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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

die gerade Dresden unsicher machten, „befohlen“. Das konnte natürlich nicht ewig so fortgehen, und nachdem die italienische Hofoper unter dem vortrefflichen Naumann von Blasewitz noch eine kurze Periode der Grazie und italienisch-sächsischen Liebenswürdigkeit durchgemacht hatte, gab der Hof aus Rücksichten der Oekonomie sein Opernmonopol auf und subventionirte Unternehmergesellschaften, wie die der Brüder Seconda.

Nach den Befreiungskriegen raffte man sich in Deutschland dazu auf, das ausländische Opernjoch abzuschütteln. In Dresden ging man den am wenigsten steilen Mittelweg, die italienische Oper beizubehalten und die Begründung einer nationalen deutschen zu gestatten. Neben dem Italiener Morlachi tauchte der Deutsche Karl Maria von Weber auf. Dieser deutsche Kapellmeister war zugleich der deutscheste von unseren großen Tondichtern, und erst durch ihn, von seinem „Freischütz“ an, wurde der Kampf gegen die italienische Oper volksthümlich. Selbstverständlich waren die Augen der ganzen gebildeten Welt damals auf die Dresdener Oper unter Weber gerichtet. Sie richteten sich aber später und vielleicht noch mehr auf einen der Nachfolger Weber’s auf dem Dresdener Kapellmeisterstuhl, auf Richard Wagner, an dessen Namen sich die größte Umwälzung auf dem Gebiete der Oper für alle Zeiten knüpfen wird. Es giebt eine Brücke, die von Weber zu Wagner führt – die „Euryanthe“. Weber schrieb über die Aufnahme und Aufführung das Folgende: „Die Schröder hat das Höchste geleistet. Alle waren vorzüglich, die Chöre ausgezeichnet und die Kapelle spielte mit einer Vollendung der Nüancirung, wie man sie nur bei uns hören kann.“

So von Weber vorbereitet, wurde die Dresdener Oper unter Richard Wagner zur Wiege der neuen Schule in der dramatischen Musik. „Rienzi“, „Der „Fliegende Holländer“ und „Tannhäuser“ erblickten hier unter des „Meisters“ eigener Leitung das Licht der Welt, Sangesgrößen wie Tichatschek, Mitterwurzer. die Bürde- Ney machten siegreich Propaganda für den Glauben an die „Musik der Zukunft“.

Um so mehr konnte es auffallen, daß später, als der „Revolutionär“ Wagner längst amnestirt war, sich Dresden geraume Zeit Werken wie „Tristan und Isolde“ und dem „Ring des Nibelungen“ gänzlich verschloß. Allein es walteten eigenartige Rücksichten. und kaum hatten dieselben aufgehort, ein Hinderniß zu bilden, so erlebten die genannten Werke hier so vollendete Aufführungen, daß der Ruf derselben sich rasch überall hin verbreitete. Kein Wunder: denn es galt eben noch, was Weber über die Euryanthe-Aufführung gesagt hatte: „Alle waren vorzüglich!“

Die königlich sächsische Kapelle ist auch in ihrer heutigen Zusammensetzung ein vollendeter musikalischer Organismus; sie streitet mit der Wiener und Münchener um die Palme. Was die erstere an Glanz der Violinen, die andere an stilistischem Ausdruck etwa voraushaben mag, das ersetzt die Dresdener Kapelle durch den ihr einzig eigenen wundervollen Klang der Bläser, namentlich der Holzbläser. Die beiden ersten Koncertmeister, Johann Lauterbach und Ed. Rappoldi, zwei Geiger ersten Ranges, der Erstere durch sein seelenvolles, der Andere durch sein stilvolles Spiel bekannt, sowie der berühmte Koncertvirtuos Grützmacher, als Führer der Celli, und der als musikschriftstellerische Autorität anerkannte Flötist Moritz Fürstenau haben in unserem Gruppenbild Aufnahme gefunden. Leider beschränkt der knappe Raum den Stift des Zeichners wie die Feder des Textschreibers unerbittlich auf ein paar Repräsentanten der auserlesenen, fast nur aus ebenbürtigen Elementen bestehenden Künstlerschar, von welcher ganz eigenartige Meister auf ihrem Instrumente, wie der schon unter Wagner blasende Hornist Hübler, der Violinist Feigerl, der Klarinettist Demnitz, der Cellist Böckmann, der Flötist Bauer und der Trompeter Fricke, hiermit wenigstens genannt sein mögen.

An der Spitze der Kapelle steht gegenwärtig kein bahnbrechender Komponist, sondern nur ein Kapellmeister, aber ein Direktionsgenie von Gottes Gnaden: Ernst Schuch. Es ist wunderbar, wie er und das Orchester einander verstehen; er braucht nur zum ersten Taktschlag auszuheben, so ist eine Art elektrische Verbindung zwischen beiden hergestellt. Das Orchester scheint das beseelte Instrument in der Hand des Meisters. Als blutjunger, mit der Artöt-Padilla’schen Operngesellschaft reisender Kapellmeister kam Schuch im Anfang der siebziger Jahre nach Dresden. Als der Sohn eines wohlhabenden Gutsbesitzers in Steiermark sollte er auf der Universität Graz das Studium der Rechte absolviren, sattelte jedoch vor Thorschluß um und wurde Musiker mit Leib und Seele.

