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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Da packte ihn Gregor beim Arme und fuhr ihn mit zischender Stimme an: „Wann aber der Nam’ net stimmt!“

„Macht nix! Macht nix! Leicht b’sinn’ ich mich auch nimmer richtig auf sein’ Nam’. Aber – sein’ Nummer weiß ich noch – der Dreiundsiebz’ger is er g’wesen! Und Einer von die G’wichtigen! Zwölf Jahrln hat er g’habt! A Malefizzeit – so was! Mir waren meine vier schon z’viel, wo s’ mir selbigsmal ’naufg’hängt haben, völlig unschuldig, wegen so ei’m miserabligen Schlösserl, wo mir unter der Hand verbrochen is. Aber no – jetzt bin ich’s g’wohnt –“

„Laß mich in Ruh’ mit Dei’m G’wasch,“ raunte Gregor dem Alten mit heiserer Stimme zu. „Warum s’ ihn ’packt haben, sag’ mir!“

„Ja mein, da bin ich überfragt. Aber was B’sonders muß er ang’stellt haben, weil er gar so stolz g’wesen is! Ja! Wir Alle, wir waren ihm gar net nobel g’nug!“

„Na – na – es kann net sein! Du mußt Dich dengerst verschaut haben in ihm!“

„G’wiß net! Das heißt, es is a Bißl lang schon her – und wetten möcht’ ich g’rad net, aber – schwören thu’ ich!“

„’s Wetten wär’ mir lieber! Aber wissen möcht’ ich’s! Und mach’ weiter, da kommst mit mir jetzt und fragst ihn vor meiner ins G’sicht ’nein, ob er’s is!“ Ein paar Schritte zerrte Gregor den Alten mit sich fort; dann plötzlich wieder blieb er stehen, schüttelte heftig den Kopf und murmelte: „Na – nix – so geht’s net! So taugt’s mir net!“ Mit einem forschenden Blick überflog er das Haus und den leeren Hofraum, griff in die Tasche, drückte dem verdutzten Alten ein Markstück in die Hand und flüsterte ihm zu: „Da hast a Zehrgeld. Und jetzt gehst ins Wirthshaus und bleibst über Nacht. Es soll Dir ’was tragen – ’leicht kann ich Dich morgen als Zeugen brauchen!“

„Ah so? So steht’s?“ kicherte der Alte unter einem verständnißinnigen Grinsen. „Und weißt es ja – Dir thu’ ich allweil gern an G’fallen! Ich – ich bezeug’ Dir Alles – was Du haben willst. Heut’ g’rad so wie selbigsmal!“ Dabei schielte er mit einem zwinkernden Blick zu Gregor empor.

„Halt’ Dein’ Schnabel und mach’, daß weiter kommst!“ zischelte der Bursche, wandte sich hastig ab und ging, die Fäuste in die Taschen grabend, dem Hause zu. Unter der Thür schaute er noch einmal zurück und sah den Vagabunden mit wackelndem Kopfe durch das Zauntor auf die Straße schlurfen. „Lump alter! Du bist mir amal g’legen ’kommen!“ lächelte er vor sich hin, und während er langsam hinüberblickte gegen die Ställe, blitzte eine boshafte Freude in seinen Augen auf.

Er sah den Stoffel aus einer Thür treten, sah ihn ein Brett quer über den Brunnentrog legen und allerlei Riemenzeug herbeischleppen. Nach einer Weile kam auch Götz zum Brunnen und füllte einen hölzernen Eimer zum Trank für die Pferde.

Mit gekreuzten Armen lehnte sich Gregor an den Thürpfosten, furchte die Brauen, zog über den geschlossenen Zähnen die Lippen aus einander und starrte nachdenklich vor sich hin. Dann plötzlich fuhr er mit der Hand in die Tasche und brachte mehrere Markstücke hervor, die er der Reihe nach betrachtete. „Akrat is eins dabei!“ lachte er leise auf, drückte die ausgewählte Münze mit dem Daumen gesondert in die Hand und schob die andern wieder in die Tasche.

Langsam schlenderte er auf den Brunnen zu und begann in einem gar gnädigen Ton mit Stoffel zu plaudern, der mit einer Bürste das Riemenzeug bearbeitete, um die darüber gestrichene Schwärze in Glanz zu bringen. Und während er so plauderte und lachte, klapperte er unablässig mit dem Gelde in seiner Tasche. Stoffel spitzte die Ohren und meinte schließlich mit einem neidischen Seitenblick: „Saxen, da scheppert’s aber!“

„No ja, wo Vögel sind, da zwitschert’s halt,“ gähnte Gregor, zog die Hand aus der Tasche, warf ein Markstück in die Luft und fing es wieder mit geschicktem Griff.

„Ah! Nobel!“ staunte Stoffel. „Das möcht’ ich schon noch amal sehen.“

„So schau halt her!“

Wieder flog das Markstück in die Höhe – so hastig aber auch Stoffel mit beiden Händen zugreifen mochte, dennoch kam er um einen guten Bauernschuh zu kurz.

