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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Atinas erzählte von den Göttern, in deren urewiges Sein und Wesen sich der Priester mit immer mehr sich steigernder Inbrunst versenkte, eifrig bestrebt, in seinem Sohn den Göttern einen wahrhaft frommen Diener zu erziehen. Und das schien dem Vater zu gelingen, denn so wenig der junge Tullus von der Welt und dem Leben kannte, so gut Bescheid wußte er mit den Himmlischen, die er liebte, ehrte und fürchtete und die ihm überaus hehr und herrlich zu sein schienen.

Dann vernahmen sie den lauten Ruf des heimgekehrten Daunus. Larina und Tullus standen auf und gingen hinaus; der Nachen mußte ans Land gezogen und die Ladung in den Kammern geborgen werden. Das war bald geschehen. Nach einer Stunde saßen Alle beim Herdfeuer; Daunus labte sich am Wein und sprach kräftig den warmen Oelkuchen und den gebratenen Fischen zu, die seine Hausfrau ihm bereitet hatte. Gegen alle Gewohnheit war der Gute, der sich sonst seiner Rettung aus den Gefahren der Welt und der Bergung im sicheren Hafen mit lautem Behagen erfreute, dieses Mal seltsam verdüstert und in sich gekehrt.

Man bestürmte ihn mit Fragen: Wie war es in Antium gewesen? Was hatte er vom Kaiser gehört? Welche Neuigkeiten über den Brand von Rom, der immer noch in den Gemüthern lebte? Hat es sich bestätigt, daß der Kaiser, purpurbekleidet, lorbeergekrönt, in einem von zwölf weißen Rossen gezogenen goldenen Wagen nach seiner Vaterstadt gekommen war, um im Theater vor dem Volk der Antiaten zu singen und sich am nächsten Tag auf dem Forum als höchsten Gott ausrufen und anbeten zu lassen?

Nun ja, bestätigt hatte sich die Kunde. Atinas fuhr wild in die Höhe: aber Daunus blieb wortkarg. Endlich schmeichelte es Acca aus ihrem Vater heraus.

„Was soll mir geschehen sein? Geärgert habe ich mich! Denkt Euch: da giebt es jetzt Menschen, die behaupten, unsere Götter wären nicht Götter, es gebe überhaupt keine Götter, es habe niemals Götter gegeben. Solche Bestien! Sie verkünden einen andern Gott, den sie Jesus nennen und der aus der asiatischen Stadt Nazareth ist. Kann man sich Solches vorstellen? Diesen Jesus von Nazareth haben die Juden, als Tiberius Kaiser war, unter dem Statthalter Pilatus in unserer Provinz Judäa gekreuzigt. Der soll nun ein Gott sein.“

Atinas war aufgesprungen. Mit heiserer Stimme stieß er hervor:

„Wie sagtest Du, Daunus? Unsere Götter wären nicht Götter? Es giebt Leute, die Solches auf der Straße ausrufen und die von dem Grimm der Götter nicht zermalmt werden? Sie leugnen Jupiter und predigen von einem Gott Jesus, der unter Kaiser Tiberius gekreuzigt ward? Ei, Daunus, ein Todter soll ein Gott sein und unsere Unsterblichen sollen niemals gelebt haben? Mein wackerer Daunus, welcher laurentinische Aesop hat Dir in Antium Fabeln erzählt?“

Auch Larina schüttelte den Kopf über ihren Hausherrn, der solche Geschichten mitbrachte. Die Götter wären nicht Götter! Hatte man jemals so Etwas gehört? Besorgt beobachtete die verständige Frau den Gatten, ob nicht etwa der Trank des Bacchus aus ihm rede. Doch schien jener gütige Himmlische dem wackern Mann gänzlich fern geblieben zu sein.

Mit stummem Schrecken blickten Acca und Tullus einander an; es sollte keine Götter geben! Der Jüngling war erblaßt; er mußte an den neuen Gott denken, der wie ein Mensch gestorben war. Die Götter Roms starben nicht!

Nun erzählte Daunus. Und wenn er Nichts mehr wußte, wiederholte er das Gesagte. Athemlos lauschten sie auf seine verworrenen Reden, Atinas mit einem Ausdruck in seinem mächtigen Antlitz, daß sein Sohn voller Scheu zu ihm hinübersah. Daunus berichtete, wie die Nazarener – so nannten sie sich nach ihrem Herrn – den neuen Gott begeistert verkündeten, wie sie die älten Götter lästerten, wie sie von den ergrimmten Römern sich tödten ließen, wie sie sterbend voller Glückseligkeit waren; denn ihr Tod vereinigte sie mit ihrem gestorbenen Unsterblichen. Mit eigenen Augen hatte Daunus in Antium solche Nazarener erblickt. Sie sahen ganz aus wie andere Menschen, kleideten sich auch so, hielten sich still und grüßten sich mit einem besonderen feierlichen Gruße.

