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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

an die festlichen Vorbereitungen zu legen. Für die abendliche Bescherung werden jetzt schon die Lose gezogen; durch sie entsteht ein gewisses Gefühl der Sicherheit, daß es doch wohl nicht so „ganz ohne“ abgehen werde. Auch müssen die Wetten zum Austrag gelangen. Bruno Stein hat unvorsichtigerweise seine „ganze Bescherung“ eingesetzt und dementsprechend händigt er seinem glücklichen Partner gleich sein Los aus; er will gar nicht sehen, durch was man ihn erfreuen wollte.

Der Abend ist da und mit ihm jenes geheimnißvolle Weben der Liebe, die in Palast und Hütte waltet, so weit die deutsche Zunge klingt. Sie waltet auch auf dem deutschen Kriegsschiffe, fern an den Grenzen der Civilisation.

„Alles klar zur Bescherung!“

Zunächst wandert Alles, Hoch und Niedrig, Alt und Jung zu den „Backen“; ein Tisch ist noch herrlicher geschmückt als der andere: Licht, Glanz, fröhliche Gesichter überall. Darnach geht’s in das wahre Weihnachtsheiligthum, in die Kadettenmesse, wo der „Vorstand“ seit Stunden im Schweiße seines Angesichts gearbeitet hat. Eine in hundertfältigem Lichtschmuck strahlende Edeltanne reckt ihre Zweige bis an die Decke des Schiffsgemaches; die Wände sind mit stark duftendem Grün bekleidet, in welchem zahlreiche phantastische chinesische Lampen glühen. Auf langer weißgedeckter Tafel aber liegen die Geschenke ausgebreitet. Es werden der Kommandant und die höheren Officiere „um die Ehre ersucht,“ und erst nachdem der hohe Besuch sich entfernt hat, läßt die Jugendfreudigkeit sich nicht mehr zügeln. Ein unbeschreiblich heiteres Durcheinander füllt den Saal.

Ein Einziger nur hat sich in die fernste Ecke gedrückt und brütet dumpf vor sich hin. Im Getümmel scheint Niemand seiner zu achten: es ist Bruno Stein.

Jetzt öffnet sich die Thür abermals und herein hinkt am Krückstock eine mit Schneeflocken übersäte, vermummte Gestalt, die vorn einen langen grauen Bart hat, welcher verdächtige Aehnlichkeit mit einem aufgedröselten Stück Segelgarn zeigt; auf dem Rücken trägt die Gestalt einen schweren Korb. Eine starke Stimme ersucht die jungen Herren um einige Augenblicke Ruhe, denn – der Weihnachtsmann ist erschienen.

Im Juli, als auch das zärtlichste Mutterherz noch nicht an Weihnacht dachte, sorgte bereits die „große Mutter“, die Admiralität, für ihre Zöglinge. Durch einen Schulofficier war den Eltern der auf der ostasiatischen Reise befindlichen Seekadetten die briefliche Anforderung zugegangen, etwaige Weihnachtsgeschenke für die Söhne und Brüder verpackt in feste Kistchen, in genau vorgeschriebener Form, binnen kürzester Frist an die Admiralität in Kiel einzusenden, welche die Beförderung, respektive rechtzeitige Auslieferung derselben übernehme. Auch an die Eltern des zur Zeit unglücklichsten Kadetten auf Seiner Majestät Schiff „Jason“ war ein solcher fürsorglicher Brief gelangt und – – „es ist der Weihnachtsmann aus Deutschland angekommen, welcher einige Päckchen hier lassen möchte, ehe er seinen Spaziergang um die Erde fortsetzt.“

Athemlose Stille, freudigbange Spannung. Bruno Stein heftet die glühenden Augen auf den Sprecher, dessen Stimme ihn merkwürdig an die des knurrigen Bootsmannes mahnt. Da faßt der Weihnachtsmann in seinen Korb und hält ein Päckchen hoch: „Bruno Stein!“

Wie der Gerufene das Kistchen aufreißt, wie er aufschreit beim Anblick der schönen Bilder von Vater und Mutter, wie er nach dem lechzend ersehnten Brief sucht, wie er liest und dann im Erlösungsrausch den ersten besten Kameraden umarmt – das ist ein Anblick für Götter. „Du, das gehört mit zur ‚ganzen Bescherung‘, die ich Dir abgewonnen habe,“ neckt ein Freund den Glücklichen. Bruno hört es kaum, er hält seine Schätze fest. Die übermüthigen Kameraden, die festlichen Säle, das herrliche Schiff, die ganze Welt: sie sind nur ein schwacher Abglanz von der Seligkeit in seiner Seele. O, an dieser zauberartigen Wirkung zeigt es sich wieder: der Menschheit Höchstes ist die Liebe!

