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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

unsere paar Kartoffeln ist. Und deshalb muß die Pastete ’raus, gnädiges Fräulein, muß so bald wie möglich an die Luft!“

„Das geht nicht, lieber Heinemann,“ entschied Claudine. „Der Fund muß unberührt an Ort und Stelle bleiben, bis die von Neuhaus einen Einblick gehabt haben. – Willst Du an Lothar schreiben?“ wandte sie sich an ihren Bruder.

„Ich?!“ rief er mit einer Art komischen Entsetzens aus. „Liebes Herz, alles was Du willst – nur das nicht! Du weißt –“

„Ja, ich weiß,“ sagte sie lächelnd. „Und ich mag mit dem Herrn Baron auf Neuhaus auch nichts zu schaffen haben … Ich werde die Angelegenheit in Beatens Hände legen. Mag sie selbst kommen oder einen Bevollmächtigten schicken.“

Herr von Gerold nickte. „Schaden kann es nicht, wenn die in Neuhaus benachrichtigt werden,“ sagte er. „Die Welt ist schlimm; man wird von dem Funde hören, ihn vielleicht verzehnfachen und schließlich von Verheimlichung und dergleichen munkeln. Auf mein Schwesterchen darf aber kein solcher Schatten fallen. Lothar wird übrigens denken wie ich. Der Wachsschatz der Nonnen ist längst herrenloses Gut geworden und gehört dem, auf dessen Grund und Boden er gefunden wird – notabene, nach römischem und gemeinem Recht nur zur Hälfte; denn der andere Theil steht demjenigen zu, der den Schatz zufällig findet, und das ist unser Heinemann.“

Der alte Gärtner prallte zurück und streckte so erschrocken abwehrend die Hände aus, als solle er geschlagen werden. „Mir altem Kerl? Mir fiele die Hälfte zu von dem, was auf Geroldschem Grund und Boden liegt? I, das wäre ja eine schöne Mode! Was kann ich denn dafür, wenn die wackligen Steine aus der Mauer fallen? Ist da etwa ein Verdienst dabei? Und brauche ich vielleicht den Mammon?“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Ich habe genug und übergenug zu leben bis an mein seliges Ende – Sorgen kenne ich nicht, und das verdanke ich meiner seligen gnädigen Frau … Nein, damit dürfen Sie mir nicht kommen, gnädiger Herr, damit nicht! … Nicht ein Bröckchen, nicht so viel, daß man einen Zwirnsfaden damit wichsen kann, nehme ich von dem Zeug da! – Aber ich sage nun auch, gut ist’s, gleich vor die rechte Schmiede zu gehen. Mag doch Einer herüberkommen und die Nase hineinstecken, da giebt’s nachher kein dummes Gerede!“




Am Nachmittag des anderen Tages schritt Claudine durch den Wald nach dem Neuhäuser Geroldshofe. Sie wollte selbst mit Beate sprechen. Sie hatte den schmalen Fußweg gewählt, der nach verschiedenen Krümmungen auf die breite, in der Nähe des Altensteiner Geroldshofes von der Chaussee abzweigende Fahrstraße mündete.

Es war ein beträchtliches Stück Weges, das sie zurücklegen mußte; aber sie ging auf weichem Moos und Gräsern wie auf Sammet, und über ihr dunkelte das festverwachsene, von kräftigem Grün strotzende Geäst der Baumriesen. Sie selbst, der schöne Schwan der Gerold’s, wie ihr Bruder sie zärtlich und enthusiastisch nannte, wandelte in ihrem hellen Sommerkleid, mit dem weißen Strohhut über der Stirn, wie ein Lichtschein durch das köstlich kühle, grüne Dämmern, das sie umfing, bis sie die Fahrstraße betrat. Von da ging es ganz allmählich bergauf in lichter werdendem Gehölz, dann an Kleeäckern und Kornbreiten vorüber, durch das ganze, weithingebreitete, segentriefende Mustergelände.

Unwillkürlich bückte sie sich, um eine Handvoll Butterblumen zu pflücken, die wie Goldaugen aus dem fetten Wiesengrase leuchteten. – Nicht lange, da blinkten auch die Fensterreihen des Gutshauses auf. Es lag auf einer sanften Bodenerhebung; kurzgehalten, sammetartig legte sich der Rasen über die Abhänge; hier war er lediglich Schmuck und nicht der Oekonomie dienstbar.

Claudine stieg einen der schmalen Wege hinauf, die den Rasen durchschnitten. Sie ging mit gesenkter Stirn und sah erst auf, als sie den Kies unter den Linden an der Westseite des Hauses betrat; und da schrak sie zusammen und hielt einen Moment unangenehm betroffen und unschlüssig den Schritt an – Neuhaus hatte Gäste.