„Ja, g’schnitten!“ lachte Gregor und schnappte die fallende Münze dem Knechte vor der Nase weg. Da hörte er schwere Tritte aus dem Stalle näher kommen. Hastig streckte er die geschlossene Faust. „Aber schau – daß net meinst, ich bin Einer von die Neidischen – wann d’ Jahrzahl errathst – g’rad oder ung’rad – nachher g’hört’s Dein!“

Die Verdrossenheit in Stoffel’s Zügen verwandelte sich in zweifelnde Hoffnung. Er schielte nach der Hand, die sich ihm entgegenbot, schlenkerte die Quaste der Zipfelmütze vom linken Ohr aufs rechte und brummte: „Ich glaub’s net!“

„Auf Ehr’!“

„No also – ung’rad!“

„So schau Dir’s an!“

Mit beiden Händen tappte Stoffel nach Gregor’s Faust; doch als er sie fest geschlossen fand, murrte er entrüstet: No freilich, wie soll ich denn da schauen! Aufmachen sag’ ich!“

„Plag’ Dich halt a Bißl!“ lachte Gregor.

Während Stoffel nun gewaltsam die Faust des Burschen zu öffnen suchte, trat Götz zu den Beiden, schob den Eimer unter die Röhre und wandte sich wieder zum Gehen, als hätte er in der Gesellschaft, die er am Brunnen fand, die Füllung des Eimers nicht erwarten mögen.

Da öffnete Gregor von selbst die Finger. Stoffel riß die Münze an sich, schob sie vor die funkelnden Augen und schrie in heller Freude die Zahl hinaus, die er auf der Prägung gefunden: „Dreiundsiebz’g!“

Als wäre vor Götz ein Blitzstrahl niedergefahren, so zuckte er zusammen. Die Kniee schienen ihm brechen zu wollen, und mit beiden Händen griff er nach der nahen Mauer.

Gregor hatte genug gesehen. Nun brauchte er keinen Zeugen mehr. Mit einem boshaften Lächeln wandte er sich ab, und während er dem Hause zuging, hörte er hinter sich den Stoffel jubeln: „Da schau, Götz – da schau her! A Markstück hab’ ich g’wonnen. Rathen hat er mich lassen – und ung’rad hab’ ich g’rathen! Und g’wonnen hab’ ich! A Dreiundsiebz’ger war’s! A Dreiundsiebz’ger!“

Als Gregor die dämmerige Stube betrat, fand er Kuni damit beschäftigt, den Tisch für das Abendessen zu decken.

„No also? Hast Dich schon b’sonnen?“ fragte er, während er den Hut in einen Winkel schleuderte. „Ja oder na?“

Kuni warf die Bestecke, die sie aus der Lade genommen, auf den Tisch, trat mit hastigen Schritten vor den Burschen hin und sagte mit einer mühsam gedämpften, vor Erregung bebenden Stimme: „Mit Ja und Na is da nix g’sagt! Ich will mich amal ausreden mit Dir – und ganz! Und heut’ noch! In der Nacht, da wart’ ich hinter der Holzleg’ draußen, bis vom Wirthshaus kommst; denn im Haus herin is kein Reden für uns! Ich mag amal nimmer – ich mag net! Und ich sag’ Dir’s im Ernst!“

„Oho! Oho! Im Ernst! Jetzt da muß ich mich dengerst gleich um an Aufheiterung umschauen für Dich! No also, paß’ auf, heut’ Abend kannst noch an G’spaß erleben – an ganz an guten!“

„Gori!?“

„Mußt Dich net sorgen! Dir gilt’s für heut’ noch net!“ erwiederte der Bursche mit höhnischem Lachen. „Aber – a Kunststückel will ich probiren. Paß’ auf – ich reiß’ an Stein aus der Wand, und wenn er gleich drein verwachsen is! Und bei dem G’spaß, da kannst Dich g’rad überzeugen, wie d’ Leut’ über g’wisse Sachen denken!“

In Kuni’s Zügen stritten Zorn und Angst. „Was? Was is jetzt das schon wieder? Was hast im Sinn? Es is nix Gut’s! Ich kenn’ Dich, Gori, und ich sag’ Dir’s –“

Jählings verstummte sie, huschte zum Tische zurück, und während sie mit zitternden Händen die Bestecke vertheilte, lauschte sie in scheuer Unruhe den Stimmen und Tritten, die sich vom Flur herein vernehmen ließen.

Die beiden Pointner hatten das Haus betreten.




12.


Kaum eine Stunde später war’s, da brannte in der Stube schon die Hängelampe über dem gedeckten Tisch.

Hinter dem Ofen lag Gregor mit ausgestreckten Beinen auf dem Sofa Nebenan in der Kammer, deren Thür offen stand, rumorte der Pointner, und während er die schweren Schuhe in eine Ecke stieß, hörte man ihn seufzen, als wäre er nicht der Bauer auf der Point, sondern das armseligste Häuflein Elend.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_798.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)