In diese Stimmung hinein tönen plötzlich die wunderbar ergreifenden Klänge des Liedes „Deutschland, Deutschland über Alles.“ Das Musikcorps der Matrosendivision schickt das Lied in die stille Christnacht hinaus zur Ehre des Vaterlandes, und mehrere hundert frische Seemannskehlen fallen ein: „Ueber Alles in der Welt.“

Während der nun folgenden Abendtafel und der Weihnachtsbowle saß Bruno Stein und schrieb Bogen auf Bogen. Die „Jason“ hatte zur Zeit keinen glücklicheren Menschen an Bord und – auch keinen besseren.

Gesegnete Weihnacht!




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Der Unfried.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)
13.

Die Wolken schienen an den finsteren Dächern und an den Wipfeln der halb schon entblätterten Bäume anzustreifen. Sie lagen so dicht und schwer, daß der Sturm, so heftig er auch tobte, sie kaum zu bewegen vermochte. In das Pfeifen und Rauschen des Windes mischte sich das Kreischen der rostigen Dachfahnen, das Klappern der losen Fensterläden, das Aechzen der Bäume und das Knarren ihrer Aeste. In wirbelnden Säulen fuhren die dürren Blätter über die Straße hin oder sammelten sich, wenn die Gewalt des Sturmes sich für eine kurze Weile schwächte, auf der Erde zu raschelndem Tanze. Dann fielen auch schwere Tropfen, doch immer versiegte der Regen wieder, sobald der Wind mit heftigen Stößen sein altes Treiben und Rauschen begann.

Langsamen Schrittes folgte Götz der dunklen Straße. Seine Joppe flatterte und die gezausten Haare peitschten ihm die Wangen. Er schien die scharfe Kälte nicht zu fühlen, die ihn umwehte. Fast vor jedem Hause blieb er stehen, als hätte er stummen Abschied nehmen mögen von jeder Thür, durch die er gegangen, von jedem Fenster, aus dem er in all den verwichenen Jahren so manchen freundlichen Gruß und manch ein trauliches Wort vernommen. Auf den Kirchhof trat er, wanderte durch die Reihen der Gräber und verhielt sich vor jedem Hügel, zu welchem vor Jahr und Tag seine eigene Hand eine Schaufel voll Erde geworfen. Nun stand er vor einem eisernen Gitter, das ein zimmergroßes Geviert umschloß. Es erhob sich in ihm nur ein einziger Hügel – das Grab der seligen Pointnerin – und das drückte sich hart in eine Ecke, um Raum zu lassen für die Kommenden.

„Da – da, hätt’ ich g’meint – da sollt’ ich auch amal mein Platzl finden! Aber jetzt – wo jetzt!“

Er fuhr sich über die Augen, dann faltete er die Hände und betete.

„B’hüt’ Dich Gott halt, Bäuerin!“ seufzte er auf, bekreuzte sich und verließ den Kirchhof.

Er wanderte durch das halbe Dorf zurück, erstieg den Kapellenberg und setzte sich auf jene Bank, auf welcher Sanni gesessen, als er ihr die Nachricht von der Ankunft ihres Vaters brachte.

Auf dieser Höhe hauste der mächtige Sturm in seiner ganzen Wildheit. Er pfiff und johlte um die Mauerecke der Kapelle und heulte durch die Luken des Glockenturmes. Er peitschte das letzte Laub von den Bäumen und schlug die dürren Zweige von ihren Aesten.

Götz fühlte, wie der gewaltige Stamm der Linde, an die er sich mit dem Rücken lehnte, bis ins Mark erzitterte. Rindenstücke und kleine Zweige rieselten über ihn nieder, und häufig sah er sich in eine völlige Wolke der wirbelnden dürren Blätter gehüllt.

Ein Schauer rüttelte seine Schultern. Seufzend erhob er sich. „Es is kein Bleiben net!“ murmelte er – und es hatte dieses Wort für ihn einen doppelten Sinn. Es galt dem Orte, an dem er sich befand, und schloß zugleich die Reihe der Gedanken, welche ihm hier durch Kopf und Herz gestürmt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 831. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_831.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)