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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Wiederum eine Pause. Die Drei waren allein im Zimmer; der alte Kastellan hatte sich längst mit seiner Leiter hinausgeschlichen, und Palmer, des Herzogs Privatsekretär, ein großer vielbeneideter Günstling des regierenden Herrn, stand im Nebenzimmer hinter einem Thürvorhang, unbeweglich wie eine Statue.

„Apropos, Baron Gerold,“ nahm die Herzogin jetzt lebhaft wieder das Wort, „haben Sie auch die Wundermär gehört von den Kostbarkeiten, die im Eulenhaus gefunden sein sollen?“

„In der That, Hoheit, das alte Gemäuer hat seinen Schatz herausgegeben,“ erwiederte sichtlich aufathmend Baron Lothar.

„Wahrhaftig?“ fragte der Herzog ungläubig lächelnd. „Was ist es? Altargefäße – gemünztes Gold?“

„Nichts von klingendem Werth, Hoheit. Es ist Wachs, einfaches gelbes Wachs, welches die Nonnen dort vermauerten, als der Feind im Anzuge war.“

„Wachs?“ rief die Herzogin enttäuscht.

„Hoheit, es ist so gut wie baare Münze, echtes unverfälschtes Wachs. Heutzutage –“

„Sahen Sie es?“ unterbrach ihn der Herzog.

„Sicherlich, Hoheit! Ich beschaute mir den Fund an Ort und Stelle.“

„So ist das Tischtuch, das so lange zwischen den Altensteinern und Neuhäusern zerschnitten war, wieder zusammengeflickt?“ klang es gelassen aus dem Munde des hohen Herrn.

„Hoheit, meine Schwester Beate und Claudine von Gerold sind Freundinnen seit ihrer Kindheit,“ erwiederte der Neuhäuser ebenso gelassen.

„Ah so!“ Der Herzog hatte es noch eine Nüance gleichgültiger gesprochen und schaute wieder zum Fenster hinaus.

„Aber wissen Sie, lieber Gerold, ich möchte diesen Wachsfund sehen!“ rief die Herzogin.

„Dann müssen Hoheit sich beeilen; denn die Händler sind dahinter her, wie die Wespen hinter reifen Früchten.“

„Hörst Du, Adalbert, wollen wir nicht hinüber fahren?“

„Morgen, übermorgen, Elise, wann Du willst – nachdem wir uns vergewissert haben, daß wir dort nicht stören.“

„Stören? Claudine stören? Ich denke, sie wird sich freuen, in ihrer Einsamkeit Menschen zu sehen. Bitte, Adalbert, gieb Befehl, laß uns gleich fahren.“

Der Herzog wandte sich um. „Gleich?“ fragte er, und eine leichte Blässe trat in sein schönes Antlitz.

„Gleich, Adalbert, bitte!“

Sie hatte sich lebhaft erhoben und war zu ihrem Gemahl getreten; ihre Hand legte sich bittend auf die seine; ihre Augen, diese unnatürlich glänzenden Augen, schauten ihn an, flehend wie die eines Kindes.

Er blickte hinaus, als prüfe er das Wetter. „Aber die Fahrt zurück durch die Abendkühle?“ murmelte er.

„O, in der köstlichen Waldluft?“ bat sie; „ich bin ja ganz gesund, Adalbert, wirklich ganz gesund.“

Er verbeugte sich, wie zustimmend, und zu Palmer gewendet, der eben eintrat, gab er den Befehl für die Fahrt. Dann, nachdem er noch Lothar aufgefordert hatte, mitzukommen, bot er der Herzogin den Arm, die sich, um für die Ausfahrt Toilette zu machen, in ihre Zimmer begab.

