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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

der Fülle der Kraft und Gesundheit, mit einem sinnenden Ausdruck von Geist und Güte blickt er in die Ferne. Und zu seinen Füßen liegt die kleine und doch so große Welt der kranken und genesenden Kinder!

Durch eine Glasthür erhält man den Einblick in zwei zusammenhängende Säle: in dem ersten liegen die kranken Mädchen, in dem zweiten die Knaben. Da stehen sie, die zierlichen hellen Eisenbettstellen mit den blank geputzten, wie Gold leuchtenden Knöpfen, mit den blüthenweißen Kissen und Decken, jedes Bett mit einer Art von hängendem Tisch versehen, der nach Belieben hin- und hergeschoben werden kann. Er dient zum Speise-, Arbeits- und Spieltisch. Und in jedem dieser Bettchen, in ein faltiges Nachtkleidchen von rothem Parchent gehüllt, lag eine größere oder kleinere Leidensgestalt.

„Es sind die Operirten,“ flüsterte die Schwester.

Welche Verschiedenheit des Ausdrucks in den Kindergesichtern! Wie alt einige von ihnen erschienen – als ob auch hier die sogenannten Kriegsjahre, die Zeiten des stillen Kämpfens, Darbens und Leidens, doppelt zählten! Wie aus Vogelaugen, furchtlos und vertrauend, schaute es uns an – aber manche der kleinen Dulderinnen hob nur müde die Wimpern für einen Augenblick, während wir mit beklemmendem Herzweh an ihrem Lager standen und dem Bericht unserer Führerin lauschten: Ein schönes Kind der Armuth lag mit glühenden Wangen regungslos in tiefstem Schlaf – das blonde Lockenhaar floß weithin über die Kissen.

„Es wurde diesen Morgen erst operirt,“ erzählte die Schwester, „jetzt fiebert es stark,“ und die weiche Hand der treuen Pflegerin berührte sanft die Stirn der Schläferin. Glückliches Kind, es entbehrt die Mutterhand nicht!

Die breite Flügelthür des Knabensaales stand weit offen – hier lagen lustige Plauderer zwischen stillen, ernst blickenden Duldern. Wie hell und doch sanft das Licht, wie rein die Luft, welche peinliche Sauberkeit überall, wie hoch die weiten Räume! Und hier wie dort glitten zwischen den Bettchen die Gestalten der irdischen Engel der Barmherzigkeit lautlos auf und nieder, geduldig jedem Rufe folgend, heiter tröstend, beschwichtigend, helfend Tag und Nacht, Jahr aus Jahr ein.

Im obern Stockwerk, neue Leidensstationen – die kleinsten der kranken Kinder, dieselben schönen Säle und – dasselbe Leid, derselbe Jammer – kranke, hinsiechende, zum Theil hoffnungslose Kinder! Da lag hier und dort ein Spielzeug auf der Decke, das Entzücken jedes gesunden Kindes. Ach, die matten Händchen hatten die Kraft verloren, nach ihm zu greifen! Und doch – ein süßer Trost schleicht sich in unser Herz: es ist eben unmöglich, daß den jugendlichen Märtyrern das Leiden, Genesen und selbst das Sterben leichter gemacht werden kann auf Erden, als es eben hier geschieht. Jede Einrichtung im ganzen Hause war darauf berechnet, alle Errungenschaften der Wissenschaft waren zum Besten der Kinder gleichsam in den Dienst genommen worden.

Wir haben alle Räume dieses großartigen Asyls gesehen; alle Schränke wurden geöffnet; man zeigte uns die reichen Vorräthe der Hausapotheke, die großen und kleinen Badewannen blitzend von Sauberkeit, auf Rollen gehend, damit sie bis zu jedem Bettchen geschoben werden können, die verschiedenen Fahrstühle, in denen man die kleinen Patienten auf jene breite bedeckte Terrasse schiebt, die das Haus von drei Seiten umgiebt: ein vollkommen geschützter Platz, wo sie vom frühen Morgen an, wenn es die Jahreszeit nur irgend erlaubt, frische Luft genießen dürfen, mit dem Blick auf Gärten und Baumgruppen.

Im Operationszimmer waren wir, wo alle die verschiedenen Heilinstrumente hinter den blanken Scheiben der Schränke leuchteten, als hätten sie nur lustige Geschichten zu erzählen und kämen eben aus der Werkstatt ihres Meisters. Es schalten und walten übrigens auch bewährte Meister hier, die Oberärzte des Kölner Bürgerhospitals, Professor Dr. Bardenheuer und Professor Dr. Leichtenstern; ein jüngerer Arzt, bekannt als ausgezeichneter Kinderarzt, wohnt im Oppenheim’schen Hospital selbst.

