Seite:Die Gartenlaube (1887) 869.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Abstammung des Künstlers aus. Er macht das alte Wort, „daß die Friesen nicht singen“, zu Schanden: vom Volksschullehrer zu Bremen schwang er sich, von Talent, Fleiß und Willensstärke beflügelt, rasch zum Wagner-Tenor ersten Ranges und zum allgemein bewunderten, heute wohl unerreicht dastehenden „Siegfried“ empor. Gudehus ist ein heller schneidiger Tenor eigen, den keine noch so hohe Stimmlage genirt, für den es keine Ermüdung giebt und der sich, im Anfang spröd und hart, immer breiter und wohlklingender entwickelt hat.

Diesem ausgesprochenen Wagner-Sänger könnte ausgesucht kein passenderer Heldentenor zur Seite stehen, als Lorenzo Riese. Kein Jüngling mehr an Jahren, ist derselbe noch immer im ungeschmälerten Besitz einer der größten, metallreichsten und wohlklingendsten Tenorstimmen am ganzen deutschen Theater. Ueber den hohen Tönen liegt „herrlich wie am ersten Tag“ ein bestrickender Schmelz unvergänglicher Jugend. Wenn schon Riese, abgesehen von kleinen Eigenheiten, die man bei sogenannten Koryphäen manchmal in Kauf nehmen muß, für einen Repräsentanten der guten alten Gesangschule gelten kann, so ist dies wahrscheinlich noch viel mehr der Fall beim ersten lyrischen Tenor der Dresdener Oper – Anton Erl. Als er, der Sohn des seiner Zeit berühmten Wiener Tenoristen, noch der komischen Oper in Wien angehörte, hat ihn der Kompoist Delibes bereits für den besten Spieltenor erklärt. Erl ist zum Sänger geboren; er konnte sich dem Bühnenberuf auch dann nicht mehr entziehen, als er schon, ein Lieblingsschüler Rahl’s, auf der Wiener Malerakademie die Proben unbestreitbaren Malertalents abgelegt hatte. Wie vielseitig er ist, erhellt daraus, daß er den Almaviva singt, wie er sein soll, den Ottavio, wie er geschrieben steht, und den Loge und David in „Rheingold“ und „Meistersinger“, wie der Meister sie gewollt hat.

Drahtbinder.0 Originalzeichnung von J. R. Wehle.


Am Dresdener Theater werden beiläufig bemerkt die Wagner-Oper und im Gegensatz zu derselben die sogenannte Spieloper in gleicher Vollendung herausgebracht. Ein Sänger wie Erl trägt das Seinige redlich dazu bei. An Stimmglanz aber überragt alle seine Kollegen um eines Hauptes Länge Paul Bulß, ein geradezu phänomenaler Bariton, der Milde und Stärke, dramatische Tonenergie und lyrische Weichheit der besten deutschen Sänger mit einer sonst höchstens einmal bei Italienern sich findenden, Alles überstrahlenden Höhe verbindet. Man würde diesen flotten, feurigen, in der üppigen Tonfülle sich selbst genießenden Sänger und Darsteller überhaupt für einen Italiener halten, wenn man nicht wüßte, daß er in der Mark Brandenburg zu Haus ist und seine Gymnasialbildung in der bilderbogenreichen Stadt Ruppin erhielt. Der Humor freilich, den Bulß im Vortrag launiger Lieder an den Tag legt und der ihm auch auf der Bühne zu Statten kommt, ist echt norddeutscher Herkunft. An Bulß stimmlich freilich nicht ganz heranreichend, ihm aber ähnlich und doch wieder von ganz anderem Schrot und Korn in seinem ganzen künstlerischen Wesen ist Karl Scheidemantel, über dessen markig vollem schönen Bariton noch der ungebrochne Zauber der Jugend liegt. Eine scheinbar nach innen gekehrte Künstlernatur, arbeitet Scheidemantel unbeirrt an sich selbst, bekämpft die Neigung zu sentimentaler Verschwommenheit, ringt nach fester Gestaltung und geht vollbewußt auf das Doppelziel eines ersten Theater- und Koncertsängers aus.

In Beziehung auf große Baßstimmen ist die Dresdener Oper, die rasch hinter einander Scaria, Köhler, Fischer und Andere eingebüßt hat, zunächst etwas auf die Zukunft angewiesen. Eduard Decarli, der, ohne alt zu sein, nicht mehr über des Basses Grundgewalt verfügt, mit der er einst das Haus erzittern machte, hat sich als unschätzbares Gut in der Noth erwiesen. Von Haus aus für die wuchtigsten Partien angelegt, ein trefflich geschulter seriöser Baß, hat er bei seiner hervorragenden musikalischen Begabung sich neuerdings mit Erfolg der Spieloper und dem derb realistischen Genre zugewendet. Er und der im Gruppenbild leider nicht vertretene musikalisch feste Baß Wilhelm Eichberger können getrost mit dem besten italienischen Baßbuffo in die Schranken treten. – Ueberhaupt müssen, obschon oder vielmehr weil sie in dem engen Rahmen unseres Bildes keinen Platz mehr fanden, als Zierde und Stütze der Oper noch ganz besonders erwähnt werden die junge talentvolle, einer schönen Zukunft entgegen gehende Therese Saak (gute Elisabeth, vorzügliche Elsa) und der wieder engagirte Baritonist Schrauff (ausgezeichneter Telramund). Neben diesen tragen gediegene Künstlerinnen, wie Elise Sigler, Mathilde Hummel, Hedwig Schacko und Maria Jahn (beide noch im allerjugendlichsten Alter), und Künstler wie Jensen (Papageno; Alberich), Kruis (der beste Mime), Meincke und Gutzschbach so wesentlich zu dem von jeher berühmten und heute wie nur je durch den Klangreiz des Orchesters und der prächtigsten Stimmen glänzenden Ensemble bei, daß es schweres Unrecht wäre, sie mit Stillschweigen zu übergehen. Auch der Regie (Karl Ueberhorst) ist zu gedenken. Ihren eigenen Specialartikel aber verdienten der geniale Obermaschinenmeister Witte, sowie der sein elektrisches Licht in vielen Theatern der Welt leuchten lassende Beleuchtungsinspektor Bär und das ganze in ununterbrochener ferienloser Arbeit und Pflichttreue wetteifernde technische Personal.

Eine Unterstützungskasse für die Wittwen und Waisen des letzteren ins Leben gerufen zu haben, ist gewiß im schönsten Sinn kennzeichnend für den obersten Leiter und „Generaldirektor“ der königl. sächsischen Hoftheater – den Reichsgrafen Julius von Platen-Hallermund, dessen Name aber auch in anderem, gleich ehrende Erinnerung wie die „Platen-Stiftung“ weckenden Sinn für immer in der Geschichte des Dresdener Hoftheaters fortleben wird. Denn als eine Platen-Schöpfung könnte man, ohne zu übertreiben, den gegenwärtigen blühenden Zustand dieses vornehmen Kunstinstitutes und besonders der Oper recht wohl bezeichnen.

Als nämlich nach den Ereignissen des Jahres 1866 Graf Platen dem Dresdener Hoftheater vorgesetzt wurde, schien dasselbe durch schwer zu vermeidende Verluste und Katastrophen in seiner Entwicklung bedrohlich gehemmt; allein in aller Stille vollzog sich der Umschwung zum Besseren und dieselbe organisatorische Kraft, die sich schon in Hannover glänzend bewährt hatte, versagte auch in Dresden nicht und schuf eine Periode der Blüthe, welcher wir an dieser Stelle in Wort und Bild Ausdruck zu geben versuchten.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 869. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_869.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)