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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


„Ja, einen Nothpfennig, wie es im Testament steht. Meine praktische Großmama wäre die Erste, die mir zürnte, wenn ich das Vermächtniß geopfert und Silber, aber kein Brot im Schranke hätte!“

„‚Kein Brot‘? Du, Claudine, Du – die stolze, verwöhnte Hofdame?“

„War ich je stolz?“ Sie schüttelte hold lächelnd den Kopf. „Und verwöhnt? Nun ja, das will ich glauben! Am Hofe lernt man nicht arbeiten.“

„Das hast Du schon vorher nicht gekonnt, Claudine,“ fuhr die Dame heraus. „Das heißt“ – suchte sie sich hastig zu verbessern, aber es kam kein Nachsatz.

„Sprich nur weiter, Du hast ja Recht,“ sagte Claudine gelassen. „Die Art Arbeit, die Du meinst, lernt man auch im Institut nicht. Aber ich will es nunmehr versuchen, ich will Hausfrau werden in meinem alten Eulenhaus –“

„Du willst doch nicht sagen –“

„Daß ich bei Joachim bleiben werde? Allerdings. Braucht er nicht jetzt doppelt Liebe und schwesterliche Hingebung?“ Sie schmiegte sich fester an den Bruder und sah zärtlich zu ihm auf.

In das bläßliche Gesicht der Dame schoß abermals eine dunkle Blutwelle. Sie bückte sich rasch zu der kleinen Elisabeth hinab und wollte ihr die Wange streicheln, aber das Kind sah sie finster und mißtrauisch von der Seite an. „Geh’ fort, Du“ – wehrte es unfreundlich die Liebkosung ab.

Herr von Gerold fuhr unwillig empor.

„Ach, lassen Sie doch das kleine Ding! Ich bin es gewöhnt, daß die Kinder mich nicht mögen,“ sagte die Dame mit einem harten, verlegenen Auflachen und streckte die Hand schützend über das blonde Köpfchen hin. „Aber was ich sagen wollte“ – wandte sie sich wieder zu Claudine. „Du wirst anfangs schweres Lehrgeld geben müssen; man braucht nur Deine Hände anzusehen, und dazu dieser Hofdamenchic! Das wird elegante Toiletten genug kosten, ehe Du es lernst, in der hausleinenen Schürze an den Herd zu treten und ein richtiges Essen herzustellen, das heißt“ – suchte sie sich abermals zu verbessern, während ihr Blick scheu die niedergeschlagenen Augen der schönen Hofdame streifte – „Pardon, Kind! Ich mein’ es ja nicht böse; ich wollte Dir nur für die erste Zeit eines meiner Mädchen anbieten. Meine Leute sind gut geschult –“

„Das ist männiglich bekannt. Ihr Ruhm als Hausfrau ist längst über das Weichbild der Geroldshöfe hinausgedrungen,“ fiel Herr von Gerold nicht ohne Sarkasmus ein. „Aber wir müssen danken. Sie werden sich selbst sagen, daß wir keine Domestiken mehr halten können. Wie auch meine Schwester die schwierige Aufgabe anfassen wird, ich bin zufrieden und unaussprechlich dankbar. Sie ist und bleibt mein guter Engel, auch wenn ihr anfangs das ‚richtige Essen‘ mißglücken sollte.“

Er lüftete mit einer vornehmen Verbeugung den Hut und stieg mit den Seinen die Treppe hinab; die Dame folgte stillschweigend, denn auch ihr Wagen stand ja drunten vor dem Thor des Gutshauses.

Mittlerweile hatte Friedrich, der alte ehemalige Kutscher, den Koffer hinuntergetragen, und jetzt kam er, die Korbwanne mit dem Spielzeug auf den Armen, an den Hinabsteigenden vorüber. Das kleine Mädchen horchte besorgt auf das Porcellangeklirr und sonstige Geräusch im Korbe und reckte sich auf, um einen Einblick in ihre Besitzthümer zu gewinnen, und da war in der That ein vorwitziger Puppenliebling eben im Begriff über den Korbrand zu spazieren. Fräulein Beate griff über den Kopf der Kleinen hinweg schleunigst nach der Ausreißerin.

„Thu’ meinem Lenchen nichts mit Deinen großen Händen!“ schrie das Kind in demselben Augenblicke auf und zerrte die Dame am Rocke.

„Ach, das arme Würmchen – hast Du es auch schon in der höfischen Zucht?“ lachte Fräulein Beate kurz auf, als Claudine die Hand erschrocken auf den Mund des Kindes legte. „Warum soll es denn die Wahrheit nicht sagen? Meine Hände sind ja groß und Komplimente werden sie nicht kleiner machen. Und ihr Ungeschick in allen subtilen Dingen mag man ihnen auch auf den ersten Blick ansehen. Das kleine Ding protestirt dagegen, wie alle unsere Pensionsschwestern – Du mußt’s ja noch wissen, Claudine! Ich bin nun einmal keine Vertrauensperson für die Menschheit.“

Mit einer linkischen Verbeugung schritt sie die letzten Treppenstufen hinab nach dem Portal und winkte ihren Wagen herbei.

