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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

und alsbald wurde ich zu meiner Freude von Herrn Reinhold Herman, dem Dirigenten des „Liederkranz“ in New-York, begrüßt. Herr Herman, mit dem ich schon in Berlin befreundet wurde und von dem ich auch in dem letzten Extrakoncert des Koncerthauses vor einigen Monaten ein größeres Vokalwerk zur Aufführung gebracht hatte, wußte von meinem Eintreffen, und da bereits sechs Stunden vor unserer Landung die Ankunft der „Ems“ in New-York signalisirt war, so war er rechtzeitig erschienen, mich und meine Tochter zu begrüßen. Und dies war mir äußerst angenehm, da wir, der englischen Sprache nicht besonders mächtig, jetzt mit nur englisch sprechenden Beamten zu verkehren hatten. Durch Vermittelung meines Freundes wurde die Zollrevision unseres Gepäcks von einem der höflichen und zuvorkommenden Beamten, wie ich sie stets in Amerika gefunden, sehr rasch erledigt. Das Bewußtsein, uns auf dem Boden der neuen Welt zu finden, sowie manche neue und ungewohnte Eindrücke übten einen ganz besonderen Reiz auf uns, und als wir nun in Begleitung unseres Freundes durch ein Ferryboot (oder Fährboot) nach New-York übergesetzt wurden, dort eine Straßenbahn bestiegen, um nach unserem deutschen Hôtel Belvedere zu gelangen, da huschte manches Fremdartige bei unsicherer Beleuchtung geheimnißvoll an uns vorüber, um unsere Erwartungen für den folgenden Tag noch mehr anzuregen. Mit kräftigem Händedruck verabschiedete sich Freund Herman, und wir betraten unsere komfortable eingerichteten Zimmer, um die erste Nacht nach glücklich überstandener Seefahrt, diesmal ungewiegt, auf amerikanischem Boden zu entschlummern. –

So war ich denn angekommen in der Riesenstadt New-York, die mit den angrenzenden Stadttheilen Brooklyn, Hoboken, Jersey etc. etwa drei Millionen Menschen zählt. Ein Berliner Bürger und Steuerzahler fühlt sich keineswegs als Kleinstädter, aber doch sollte mein Selbstbewußtsein, der größten Stadt des geeinigten Deutschlands anzugehören, etwas herabgestimmt werden, als ich am folgenden Tage meine erste Orientirungsfahrt durch New-York machte. Was für ein Verkehr zu Wasser und zu Land in dieser Weltstadt! Welch großartige Geschäftsräume, welche Pracht, welcher Reichthum! Welch ein buntes Durcheinander aller Nationen vom blendendsten Weiß der englischen Lady bis zum tiefsten Schwarz des Negers! Kurz und gut, als mein Freund und Kollege Herman mich durch verschiedene Avenues und Querstraßen theils auf ebener Erde, theils auf irgend einer Hochbahn, theils zu Wasser geführt und mir die hervorragenden Bauten und ihre Eigenthümlichkeiten, verschiedene Parkanlagen mit den Statuen der berühmten Präsidenten der amerikanischen Republik Washington, Lincoln etc. gezeigt und mich schließlich in die Halle des deutschen Liederkranzes geleitet hatte, da war ich von den neuen und großen Eindrücken fast überwältigt, obgleich ich mich stets bemüht hatte, mir ein unbefangenes Urtheil zu bewahren. Wir waren in das Gebäude des Liederkranzes, des größten, vornehmsten und, wie man sagt, musikalisch bedeutendsten Gesangvereins eingetreten. Ein so reicher Verein, der aus 1700 aktiven und passiven Mitgliedern der wohlhabendsten und angesehensten Deutschen besteht, zu dessen hervorragendsten Koncerten und Festlichkeiten das Eintrittsbillett mit 10 bis 15 Dollars (40 bis 60 Mark) bezahlt wird, vermochte es, sich ein Gebäude zu errichten, dessen Großartigkeit, zweckmäßige Einrichtung und hohe Eleganz einen überraschenden Eindruck machen. Der prachtvolle Koncertsaal, der Uebungssaal, die Bibliothekräume, Damen-, Spiel-, Billard- und Kegelzimmer, das Restaurationslokal, im Münchener Stil eingerichtet, das Vestibül mit seinen schönen Wandgemälden, von denen eines für 8000 Dollars von einem deutschen Maler angefertigt worden ist! Alles übt eine so harmonische Wirkung aus, daß man mit Recht dieses Heim des deutschen Vereines mit dem Prädikat „wirklich schön“ bezeichnen kann.

Trotz der Großartigkeit und Pracht der Gebäude New-Yorks und ihrer inneren Einrichtung ist ja nicht immer Alles schön zu nennen, und mit Genugthuung kann ich behaupten, daß unser Berlin entschieden architektonisch schönere und bedeutendere Gebäude besitzt, auch in Bezug auf Sauberkeit in den Straßen, schönes Pflaster und freundliches Aussehen New-York den Rang abläuft, daß ebenfalls Wien und das reizende Stuttgart weit schönere Städte genannt werden müssen; aber was man drüben sieht, ist praktisch, praktisch im Größten wie im Kleinsten; alle Einrichtungen des Fahrverkehrs, der Post, der Telegraphen, der Hôtels sind großartig und entsprechen jedem Wunsche des Publikums. Hierin sind uns die Amerikaner überlegen.

