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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Diese Frage ist eine der peinlichsten, die der Erzähler seines Schicksals zu beantworten hat.

Louis Riel hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß sein friedliches und gesetzliches Wirken für sein Volk Jahre fortdauern müsse, um zum Ziele zu führen. Er hatte fünf Jahre lang aus eigener Arbeit für sich und die Seinen gesorgt. Hier in Manitoba ließ ihm die Sorge für sein Volk keine Zeit zu eigenem Erwerb. Die Freunde konnten ihm nach seiner Meinung den Unterhalt auf so lange Zeit nicht schaffen. Er glaubte aus der Behandlung, die ihm vor einem Jahrzehnt widerfahren war, gerechte Ansprüche an die kanadische Regierung zu haben. Er machte diese Ansprüche geltend, gewiß nicht bloß aus Eigensucht, sondern zugleich, um die Mittel für die Fortsetzung seiner Agitation für die Stammesgenossen zu gewinnen.

Dieses Streben erschien ihm so löblich, daß er auch unheilige Mittel dafür erlaubt hielt. Er war als frommer Katholik nach den Vereinigten Staaten gekommen. Er hatte dort die Grundgedanken des protestantischen Bekenntnisses in sich aufgenommen, dieselben sich vertraut gemacht. Und da er aus den früheren Vorgängen seiner Heimath wohl erkannt hatte, welchen unbedingten Einfluß die römische Geistlichkeit unter seinen Stammesgenossen übte und welche Achtung sie bei den englischen Machthabern genoß, wie ihre Vermittlung immer erfolgreich gewesen war, so beschloß er, diese mächtige Fürsprache auch seinen persönlichen Forderungen an die Regierung dienstbar zu machen. Er benutzte zu diesem Zwecke Alles, was er an Zweifeln an seinem ererbten Glauben aus den „Staaten“ heimgebracht hatte. Er gab sich selbst für einen tiefzerfressenen Zweifler aus, um als Preis für seine eigene Unterwerfung unter den alten Glauben die Befürwortung seiner persönlichen Ansprüche an die Regierung zu erlangen. Seine Berechnung trog nicht. Er unterwarf sich feierlich, und die geistlichen Vermittler redeten zu Gunsten seiner Ansprüche, wenn auch nicht für die 100 000 Dollars, die er ursprünglich forderte, doch für die 35 000, auf die er herabging, oder für etwas weniger. Die Regierung aber bewilligte keine dieser Forderungen, welche Riel in den letzten Monaten des Jahres 1884 und in den ersten von 1885 ausschließlich beschäftigten.

Die Obdachlosen Berlins vor dem Asyl.
Originalzeichnung von E. Hosang.

Und nun schlug Riel plötzlich los, griff plötzlich zur bewaffneten Empörung, möglicherweise mehr hingerissen, als selbst entscheidend; denn sein Freund Gabriel Dumont hatte schon Wochen vorher die Indianer des Grenzgebietes zum Betreten des Kriegspfades und zum Ausgraben der Streitaxt aufgereizt. Riel billigte nur alles Geschehene und noch zu Geschehende und deckte es verantwortlich mit seiner Führerschaft.

Auf das Genaueste und mit tiefster Berechnung dem Volke und Lande angepaßt waren Riel’s Kampfmittel und Kampfziele.

Zunächst galt es, den frommen gottesfürchtigen Sinn der Mestizen an sich zu fesseln. Dieselben waren gute Katholiken. Wenn die katholischen Geistlichen von der Empörung abmahnten, so folgten sie Riel keinesfalls. Riel gab sich daher von dem Zeitpunkte an, wo er die Waffen ergriffen hatte, für einen Propheten aus, in welchem der Geist Gottes wohne, der daher unendlich viel unmittelbarere Eingebungen und Offenbarungen Gottes habe, als die Geistlichkeit. Dieser in Riel wohnende Geist Gottes machte ihn selbstverständlich auch zum Werkzeug in Gottes Hand, folglich unbesiegbar. Um nun einige der Kräfte kund zu thun, welche Propheten immer gehabt haben, prophezeite Riel täglich vor versammeltem Kriegsvolk, was eintreten werde und was nicht, und zwar in so allgemeinen Ausdrücken, daß Manches eintraf. Außerdem führte er ein Buch, in welchem er die Offenbarungen Gottes, deren er theilhaftig wurde, mit Büffelblut niederschrieb. Beherbergte ihn ein Freund über Nacht, so vergalt er diese Liebe damit, daß er die ganze Nacht für die gemeinsame Sache ganz neue Gebete laut hersagte, so daß Jener nicht schlafen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_813.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2023)