Als er bald darauf die genannten Italiener nach Dresden begleitete und am Pult, welchen der etwas schwerfällig gewordene geniale Generalmusikdirektor Rietz mit dem hochbetagten Krebs theilte, den Taktstock schwang, da konnten die ältesten Kapellmitglieder nicht umhin, ihr freudiges Erstaunen zu äußern über die Geistesgegenwart und Sicherheit bei so viel Schwung und Jugendfeuer, bei solcher Eleganz und Findigkeit. „Er ist schneidig und geschmeidig,“ hieß es damals ... und die Nachricht, daß der jugendliche Maestro über Nacht fest engagirt worden sei, war für Alle eine angenehme Ueberraschung. Aber eine größere Ueberraschung für die Kenner war es, wie rasch Schuch sich, als der volle Ernst an ihn herantrat, in ungewohnte, große, ja die größten Aufgaben hineinzuleben verstand, so daß er heute den allerersten Dirigenten der Gegenwart ebenbürtig angereiht werden muß.

Ihm ist als Kollege beigesellt Kapellmeister Adolf Hagen, ein vorzüglich geschulter Musiker und bewährter Dirigent, ruhig und maßvoll in der Ausführung, unermüdlich im Studium, eine Arbeitskraft, die ihres Gleichen sucht.

Von den Dresdener Opernkoryphäen nun, die unser Gruppenbild darstellt, darf mit Recht Therese Malten zuerst genannt werden. Sie ist im vollen Sinn des Wortes auf der Dresdener Bühne groß geworden. Als schüchterne Anfängerin kam sie von Danzig nach Dresden und machte in dem Interimsrundbau, der sog. „Bretterbude“, ihre ersten Versuche. Wer glaubt es heute dieser im Sturm die Hörer mit fortreißenden Brünnhilde, dieser jedes Auge zu Thränen rührenden Isolde, daß sie ein Kind des Nordens sei? Wer versteht es wie sie, alle die stolzen und süßen Gefühle des heroischen wie des tragischen Liebeslebens im Gesang ausströmen zu lassen? Die Malten ist darum eine dramatische Sängerin ersten Ranges, weil die Leidenschaft voll und echt mit elementarer Gewalt in ihren Gestalten zum Durchbruch kommt, und für eine unvergleichliche Wagnersängerin muß sie um so mehr gelten, als der deklamirende Recitativgesang ihre eigentliche Stärke und sie, was Erscheinung und Bühnenrepräsentation anlangt, im Besitz der glänzendsten Mittel ist.

Auch Clementine Schuch ist an der Bühne, der sie zur Zierde gereicht, groß geworden. Sie kam aus dem sonnigen Süden, den süßen Wohllaut von Haus aus in der Kehle; feurig, sprühend, heiter, mit dem ganzen Reiz einer durch keine Verbildung getrübten Naivetät. Das einstige Fräulein Proska, welches von frühester Jugend an eine musterhafte musikalische Anleitung bei einem Organisten erhalten hatte und später mit Nummer Eins in allen Fächern vom Wiener Konservatorium abging, zog es gleich zu Beginn der theatralischen Laufbahn nach Dresden: „der Zug des Herzens war des Schicksals Stimme“. Frau Schuch, mit Recht die „Sächsische Nachtigall“ genannt, ist eine weit über Deutschland hinaus gefeierte vollendete Gesangskünstlerin, die zugleich als feine Darstellerin und Meisterin in dem von ihr mit Anmuth und Geist behandelten, stets glockenreinen verzierten Gesang ihres Gleichen suchen dürfte.

Das Fach einer ersten Altistin ist gegenwärtig wohl nirgends in so jungen Händen wie in Dresden, wo die seit kaum zwei Jahren erst der Bühne angehorige Irene v. Chavanne täglich überzeugendere Proben davon ablegt, welcher großen Zukunft sie entgegengeht. Eine umfangreiche, sonore, biegsame Stimme, bei welcher Einem einfällt, was die Engländer einst von der Jenny Lind sagten: „maidenhood is in her voice“ (Jungfräulichkeit tönt aus ihrer Kehle); Fleiß und Hingebung – diese allein genügen schon, um das Publikum schon jetzt für jede Leistung der jungen Künstlerin zu interessiren. Auch Louise Reuther hat im Interimsbau den ersten Schritt in die Oeffentlichkeit gethan: eine sympathische Erscheinung, sanftes Feuer und innige Empfindung verschmelzen sich in ihrem Gesang, naive Lieblichkeit und würdevoller Anstand in ihrer Darstellung, und so ist sie eine unentbehrliche Stütze des Repertoirs geworden. Als eben solche wetteifert Laura Friedmann mit ihr, eine vorzüglich geschulte Koloratursängerin voll frischen, rasch pulsirenden Lebens.

Unter den Sängern des Gruppenbildes mag Heinrich Gudehus als ebenbürtiger Wagner-Partner der Malten zuerst erwähnt werden. In der hochstämmigen Gestalt, dem offenen Wesen und hell schimmernden Auge prägt sich die friesische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 868. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_868.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)