Eine Dame, die offenbar promenirend im Lindenschatten auf- und abgegangen war, trat ihr entgegen, eine stattliche Erscheinung mit sehr weißem Gesicht und südlich flammenden, dunklen Augen. Ihre elegante, grauseidene Schleppe fegte den Kies, und in dem Kamme der ihre vollen Haarsträhne hoch auf dem Scheitel zusammenhielt, blitzten bei jeder Wendung farbige Steine auf. Sie trug ein Kind auf dem Arme, ein hageres, gelbes Geschöpfchen in weißem Tragkleid, dessen Spitzenkanten nahezu den Boden streiften.

Claudinens Blick hing wie festgebannt an dem Kindergesichtchen. Sie kannte diese großen, funkelnden Beerenaugen, das gebogene Näschen über den starkgeschwellten Lippen, die niedere Stirn, auf welcher sich die dicken, schwarzen, feuchtglänzenden Haare so eigenwillig aufsträubten – das war der Gesichtstypus der Seitenlinie des herzoglichen Hauses.

„Will haben!“ stammelte die Kleine und reichte verlangend nach den Butterblumen in Claudinens Hand.

Die junge Dame wollte ihr freundlich lächelnd den Strauß in das ausgestreckte Händchen drücken; aber die Trägerin des Kindes wich so rasch zurück, als sei die beabsichtigte Berührung ansteckend. „O bitte – nicht! Ich kann das nicht erlauben!“ protestirte sie, und ihr Blick streifte hochmüthig den einfachen Anzug der jungen Dame. Diese Frau hatte etwas entschieden Feindseliges in ihren brennenden Augen.

Bei dieser Weigerung erhob das Kind ein ohrzerreißendes Geschrei.

Im gleichen Augenblick bog ein Herr um die Hausecke. „Weshalb schreit denn die Kleine so häßlich?“ rief er, rasch näherkommend, mit hörbarem Unwillen.

Claudine nahm unwillkürlich die kühl ablehnende Haltung an, die ihr am Hofe Schild und Panzer gewesen war. – Baron Lothar war nach Deutschland zurückgekehrt, und das kleine, eigensinnige Mädchen da war sein Kind.

„Will haben!“ wiederholte die Kleine in ihr Geschrei hinein und zeigte nach den Blumen.

Baron Lothar drohte ihr ernst mit dem Finger, worauf sie scheu verstummte. Eine jähe Gluth war in sein bärtiges Gesicht geschossen, und aus seinen Augen fuhr ein Blitz über die ernstruhige Erscheinung der ehemaligen Hofdame. Nichtsdestoweniger verbeugte er sich tief und ritterlich vor ihr.

„Kind,“ sagte er spöttisch lächelnd zu der Kleinen, während er ihr mit seinem Taschentuch die Thränen von dem hageren Gesichtchen wischte, „wer wird Blumen begehren, die Andere pflücken! Und weißt Du nicht, daß Frauenhand da am liebsten verweigert, wo gewünscht wird?“

Claudine sah ihm, diesem verzogenen, vergötterten Liebling aller Damen, mit ungläubigem Erstaunen in das Gesicht; aber sie blieb seiner scharfen Bemerkung gegenüber vollkommen unbefangen. „Durch mich soll das Kindchen da diese erste schlimme Erfahrung gewiß nicht machen,“ entgegnete sie sanft gelassen. „Auch habe ich kaum ein Recht an diesen Blumen – sie sind auf Ihrer Wiese gewachsen … Erlauben Sie jetzt –?“ wandte sie sich an die Trägerin des kleinen Mädchens.

Baron Lothar drehte sich rasch um und fixirte die stattliche Dame mit einem zornig erstaunten Blicke. „Jetzt?“ wiederholte er. „Wie so?“ –

„Ich fürchtete, Leonie möchte die Blumen in den Mund stecken,“ antwortete die Dame stockend. Verlegenheit und Aerger stritten in ihrer Stimme.

Er verzog die Lippen in verletzender Geringschätzung. „Und die Wiesenblumen, die unbarmherzig zerzupft dort massenhaft neben dem Kinderwagen und auf seinen Decken liegen, wer hat ihr die gegeben, Frau von Berg?“

Die Dame schwieg und wandte den Kopf.

Claudine beeilte sich, dem Kind den Strauß hinzureichen; denn die Scene wurde peinlich. In demselben Augenblick waren aber auch die zwei kleinen Fäuste dabei, die armen, gelben Dinger in Atome zu zerzupfen. Claudine musste unwillkürlich an die Mutter des Kindes, die Prinzessin Katharina, denken, von der man sich erzählte, daß sie in der ersten Zeit ihrer verschwiegenen Liebe alle vielblätterigen Blumen mit leidenschaftlicher Angst bei dem gemurmelten „Er liebt mich u.s.w.“ zerzupft habe – die schönste Rose am Stock, selbst die Blüthen im Treibhause sollten vor ihr nicht sicher gewesen sein.

Baron Lothar dachte vielleicht Aehnliches. Er sah mit gerunzelten Brauen auf die kleinen Vandalenhände und zuckte die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_039.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)