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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 49.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Die Geheimräthin.

Novelle von Hieronymus Lorm.
(Fortsetzung.)


Der große Saal, in welchem ein altväterlicher Kamin große Holzklötze verzehrte, war der eigentliche Wohnraum des Hauses von Glowerstone und zugleich das einzige Gemach, in welchem Fremde empfangen werden konnten. In einer Ecke saß Sir Albert vor dem Schachbrett, um Probleme zu lösen, was einigermaßen einer philosophischen Aufgabe gleich kam; in der anderen Ecke saß Edith beim Spinnrad. Dieses aus den Urväterzeiten überkommene Geräth, welches gegenwärtig selbst in Bauernstuben nicht mehr zu finden ist, bot Edith eine wohlthätige Beschäftigung. Sie haßte die weiblichen Handarbeiten, welche die Augen anstrengen und nichts zu Tage fördern, was Nutzen hätte oder der Schönheit eines Kunstwerkes gleichkäme, und ebenso war sie nicht geneigt, eine ihr von der eigenen Denkungsweise vorgeschriebene Diät der Lektüre zu überschreiten und Abend für Abend ein neues Buch nach dem andern zu lesen.

Der Eintritt der beiden Damen verursachte eine Freude, die bei Vater und Tochter ganz verschiedene Ursachen hatte. Edith war durch die Gegenwart der Gräfin immer beglückt, während ihr Vater sie beinahe fürchtete, weil seine „Muhme Isabel“, wie er sie spöttisch gern nannte, zu viel Kritik an ihm übte. Hingegen war Glowerstone ganz außer sich vor Vergnügen, als die Gräfin ihre Begleiterin vorgestellt hatte; er glaubte sich schon am Ziel seiner höchsten Wünsche. Sogleich räumte er ihr einen Platz in der Ecke ein, wo er über den Schachproblemen gegrübelt hatte, indeß die Gräfin sich mit Edith vor das Spinnrad setzte, so daß beide Parteien gegenseitig außer Hörweite waren.

„Sie dürfen nicht erstaunen, Frau Geheimräthin,“ sagte er, „einen Gutsbesitzer und englischen Sir in so primitiver Behausung zu finden. Ich habe mich aus der Welt zurückgezogen; denn die Welt dreht sich um die Achse der Dummheit. Das ist auch ganz natürlich. Denn wenn sie nicht dumm wäre, so würde sie sich überhaupt nicht mehr drehen, also lieber zu existiren aufhören. Das ist aber einer so wunderschönen Frau gegenüber – Sie werden einem alten Manne das unwillkürliche Kompliment verzeihen, weil es von seinen Lippen eine Wahrheit ist, – das ist der Schönheit gegenüber eine schlecht angebrachte Philosophie. Die Frauen sind es allein, welche die Existenz der Welt begreiflich und verzeihlich machen.“

Brigitta ging sogleich auf den angeblichen Zweck ihres Erscheinens über, auf die Beschaffenheit des Gutes, das zu verkaufen wäre. Damit war ein Thema nach dem Herzen Glowerstone’s gegeben. Er begann seine Lobpreisung des Gegenstandes in der Form unzähliger wirthschaftlicher Details vorzutragen, von denen er selbst nicht das Geringste verstand, die er aber vom Pächter auswendig gelernt hatte. Mit halbgeschlossenen Augen lauschte Brigitta auf die ihr unendlich gleichgültige Rede; sie lauerte darauf, ob nicht der Name des Legationsrathes vorkommen werde. In der That, Glowerstone schloß

Vor dem Nikolaustag.0 Originalzeichnung von Mathias Schmid.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_805.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2023)