unendlich lächerlich zu erscheinen, wenn man ihm ein Liebesgefühl angemerkt hätte. Indessen sind die Frauen in diesem Punkte jedem Alter gegenüber außerordentlich tolerant und hierin zugleich mit einem Ahnungsvermögen begabt, welches sie rasch auf die richtige Spur führt.

„Sie sind nicht in glücklicher Lage,“ sagte die Gräfin, „und ich habe so viel Pietät für unsere abgethane Vergangenheit, daß ich Sie nicht leiden sehen möchte. Mein Leben ist abgeschlossen; ich trage es in Ländern und Städten umher, um leichter zu vergessen, daß es ein verfehltes ist, und mir einzubilden, ich hätte etwas zu thun auf dieser Welt. Oft habe ich gehört, daß die Menschen von eisernen Pflichten niedergedrückt werden und sich dadurch elend fühlen; ich meine aber, das größte Elend wäre, aller Pflichten los und ledig zu sein. Wenn ich nun plötzlich etwas zu thun bekäme, für einen Mann zu thun bekäme, um welchen ich vor vielen Jahren Träume und Gedanken gewoben habe, die nicht ohne Einfluß auf man Schicksal blieben, wenn ich einem solchen Mann etwas leisten könnte – ich würde erreicht haben, was mir bis heute unerreichbar schien: nicht umsonst gelebt zu haben.“

Perser war von dieser Aeußerung bewegt; aber in Regungen des Herzens von der Art, wie sie ihn überkommen hatten, giebt es keine Hilfe. Er gestand ihr so viel, daß nach einer unbeglückten und haltlosen Existenz, in der er niemals in einer festen Bestimmung aufgegangen war, jetzt ein Ziel vor seinen Augen schwebte, aber ein unmögliches Ziel, eine Thorheit, ein Wahnsinn.

In diesem Augenblicke trat Malköhne in den Saal. Er hatte inzwischen seine Absichten weiter verfolgt. Als Glowerstone und Perser sich entfernt hatten, knüpfte der Legationsrath an das letzte Zusammensein mit dem Mädchen im Hause der Gräfin an. Edith hatte damals große Sehnsucht nach der Wiederkehr zu ihrem Vater ausgesprochen und nicht verhehlt, daß die ländliche Stille und Verborgenheit eben so viel Antheil an dieser Sehnsucht hätten, als ihre kindliche Liebe.

„Haben Sie nun gefunden, mein Fräulein,“ fragte er, „was Sie so sehr gewünscht haben? Sie konnten damals auf das Drängen der Gräfin, zu gestehen, was Sie eigentlich nach Hause lockte, nichts Bestimmtes antworten, und ich glaube, man malt sich eine Wiederkehr immer schöner aus, als man sie zuletzt in der That findet.“

„Ich bin mir meiner Wünsche vollkommen bewußt,“ erwiederte Edith, „und es ist leicht erklärt, warum ich nichts Bestimmtes anzugeben wußte. Nicht das Heim hat mich gelockt, sondern die Fremde hat mich abgestoßen.“

Er sah sie erstaunt an; denn was nur immer einem jungen Geschöpf unter den Vergnügungen der Hauptstadt reizend und begehrenswerth, erscheinen kann, hatte die Gräfin Surville um Edith versammelt; nicht nur was die Phantasie erregen und den Sinnen schmeicheln kann, Tanz, Theater und die geselligen Freuden überhaupt, sondern auch was dem Geist und dem Ernst dieser Mädchennatur tiefere Eindrücke zurücklassen mußte, die Unterhaltung mit begabten Persönlichkeiten aus allen Gebieten des Schaffens und Wirkens, hatte sie Edith, so lange sie in der Hauptstadt geweilt, vollauf zur Verfügung gestellt. Dies hielt ihr Malköhne vor, als sie sich so widerwillig von dem Gedanken an ihr Leben in der Stadt abzuwenden schien.

„Ja, es ist der wahre Inhalt eines menschenwürdigen Daseins, was ich für kurze Zeit genossen habe,“ erwiederte Edith, und eine edle Gluth stieg bei der Erinnerung in ihre Wangen; „ich wüßte nichts auf Erden was mir noch einen Wunsch übrig ließe, wenn eine solche Existenz meine gewöhnliche wäre, Tag für Tag, nothwendig, sich von selbst verstehend wie das Auf- und Untergehen der Sonne, kurz, wenn es niemals anders sein könnte. Eine solche Lebensweise, eine solche Gesellschaft, das wäre dann wie mein eigenes Haus. Fühlen Sie aber nicht, daß es unheimlich, daß es entsetzlich werden kann, sich in seinem eigenen Hause als ein Gast zu wissen, den die Umstände jeden Augenblick nöthigen können, seine eigene Lebenssphäre zu verlassen, gleichsam seine Seele, die sich ganz damit erfüllt hat, wie Handschuhe abzulegen und arm und verbannt in die Ferne zu ziehen?“