Daunus schloß seine Rede:

„Und das Aergste ist, daß dieser Gott Jesus eines Zimmerers Sohn gewesen sein soll. Wäre er noch Kaiser gewesen!“

Aber da stieß Atinas, der in düsterem Schweigen und halber Entgeisterung dagesessen hatte, einen Seufzer aus, so laut und schmerzlich, daß es wie ein Stöhnen klang. Und der Priester gedachte des Kaisers, der, nachdem er öffentlich vor allem Volke als Schauspieler, Sänger und Rosselenker aufgetreten war, sich als höchste Gottheit hatte ausrufen lassen. Und auch das hatten die Götter geduldet! Dies bedenkend, schämte sich Atinas über die Schmach, welche die Unsterblichen sich selber zugefügt hatten.

Bis spät in die Nacht hinein blieben die Freunde beisammen. Der Wind legte sich, die Wolken verzogen sich, der Insel gegenüber stand am Himmel ein kleiner leuchtender Streifen: der junge Mond. Es war, als wäre das Firmament aufgeritzt und Glanz quölle hervor.

Atinas erhob sich und sprach feierlich:

„Laßt uns den Göttern ein Opfer bringen.“

Er verließ die Kammer. Acca füllte die Opferschale. Tullus hoste die Specereien und Alle begaben sich zum Altar. Als die Flammen stiegen, hob Atinas die Schale.

„Euch, die Ihr ewig seid!“

Und er sprengte den heiligen Wein.

Trübe Tage folgten jener Nacht. Das Gemüth des Atinas blieb verdüstert und es stürmte in der Seele des festen und sicheren Mannes. Er trug sich mit schweren Gedanken, verbrachte die Tage in der Tiefe des Haines, sogar den geliebten Sohn meidend, dessen Geist er nach seinem Geist gebildet und mit dessen Leben sich dereinst das seines Vaters erfüllen sollte. So oft er jetzt seines priesterlichen Amtes waltete, spendete er das Opfer den „ewigen“ Göttern, jenen Herrlichen und Hehren, die da waren, die da sind, die da sein werden.

Wochen verstrichen. Der Herbst brachte die Regenzeit. Unaufhörlich strömte es hernieder, dichte, graue Wolkenschleier umhüllten das Eiland, weder Sonne noch Mond waren zu erblicken; die ganze Welt schien in Dunst und Geriesel sich auflösen zu wöllen.

In den Cypressen stöhnte der Wind; er beugte die Wipfel, brach die Blüthenzweige der Büsche und trieb Schwärme bunter Blätter in die Luft. Die aufgewühlten Wogen peitschten die Klippen, der Fels erbebte vom Anprall der wilden Fluth, die Brandung stritt mit dem Sturm, wessen Stimme am grimmigsten zu tosen vermöchte.

Auf den Seelen der Inselbewohner lastete der graue Himmel, als wäre er der Deckel eines Sarges, der über ihnen, den Lebendigen und Athmenden, geschlossen würde. Tullus schlich blaß und stumm umher, als wandle er im Schlafe, aus dem selbst Acca’s Zauberstimme ihn nicht zu wecken vermochte. Zuweilen konnte man ihn starr vor sich hinschauen sehen und dabei die Worte murmeln hören. „Euch, Ihr ewigen Götter!“

Eines Abends trat Atinas in die Kammer der Freunde. Indem er es vermied, seinen Sohn, der sich gerade bei Daunus und Larina befand, anzusehen, sprach der Priester mit rauher Stimme zu dem Gefährten:

„Morgen giebt es einen freundlichen Tag. Der Regen hat aufgehört und der Wind ist umgeschlagen; das Meer beruhigt sich über Nacht. Getrautest Du Dir wohl, morgen nach Antium hinüber zu schiffen?“

„Wir haben noch Mehl genug; Wein und Oel reichen auch wohl für eine Woche.“

„Es ist dieses Mal nicht, um Mehl und Wein zu holen, daß Du nach Antium sollst.“

Verwundert blickte Daunus auf.

„Weßhalb sonst?“

„Du sollst mich hinüberbringen.“

„Dich, Atinas? Du willst nach Antium?“

„So sagt’ ich.“

„Aber was willst Du dort?“

Tullus stand leise auf und trat zu seinem Vater.

„Ja, was willst Du eigentlich in der Stadt?“ fragte mit besorgtem Gesicht jetzt auch Larina. „Du gehst ja niemals hinüber. Es werden zehn Jahre und länger her sein, daß Du zuletzt in Antium gewesen bist. Was willst Du dort?“

„In Antium Nichts.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_030.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2018)