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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Orchester sah sich genöthigt, seine Thätigkeit nach dieser Nummer auf eine halbe Stunde zu vertagen. Da ich aber nach Ablauf dieser Zeit mich schon zu der erwähnten Probe begeben mußte, so schied ich zum Theil unbefriedigt aus den Räumen, nahm aber immerhin den Eindruck mit nach Hause, daß das aus ungefähr 60 Musikern bestehende Orchester unter der sicheren Leitung seines tüchtigen Dirigenten ein wohlgeschultes und jedenfalls hervorragendes ist. Das Programm enthielt außer dem Verzeichnisse der Musikstücke noch mannigfache Notizen über die Personen der betreffenden Komponisten und deren hervorragende Schöpfungen, auch Erläuterungen über den Inhalt der vorzutragenden Nummern, und ferner Annoncen jeglichen Inhalts und Kalibers. Eine solche Ausführlichkeit der Programme habe ich in Amerika fast immer gefunden. Hiesige Koncertinstitute haben diese Idee jüngst bei uns acceptirt; ja man ist noch weiter gegangen, indem man z. B. zu den Quartettsoiréen die Partituren an der Kasse auslegt, so daß das musikverständige Publikum die Musik sogar nachlesen kann.

In ihrem Uebungssaal fand ich die vereinigten Sänger Chicagos versammelt und wurde überaus herzlich von denselben empfangen. Die Abkühlung nach dem Gewitter war noch nicht bis in diese Räume gedrungen; daher sah ich mich genöthigt, die Probe zu meiner Hymne im Schweiße meines Angesichts und unter ähnlichen Wahrnehmungen bei den Herren Sängern zu leiten. Gott sei Dank, das Werk war tüchtig studirt; alle Nüancen kamen zu schöner Geltung, und die Klangfülle schien auf amerikanischem Boden noch intensiver zu sein. Somit war meine Arbeit eine leichte und kurze, und in warmer Anerkennung der Leistungen legte ich meinen Taktstab nieder.

Wie gut ein Seidel Bier nach einer heißen Probe schmeckt, wissen unsere Berliner Sänger ganz genau; aber wie ein Glas vom besten Chicagobier an der Quelle im Kreise deutscher Sänger und lieber Landsleute mundet, können sie höchstens ahnen. Ich habe zwar nicht nach der Uhr gesehen, aber spät mag es gewesen sein, als wir nach Hause kamen.




Der Unfried.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)


Mit beiden Armen hatte Kuni sich an Götz geklammert, wie um ihn zu verhindern, auf Gregor loszustürzen; dazu sprach sie in wirren, stammelnden Worten zu ihm auf, als sollte nur der Klang ihrer Stimme jenen grausamen Spott übertönen: „Geh, mußt Dich net kümmern – und Gott sei Dank, jetzt is er ja fort!“ flüsterte sie, während jenes giftige Lachen verklang, als hätte sie Götz damit einen Trost gesagt. Da fühlte sie, daß er wankte. „Ja um Gotteswillen – was is Dir denn?“

„Nix – nix! ’s Stehn vermag ich nimmer – d’ Füß’ lassen mir aus.“

Erschrocken führte sie ihn zu den Brettern, auf denen sie gesessen, und drückte ihn darauf nieder. „Ja – gelt – ich weiß schon – ich hab’s ja heut’ selber g’spürt, wie’s Ein’ anpackt – so auf amal. Denn wie ich Dich heut’ Dein Unglück hab’ verzählen hören, da hab’ ich mir noch allweil net denken können, was ich auf d’ Letzt zum hören krieg’. Aber ’s Herz hat’s mir aufg’rührt bis in ’tiefsten Winkel ’nein – und doppelt deßwegen, weil Dein Unglück dem Unglück von Ei’m zum gleichen war, von dem mir mein’ Mutter selig auf ihrem Sterbbett ’s erste Wörtl g’sagt hat. Und wie ich nachher auf amal den Namen hör’, den s’ mir in ihrer letzten Stund’ ins Ohr ’nein g’wispert hat“ – Erschauernd barg sie das Gesicht in beide Hände. Dann wieder schluchzte sie vor sich hin: „Ja – jetzt – jetzt weiß ich, wie’s mir g’wesen is die ganze Zeit! Bald hab’ ich g’meint, als thät’ ich mich fürchten vor Dir; bald hab’ ich g’meint, ich müßt’ Dir gut sein, bald wieder, als müßt ich Dich hassen –0 – ’s Blut halt, ’s Blut is ’s g’wesen, wo sich g’rührt hat in mir – nur g’rad verstanden hab’ ich’s net.“

„Na – na – es kann net sein – ich kann’s ja net glauben!“ stöhnte Götz.