Malköhne war in Versuchung, ihr zu sagen, sie brauche ihm bloß ihre Hand zu reichen, und was sie ihr eigenes Haus nannte, was ihrer Bildung und ihrer Denkungsweise mit Recht zukäme, wäre für immer ihr gesicherter Besitz. Er beherrschte sich aber, er wollte sich nicht wie ein verliebter Knabe von der Leidenschaft übermannen lassen. Zwei Dinge mußten früher festgestellt sein: zunächst, daß die Charaktereigenschaften des jungen Mädchens die unendliche Sympathie rechtfertigen konnten, die er ihrer äußeren Erscheinung zuwendete, sodann aber, daß es eben nicht das Verlangen nach dem eigenen Hause wäre, nach der Lebenssphäre, die der Reichthum aufschließt, was sie bestimmen mochte, auf seine Wünsche einzugehen. Darum wollte er, daß sie den Gedanken, der sie in diesem Augenblicke bewegte, ganz ausspreche, und er entgegnete:

„Sie selbst haben sich verbannt, früher als es nöthig war; ich weiß von der Gräfin, daß es nur von Ihnen abhing, den Aufenthalt bei ihr ins Ungemessene auszudehnen.“

„Was wäre damit gewonnen gewesen?“ rief Edith erregt; „das Gefühl, mich so zu sagen im Salon der Gräfin auf meinem eigenen Grund und Boden zu wissen, hätte mir keine noch so lange Dauer des Aufenthaltes verschaffen können. Das ist die Ursache, nach der Sie forschen, Herr Legationsrath, die Ursache meines Heimverlangens. Ich sehnte mich nach dem entgegengesetzten Pol jener Existenz, nach meiner Armuth, Verlassenheit, Einsamkeit; denn das sind, wie schwer es auch zu erklären ist, fast dieselben Güter, um das angenehme Bewußtsein noch vermehrt, daß sie mir wirklich zukommen, daß sie mein wahres Eigenthum sind.“

Sie lächelte bei diesen Worten, aber Malköhne ahnte, daß es ihr um mehr zu thun war, als um den Scherz, Armuth und Einsamkeit für Lebensgüter zu erklären. Er drang auf eine Erklärung.

„Es ist im Grunde einfach,“ bemerkte sie, „geben Sie einmal allen wünschenswerthen guten Dingen auf dieser Welt eine Zahl. Sagen wir, solcher Dinge gebe es 99, so werde ich immer noch das hundertste hinzufügen können, das nicht schon unter diesen guten Dingen ist, nämlich sie alle entbehren zu können. Es ist nicht auszudrücken,“ fuhr sie lebhafter fort, „wie glücklich eine volle Entsagung machen kann. Sie läßt den Geist der Dinge zurück, die man in Wirklichkeit entbehrt oder eigentlich dann nicht mehr entbehrt. Man hat Alles, wonach man nicht strebt. Bin ich mir nicht so gut wie eine Königin, sobald es mir ganz gleichgültig ist, ob ich eine bin oder nicht? Wenn etwas fehlt, so ist es ein zweiter Mensch, der eben so dächte, wenn man nun schon einmal einen zweiten an seiner Seite hat, der nicht so denkt und dadurch unglücklich ist, wie mein Vater.“

Hatte Malköhne der Versuchung widerstanden, ihr mit dem Reichthum Alles anzubieten, was sie entbehrte: er widerstand nicht ganz der Versuchung, den Schein der Armuth anzunehmen, damit sie das gesuchte Herz in ihm vermuthe. Eine erdichtete Andeutung in diesem Sinne nahm Edith mit Theilnahme auf. Sie mußte ihn für einen armen Beamten halten, der sich nach Stille und Verborgenheit sehnte, um wie Edith selbst in dem Gedanken der Entsagung dahinleben zu können. Fester und strahlender als bisher richteten sich ihre schönen Augen auf ihn; aber er konnte nicht den Muth finden, in einer trügerischen Maske um sie zu werben, so lange er nicht Gelegenheit gegeben, ihn in seiner Person zu erkennen, als einen Mann, der unabhängig von Besitz oder Nichtbesitz für sich selbst einen Werth beanspruchen konnte. Dazu bedurfte es einer zweiten Zusammenkunft und er schied mit dem Vorsatz, das nächste Mal als ein Beglückter von Edith zu gehen.

In dieser aber blieb der sie entzückende Traum zurück, einem Manne, der Nichts weiter auf Erden besäße als das Herz eines Weibes, mit diesem Herzen Alles zu ersetzen. Sie liebte.

Auf der Fahrt nach Wiesbaden dachte er einen Augenblick an Brigitta. Er hatte niemals aufgehört, sie zu lieben; aber seit Edith

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_790.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)