Die Gestalt, wie sie so unter dem Thorbogen stand, war schön und kraftvoll gebaut, aber sie hatte häßliche, eckige Bewegungen, und das luftgebräunte Gesicht unter den glatt und streng aus der Stirn gestrichenen Haaren milderte den unliebenswürdigen Eindruck der Erscheinung durchaus nicht.

Herr von Gerold fuhr scheu zurück, als er aus dem Thor trat. Er wäre wohl am liebsten in den dunkelsten Winkel des Hausflurs hineingeflüchtet; Menschentrubel war ihm verhaßt, und hier auf dem freien Platze vor dem Hause war ein Durcheinander, wie auf dem Jahrmarkt. Da wurden die Plüschmöbel seines ehemaligen Salons auf einen Leiterwagen verladen; dort schleppten Frauen ganze Lasten Federbetten herbei; Küchengeräth polterte und klirrte beim Verpacken, und dabei gingen noch einmal die gezahlten Preise von Mund zu Mund, unter Lachen und Fluchen, je nachdem man gekauft hatte.

Zum Glück hielt der Miethwagen, in welchem Claudine gekommen, in der Nähe des Hausthores. Man stieg rasch ein; Friedrich stellte die Korbwanne mit dem Spielzeug auf den Vordersitz; er drückte mit einem betrübten Abschiedsblick den Schlag zu, und fort brauste der Wagen, vorüber an all dem trauten Hab und Gut des Hauses, auf welches jetzt der freie blaue Frühlingshimmel niederschien, vorbei an den leergewordenen Remisen und Ställen, an aufblühenden Teppichbeeten und springenden Fontainen und den weiten Rasenflächen des Obstgartens, auf welchen noch der weiße Reif abgeschüttelter Blüthenpracht lag. Dann streckte sich die helle Chausseelinie vor ihnen hin, rechts und links noch besäumt von den Gutsfeldern und Wiesen, bis der Wald seinen Schatten über sie warf; vorher aber zweigte sich nach links ein breiter Fahrweg ab, und dort fuhr die in der Sonne blitzende und das Auge blendende, elegante Equipage hin, in welcher Fräulein Beate von Gerold heimwärts fuhr.

„Mußte auch die noch Deinen Leidensweg kreuzen!“ sagte Herr von Gerold zu seiner Schwester mit einem unmuthigen Blick nach dem dahinbrausenden Wagen.

„Sie hat mir nicht wehe gethan, Joachim. Ich kenne sie besser und habe nicht das Vorurtheil gegen sie, wie die meisten anderen Menschen,“ entgegnete Claudine. Sie hatte die kleine Elisabeth auf den Schoß genommen und ihr Gesicht in das dicke, wallende Blondhaar des Kindes gedrückt; so war ihr der letzte, schmerzensreiche Anblick des Zurückbleibenden erspart geblieben. „Beate ist verletzend derb und scheinbar schonungslos Anderen gegenüber nur aus – Verlegenheit –“

„Mohrenwäsche, Kind! Die hilft Dir nichts! Sie ist nicht gut, diese Beate, sie hat weder Herz, noch den Geist, den ich in der Frau anbete, den idealen Aufschwung im Denken, den Seelenliebreiz, der unbewußt von meiner armen Dolores ausströmte und mit welchem Du mich Schuldigen, mich, den verarmten Hiob, auch heute wieder umstrickst; nicht ein Atom davon lebt in diesem – barbarischen Frauenzimmer.“

Der helle Sonnenschirm des „barbarischen Frauenzimmers“ tauchte eben noch einmal auf zwischen den Vogelbeerbäumen des Weges; dann verschwand er hinter den Buchen, den Vortruppen des schmalen Gehölzstreifens, mit welchem das Areal des Geroldshofes abschloß.

Jenseit dieses Laubwaldes, weit drüben am Berge, lag auch ein Herrenhaus, ein schmuckloser Bau neueren Stiles, mit hellgetünchten Mauern und weißen Rollläden. Da sprangen keine Fontainen, und von Blumenluxus war auch nicht viel zu sehen; dafür aber hatte das Besitzthum einen Baumschmuck, der seines Gleichen suchte. Wahre Riesenexemplare alter Linden spannen um Mauern und Höfe ein heimlich grünes Dämmern; nur die Vorderfronte des Wohnhauses blieb unbeschattet, und um das schöne Taubenhaus inmitten des breit hingelagerten Rasengrundes vor dem Hause spielten ungehindert Maienlüfte und die Goldlichter der Sonne.

Diese Besitzung war auch ein Geroldshof, das Rittergut der Herren von Gerold-Neuhaus.


(Fortsetzung folgt.)      
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_006.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)