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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

sich denn Brigitta auch das letzte Opfer noch auferlegen und Zeuge einer Versöhnung werden, durch welche das beste Glück, das sie auf Erden besessen hatte, zu den Todten geworfen werden sollte. Einen Augenblick preßte Brigitta ihr Tuch an die Augen; ein einziges krampfhaftes Schluchzen, rasch unterdrückt, entwand sich ihrer Brust. Dann war das Opfer vollendet und kein Klagelaut sollte sie selbst jemals glauben machen können, daß sie es bereute.

Sie traten in die Wohnung Brigitta’s; Malköhne, der eine Annäherung gehört hatte, stand aufrecht und todtenbleich mitten im Zimmer. Beim unerwarteten Anblick des Geliebten wollte Edith entfliehen. Brigitta umschlang sie mit beiden Armen und sagte mit zitternder Stimme:

„Hier hat er gewartet, sinnlos, gedankenlos, daß ihm irgend woher die erwünschte Vernichtung komme; bringen Sie selbst ihm das neue Dasein, führen Sie ihn an das höchste Ziel seines Lebens!“

Brigitta verschwand im Nebenzimmer. Malköhne, der weniger aus ihren Reden als aus der veränderten Miene Edith’s und ihren auf ihm ruhenden Blicken die glückselige Wendung erkannte, war von freudigem Schreck im Tiefsten erschüttert. Allein den Zusammenhang ahnend, fühlte er wohl, daß er nicht in unmittelbarer Nähe Brigitta’s die ihn beglückende Versöhnung zum Abschluß bringen durfte. Nur wenige leidenschaftliche Worte sprach er mit gedämpfter Stimme zu Edith und verließ das Zimmer, geräuschvoll genug, daß Brigitta seine Entfernung vernehmen und sich wieder zu Edith verfügen konnte.

Am nächsten Tage erfuhr Brigitta durch die Gräfin, daß Vetter Albert einmal in seinem Leben keinen zu sanguinischen Palast aufgebaut hatte, daß Edith sich wirklich mit dem Legationsrath Siegfried Malköhne verlobt hatte. Dieser war von einem richtigen Gefühle geleitet, indem er es vermied, Brigitta wiederzusehen. Er wußte, daß sie es ihm danken würde. Ihr Aussehen aber war von der Art, daß die Gräfin sie nicht verlassen wollte. Nach und nach kam der Bericht von Allem, was vorgefallen, über die Lippen Brigitta’s; die Gräfin war ihr zu theuer geworden, um ihr verschweigen zu können, was sie ihr ohnehin schriftlich hatte mittheilen wollen.

„Jetzt aber fürchten Sie nicht,“ schloß Brigitta, „daß mich die Welt elend sehen und jammern hören würde. Uns Frauen ist das laute Klagen verwehrt. Heiße Thränen in der Nacht geweint, die solchen Kummer verhüllt und verschweigt: das ist es allein, was uns bleibt, wenn uns das Leben enttäuscht hat und wir in unserm innersten Fühlen tödlich gekränkt sind.“

Die Gräfin fragte nach der nächsten Gestaltung der Lebenslage Brigitta’s.

„Ich habe ein kleines Gut in Ostpreußen,“ erwiederte diese, „seit undenklichen Zeiten ein Besitzthum meiner Familie, des Hauses Tartarow. Die Gegend ist sehr häßlich, aber was liegt daran? Ich werde mich dahin zurückziehen; dadurch erspare ich mir’s auch, mich mit der Verwaltung schriftlich zu beschäftigen. Bisher hat mir der Legationsrath das Bezügliche geordnet oder ordnen lassen.“

Die Gräfin warnte sie davor, sich der Einsamkeit zu überlassen.

„Immerwährende Veränderung,“ sagte sie, „täglich ein neues Ziel vor Augen, sei es noch so unbedeutend: das rettet noch allein Frauen vor dem Untergang, die ein Schicksal haben wie Sie und ich.“

Daran knüpfte die Gräfin den Namen des Freiherrn Ludwig von Perser. Er wäre eine passende Gesellschaft für Brigitta und könnte zugleich die schriftliche Verwaltung des Gutes führen. Brigitta hatte keine bestimmte Antwort darauf.

Die Frauen schieden. Die Gräfin begab sich nach Wiesbaden, um von dort aus nach Italien abzureisen, und Brigitta kehrte in die Hauptstadt zurück. Es währte nicht lange, so fand sich Perser mit einem Briefe der Gräfin bei ihr ein. In der That wurde es für Brigitta eine unentbehrliche Unterstützung, dem durchaus rechtlichen Manne ihre Geschäfte übertragen zu können und an dem Baron einen würdigen Repräsentanten zu haben, wenn sie nicht selbst auf dem fernen Gute mit dem Gewicht ihrer Persönlichkeit auftreten wollte. Perser bezog die Wohnung neben ihr, die er einst hatte miethen sollen. Wohl versuchte er nach und nach eine immer dringendere Bewerbung um ihre Hand; allein für eine edle Frau bleibt, wenn sich die Treue für ein geliebtes Wesen nicht gelohnt hat, nur noch ein letzter Trost: die Treue für den Schmerz, den ihr der Verlust verursacht hat.