Während meiner Anwesenheit in New-York hatte ich zwei Besuche zu machen. Die betreffenden Einladungen waren mir schon in Berlin zugegangen, und auch als Musiker hatte ich ja das größte Interesse, die Inhaber der größten Pianofortefabrik der Welt sowie der größten Musikalienhandlung, wenigstens in Amerika, persönlich kennen zu lernen. Die Namen Steinway und Schirmer sind weltbekannt, und von diesen Herren wurde ich mit der freimüthigen, gewinnenden Herzlichkeit, die fast allen gebildeten Amerikanern eigen ist, empfangen.

Die Firma Steinway und Sons hat Niederlassungen in New-York, London und Hamburg. In der 14. Straße befindet sich das Hauptmagazin, in dessen Räumen Hunderte von Flügeln, tafelförmigen Instrumenten und Pianinos zur Auswahl stehen. Auch ein großer und kleiner Koncertsaal, von denen der erstere 2000 Sitzplätze haben soll, ist mit diesen Räumen verbunden. Außer dem Hauptfabrikgebäude zwischen der 52. und 53. Straße, in welchem die Instrumente zusammeugestellt und fertig gemacht werden, befindet sich noch ein mächtiges Etablissement auf der Insel Long-Island am East-River, welches eine kleine Stadt bildet und aus den verschiedensten Anlagen, als Säge- und Fournirmühle, Stahlmetall- und Bronzegießerei, Docks und Wasserbassins, Trockengebäude, Klaviaturfabrik und Holzschnitzerei, besteht. Vor Allem erwähnenswert ist jedoch die Holzbiegefabrik, in welcher die Pianozargen in eisernen, durch Dampf geheizten Formen gebogen werden. Die Firma beschäftigt gegen 1050 Personen.

Was die Instrumente selbst betrifft, so wurde mein Urtheil, welches ich schon früher über die Flügel dieser Fabrik hatte, bestätigt. Sie gehören zu den vorzüglichsten in Ton und Anschlag, die ich je kennen gelernt habe; besonders bestrickend ist der Glockenton des Diskant, jedoch kann ich nicht umhin, die Weichheit und das Gesangvolle des Tones unserer heimischen Fabrikate jenen gegenüber rühmend hervorzuheben. Daß die Instrumente hier bei uns nicht die Verbreitung finden, liegt einzig am Kostenpunkte; kostspieligere Herstellung, Transport, Zoll etc. machen das Instrument gerade noch einmal so theuer, als man hier zu zahlen gewöhnt ist. – Steinway-Hall ist das Rendez-vous der musikalischen Welt; im Bureau ist eine Art Postoffice für einheimische und auswärtige Musiker eingerichtet; auch meine eigene Korrespondenz wurde während meiner Anwesenheit auf amerikanischem Boden durch die Firma Steinway prompt vermittelt.

Die Musikalienhandlung von Schirmer befindet sich am Union-Square und vermittelt fast ausschließlich das Musikaliengeschäft mit Europa. Großartig und schön sind die weitläufigen Lagerräume, in denen man in großen Stößen gewiß alle gangbaren Erzeugnisse sämmtlicher deutschen, englischen und französischen Komponisten aufgespeichert finden konnte. Auch meine eigenen Kompositionen waren fast vollständig und dazu in großer Anzahl von Exemplaren vertreten, wenn auch bei einzelnen zu meinem Leidwesen das Heimathsrecht verloren gegangen war. In den oberen Räumen fand ich ferner noch Abtheilungen für Notenstecher und Notendruckmaschinen, in denen reges Leben herrschte.

Das wundervolle Wetter veranlaßte uns, am Nachmittage eine Fahrt nach dem allbekannten und vielbesuchtett Bade-Orte Cony-Island zu machen. Cony-Island liegt am südlichen Gestade von Long-Island. und wurde uns schon bei der Einfahrt in den Hafen gezeigt. Ein Dampfboot führte uns, den Hafen kreuzend, zur Anfangsstation einer Eisenbahn auf Long-Island, von wo wir in zierlichen, luftigen Sommerwaggons in kurzer Zeit nach unserm Ziel befördert wurden. Dicht am Strande des atlantischen Oceans liegen in größeren Entfernungen drei prachtvolle fashionable Bade-Etablissements, mit allem möglichen Komfort ausgestattet. In einem derselben koncertirte die berühmte Gilmore’sche Kapelle, deren Leistungen ich gerechte Anerkennung zollen mußte. An den Badeplätzen selbst waren terrassenförmig Zuschauersitze erbaut, von denen man die badenden Herren und Damen, die in seltsamen Kostümen sich in den Wogen herumtummelten, überblicken konnte. Eine Eisenbahn, am Strande entlang, vermittelt für fünf Cent pro Person den Verkehr von einem Etablissement zum andern, besonders zu einem Vergnügungsplatz, der einer kleinen Stadt gleicht und aus einer großen Anzahl Schaubuden, Dampfkaroussels, Schießständen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_794.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2023)