Das ärztliche Sprechzimmer liegt vor dem Operationsraum; überall Luft, Licht und Komfort!

Was nun die verschiedenen Küchen-, Speisekammer- und Wäschevorräthe betrifft, so schienen sie unter der geheimnißvollen Aufsicht der berühmten Kölnischen Heinzelmännchen zu stehen, jener fleißigen kleinen Unterirdischen, die sofort jede Lücke wieder füllten.

Im oberen Stockwerk liegt auch ein Betzimmer mit geschmücktem Altar, wo die Mutter des Weltheilandes thront, der seine Arme ausbreitete und rief: „Lasset die Kindlein zu mir kommen!“

Daneben befindet sich ein schönes Gemach mit einigen Kinderbetten für solche Kranke, die um eine besondere Aufnahme bitten und dafür zahlen, was eben in Ausnahmefällen gestattet wird.

Und an das Hauptgebäude schmiegt sich auch ein kleiner ernster Bau, die Todtenkammer für jene Kleinen, die still und unbewußt dahingingen in Frieden, die, sanft gebettet von weichen Frauenhänden, einschlummerten für immer unter den frommen Gebeten ihrer Pflegerinnen.

Alles – Alles ist eben da!

Nur an Sonntagen ist es den Angehörigen erlaubt, die kleinen Kranken zu sehen, und ist ein Kind vollständig genesen, so erhalten die Eltern die Nachricht, daß sie das Genesene abholen dürfen. Ach, diese Botschaft muß nicht selten mehrere Male wiederholt werden – die Eile, das Kind wieder zu sich zu nehmen, ist meist sehr gering. Und ob bei den Sonntagsbesuchen die Angehörigen der Kleinen voll Dank und Freude dies herrliche Asyl verlassen?

Die Menschenkenner sagen: Nein!

Die Stadt Köln hat auf Wunsch der edlen Stifterin die Verwaltung des Kinderhospitals übernommen. Dasselbe ist jedoch nicht nur einzig und allein aus den Mitteln der Geberin gestiftet, sondern wird auch ausschließlich aus eben diesen Mitteln erhalten. Die edle Wohlthäterin hat Hunderttausende von Mark zur Gründung und Unterhaltung des Hospitals verausgabt. Es sollen im Ganzen 30 nicht zahlende Kinder dort aufgenommen werden; einige zahlende können dann noch hinzukommen.

Wie viele andere großartige Spenden diese seltene Frau ausgetheilt, für wie viel Gemeinnütziges sie auch in ihrem Testament Sorge getragen hat: für die Herzen der Frauen ist und bleibt doch ihr herrliches Asyl für kranke Kinder die interessanteste und rührendste aller Wohlthaten. Und ich meine, die Frauen und Mädchen aller Stände und Konfessionen sollten sich mühen, ihr Scherflein, groß oder klein, beizutragen, daß auch in den kleinsten Orten ein solches Asyl sich aufthue für unsere armen kleinen Hilflosen.

Nicht an jene großartige Stiftung, an den Prachtbau des Kinderhospitals mit 30 Betten in der alten Rheinstadt denke ich bei diesem Wunsche – in der Isarstadt war damals auch Alles nur eng und klein. Wenn es nur drei Bettchen sind – tausendfältig ist der Segen, den sie bringen! Der Wind trägt ja das Samenkorn auch weit, weit ins Land hinein und legt es an irgend einem Plätzchen nieder, daß es keime: so geschieht es auch mit dem bittenden, anregenden Wort und mit der kleinsten That. –

Die Lichter des Weihnachtsbaumes zittern von fern durch den Nebel, während ich dies schreibe, und im Kinderhospital der nun selig entschlafenen Frau von Oppenheim erzählt man den aufhorchenden Kleinen die heilige Mär vom Christkindchen. Die gütige Fee dieses Asyls der Liebe bringt ihnen Allen, wenn sie selber auch nicht mehr auf Erden weilt, doch noch zum Feste reiche Gaben, und in die matten Kinderaugen kehrt dann für eine Weile der alte Glanz zurück – – und manches Kind unter den kleinen Kranken nimmt vielleicht diese Freude mit, als süßen Traum, in den letzten Schlaf.

Die Sylvesterglocken werden bald läuten und unter den heißen Wünschen für das neue Jahr, die in meinem Herzen stehen, ist einer der heißesten: das Aufblühen der Pflegstätten für kranke Kinder überall, wo es Noth thut. Und wo thäte es nicht Noth?!

Segen Allen, die dazu helfen! Und ehrendes Andenken für jene großherzige heimgegangene Wohlthäterin am Rhein, die in solcher Weise „die Thränen und Schmerzen der Kinder“ abschaffen half.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_856.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2024)