Fast sechs Monate des Jahres brachte Perser getrennt von Brigitta auf ihrem Gute zu. In der Thätigkeit für sie lernte er allmählich gleich ihr selbst jene Entsagung lieben, die, während jeder Besitz von Unruhe begleitet ist, bei aller Wehmuth doch wenigstens einen dauernden Frieden in sich schließt.




Ein Hochverrathsproceß in Kanada.

(Schluß.)

Riel eröffnete den Feldzug nach einem Plan, der ganz den Verhältnissen und seinen geringen Streitkräften angepaßt war. Er versuchte, mit Schrecken und Gewalt zum Ziel zu gelangen. Er legte sich auf den Geiselfang, um den Feind durch die dann und wann ausgestoßene Drohung der Niedermetzelung der Geiseln zur Annahme seiner Bedingungen zu bewegen. Die größeren Unternehmungen dieser Art, die er plante, wie die Gefangennehmung der ganzen Besatzung der Forts Carlton, wohl gar die Gefangennehmung des englisch-kanadischen Heerführers, Generals Middleton, mißlangen ihm freilich.

Die von Dumont und Riel aufgebotenen Indianer vervollständigten den Schrecken, der Riel’s Truppen voranging. Wie eine flüchtige, aber verheerende Wolke jagten sie über die reichen Lande, raubend, plündernd, brennend, einmal auch, am 2. April am Froschsee (Frog-lake), grausam mordend unter wehrlosen Ansiedlern. Die Mestizen, die sich Riel anschlossen, verfuhren zwar etwas höflicher und glimpflicher in der persönlichen Behandlung der Bevölkerung, aber nicht minder gründlich in der Wegnahme alles ihnen Dienlichen, namentlich in der Ausleerung aller Magazine und Läger ihres Bereiches, in denen sich Waffen, Kriegsvorräthe, Nahrungsmittel, Decken etc. vorfanden. Sehr wohlhabende Leute sind dadurch vollständig verarmt. Gleich mit Beginn der Bewegung, am 18. März 1885 wurden auch die Telegraphendrähte durchschnitten, um eine Ansammlung feindlicher Streitkräfte zu verzögern. Die Indianer, mit ihrem scharfsinnigen und vortrefflichen Späher- und Vorpostendienst, verhüllten die Bewegungen der kleinen Heeresmacht Riel’s und hinderten jeden unerwarteten Angriff.

Die Verblüffung der gegnerischen Bevölkerung und der kanadischen Regierung war bei dem plötzlichen Ausbruch der Empörung fast eine vollständige. Deßhalb erfocht auch Riel anfangs, am 26. März am Entensee, gegen die wegen Mangels an Lebensmitteln ausgerückte Besatzung des Fort Carlton einen unbedeutenden Sieg und nahm am folgenden Tag das verlassene Fort ein. Er lagerte sich aber dann bis zum Mai ziemlich unthätig in Batoche und machte dem königlichen Oberbefehlshaber General Middleton erst den Uebergang über den Fluß an der Coulée des Tourond streitig, anfangs mit Erfolg.

Dagegen vermochte Riel’s ungeschulte Truppenmacht dem von Middleton gut geleiteten kleinen Heer der Kanadier nicht zu widerstehen. Nach dreitägigen heftigen Kämpfen wurde am 12. Mai Batoche, Riel’s Hauptquartier, erstürmt und den in bedrohlichster Lage befindlichen Geiseln die Freiheit wiedergegeben.

Riel war aus dem eroberten Ort in die Wälder geflohen. Seine Genossen retteten sich zum größten Theil über die Grenze der Vereinigten Staaten, namentlich Dumont. Ich glaube, Riel hätte sich gleichfalls retten können; einen Verräther hätte er unter dem treuen Volk nicht gefunden. Aber General Middleton hatte ihm nach der Einnahme von Batoche geschrieben: wenn Riel sich ergebe, werde er ihn schützen, bis die Regierung Riel’s Schicksal bestimme. Middleton’s Heerhaufe war inzwischen zur Verfolgung der letzten Streitkräfte Riel’s aufgebrochen. Riel wollte die Verfolgung und weiteres Blutvergießen vermeiden. So schrieb er am 15. Mai an Middleton, er wolle nach Batoche gehen, um sich dem Willen Gottes zu unterwerfen. Es war der edelste, aber verhängnißvollste Schritt seines Lebens. Wie er vorausgesehen und beabsichtigte, kehrte Middleton sofort um. Am nämlichen Tage wurde Riel gefangen in das englische Lager gebracht. Am Montag den 18. Mai wurde er, auf telegraphische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_826.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2023)