Als hätte Kuni seine Worte überhört, so sprach sie mit raunender Stimme weiter. „G’wiß – ich mein’ schier, als sähet ich mein Mutterl wieder daliegen vor mir, mit ihrem weißen, traurigen G’sicht, wie s’ mich bei der Hand nimmt und zieht mich hin zu ihr und sagt mir ins Ohr: ‚Gelt, Miedei, das versprichst mir, wenn Dich unser Herrgott mit ihm amal z’sammführen sollt’, so sagst es ihm, daß ich mein’ Lieb’ zu ihm mit ’nübernimm in d’ Ewigkeit!‘ Und völlig reden hör’ ich s’ noch, mit ihrer müden ’brochenen Stimm’, wie s’ mir Alles verzählt hat – ihr Glück und Elend. Wie s’ Dich so lieb g’habt hat – lieber als gut und recht war. Und wie nachher aus’blieben bist, Tag um Tag – und wie s’ von ihre Leut’ nix Anders net erfahren hat als Schimpf und Schläg’ und Vorwürf’, weil sie sich hinhängt an Ein’, der nix is und nix hat. Und wie der Vater nach a paar Tag’ schon mit ei’m Hochzeiter daher ’kommen is – und wie sie sich g’wehrt hat z’erst mit Händ und Füß’ – und wie sie sich dann hat dreingeben müssen, weil s’ g’hört hat, daß man Dich zu die Soldaten nimmt und daß auf sieben Jahr’ lang nimmer heim kommst. Und nachher, da hat s’ mir verzählt vom Morgen nach derselbigen Nacht, – wie s’ schiergar g’meint hat, sie müßt’ vor Leid und Elend ihren Verstand verlieren – und wie s’ ihr Vater am selbigen Tag noch fortg’schafft hat, weit fort, zu seiner Schwester – und wie man s’ da verheirath’t hat, schiergar von ei’m Tag auf den andern – an den, zu dem ich neunzehn Jahr hab’ Vater sagen müssen.“

Schwerathmend verstummte Kuni. Da hörte sie an ihrer Seite ein dumpfes Schluchzen. Schweigend verschlang sie die Hände im Schoß und starrte in die Nacht hinaus. Sie schien auf ein Wort von Götz zu harren. Und als sie ihn nur schluchzen hörte, hätte sie ihm so gerne ein Wort des Trostes gesagt, hätte so gerne den Arm um seinen Nacken gelegt. Aber sie fand nicht den Muth dazu. Nur die nasse, zitternde Wange lehnte sie an seine Schulter, während sie in leidenschaftlicher Erregung wieder zu sprechen begann. Sie erzählte von ihrer Mutter, erzählte von dem martervollen Leben, das die arme Frau an ihres Mannes Seite hatte tragen müssen. Sie erzählte von sich selbst, von ihrer bitteren freudlosen Jugend und schießlich von ihrer Flucht. Geraden Wegs wäre sie nach der Heimath ihrer Mutter gewandert.

„Ich hab’ net lang auf unsern Herrgott g’wart’t – ich selber, hab’ ich g’meint, ich selber müßt’ Alles dazuthun, daß ich die Botschaft ausrichten könnt’, wo mir mein Mutterl selig auf’tragen hat in ihrer letzten Stund! So hab’ ich Dein’ Heimath aufg’sucht! In Dei’m Ort aber hat mir kein Mensch net sagen können, wo ich Dich finden müßt’. Platz um Platz bin ich Dir nach’gangen, bis ich z’letzt aufs Ung’wisse hin erfahren hab’, wie wann vor lange Jahr’ über’s Wasser fort wärst nach Amerika.“

„Ah ja – was Anders hast ja net erfahren können, so schön und heimlich war Alles g’macht. Jetzt aber, jetzt verwünsch’ ich den Zufall, den ich vor elf Jahr’ als mein’ höchste Wohlthat ang’sehn hab’: daß ich selbigsmal an mein’ Kameraden hing’laufen bin! Denn wenn ich mein’ Namen b’halten hätt’, so hättst mich finden müssen – und wie ’s auch mir nachher ’gangen wär’ – Dein Leben hätt’ sich anders g’wendt – und anders thäst jetzt dastehn vor die Leut’ – und vor Dir selber. Ich weiß, mein Reden muß Dir weh thun – aber ich kann net anders – ich kann net!“

„Macht nix! Von Dir – von Dir lass’ ich mir Alles sagen – Alles!“ erwiederte Kuni in leidenschaftlicher Hast, während sie mit zitternden Händen seinen Arm an ihren Busen preßte. „A ungut’s Wort von Dir is mir hundertmal lieber als a Schmeichelred’ von jedem Andern! Und hast auch Recht – und ich will mich vor Dir net schöner machen, als ich bin! Aber anhalten will ich mich an Dich – und wann mir Dein’ Lieb’ net gern vergönnst, so will ich mir’s verzwingen! Jetzt hat ja mein Leben wieder an Sinn und a Ziel – und anders soll’s werden – anders!“

„Wenn’s nur net z’ spät is jetzt!“

„Na, g’wiß net! Zum Guten is ja allweil Zeit! Und an den Gori, an den will ich mit kei’m zornigen Gedanken mehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_850.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)