Der Neuhäuser schaute dem Paare nach mit düsteren Blicken; was war während seiner Abwesenheit aus der Herzogin geworden, aus dieser, wenn auch zarten, doch so elastischen eleganten Frau mit dem innigen enthusiastischen Wesen, begeistert für alles Schöne? Der Frau, welche die Pflichten ihres Standes als Landesmutter mit wahrhaft fanatischem Eifer ergriffen hatte? Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst, und das Feuer, das aus ihren Augen flackerte, war Fiebergluth; statt der früher so reizenden Lebhaftigkeit eine nervöse Unruhe, die das Kranke in ihr so recht zum Ausdruck brachte. Und Er? Eben schlug der Vorhang hinter seiner hohen, auffallend schönen Gestalt zusammen, diesem Urbild von Kraft; ein alter Germane in seinem blonden Haupthaar, mit der kühlen Ruhe und den blauen Augen eines solchen; hartnäckig bis zum Aeußersten in dem, was er einmal gewollt. Baron Lothar wußte selbst nicht, wie es kam, er mußte einer Jagd gedenken. Der Herzog hatte einen prächtigen Zwölfender gesehen, der ihm immer wieder entging; Tage, Nächte lang war er auf der Fährte des Wildes, nur von einem Jäger begleitet; und mit einer Ausdauer sonder Gleichen ertrug er die Strapazen der Birsch. Seine Begleitung erblickte ihn erst am vierten Morgen wieder in schmutziger durchnäßter Kleidung – während der Nacht war ein starkes Gewitter niedergegangen – und mit kothbespritzten Stiefeln, aber den Zwölfer hatte er in der Morgenfrühe geschossen. Ja, hartnäckig, zum Aeußersten hartnäckig, und darum –

Des Barons Blicke hafteten noch immer auf der violetten Portière; er sah erst auf, als Herr von Palmer erschien und sich ihm mit eleganter Leichtigkeit näherte.

„Gestatten Sie auch mir, Herr Baron,“ begann der kleine zierliche Mann, an dessen Schläfen sich bereits graue Haare krausten, „gestatten Sie auch mir, Sie zu begrüßen auf heimischem Boden. Sie sind in den Salons unseres Hofes zu schmerzlich vermißt worden, als daß wir nicht völlig in der freudigsten Aufregung sein sollten, Sie endlich wieder zu haben.“

Baron Lothar sah von seiner stattlichen Höhe, ohne eine Miene zu verziehen, auf das gelbliche Antlitz des Sprechenden herab. „Ein eigenthümliches Gesicht, eine Gaunerphysiognomie,“ sagte er zu sich selbst, indem er den südlich gelblichen Teint, die dunklen dreisten Augen, von starken Brauen überschattet, und die Stirn betrachtete, die sich bereits bis über den halben Kopf erweitert hatte. „Sehr verbunden,“ sagte er kühl, und seine Blicke gingen von dem Kleinen zu einem der farbenglühenden Wandgemälde.

„Wie finden Sie das Aussehen Ihrer Hoheit, Herr Baron?“ fragte Palmer, indem seine Miene einen traurigen Ausdruck annahm. Und als der hochgewachsene Mann dort, in so angelegentliche Betrachtung versunken, die Frage überhört zu haben schien, setzte er hinzu: „Wir werden einen stillen Winter haben, denn sie ist eine Sterbende. Und dann –“

Lothar wandte sich jäh und sah den Sprecher an. „Und dann?“ fragte er, und sein Gesicht mit den regelmäßigen Zügen überflog ein so drohender Ausdruck, daß Palmer die Antwort schuldig blieb. „Und dann?“

In diesem Augenblick ward gemeldet, daß die Wagen bereit seien, und Baron Lothar schritt an Palmer vorüber, ohne auf einer Antwort zu bestehen.

(Fortsetzung folgt.)




Die Familie Orleans.
Von K. Th. Heigel.
(Fortsetzung.)

Auf Philipp’s gleichnamigen Sohn, der bei dem Tode des Familienhauptes 27 Jahre zählte, hatten sich die glänzenden wie die schlimmen Eigenschaften des Vaters vererbt. Trotz heftigen Widerstrebens der Mutter, die, wie St. Simon sagt, „als Fürstin von altem Schlage in Sachen des Anstandes unerbittlich war“, mußte er eine natürliche Tochter seines königlichen Oheims, Mademoiselle von Blois, heirathen. Schon zu Lebzeiten des Vaters hatte er im pfälzischen Erbfolgekrieg Proben von Muth und militärischem Geschick gegeben, gleich seinem Vater aber in Versailles nur frostigen Dank geerntet. Es läßt sich ohne Mühe nachweisen, daß dem Herzog auch während des spanischen Erbfolgekrieges nur die schwierigsten und undankbarsten Aufgaben übertragen wurden. Es ist wahr, er verlor die Schlacht von Turin, aber hauptsächlich in Folge der Lahmheit des ihm an die Seite gestellten Marschalls Marsin, der jeden kühnen Entschluß des Herzogs als abenteuerlich verurtheilte und im entscheidenden Augenblick eine geheime Ordre des Königs vorzeigen konnte, die dem Marschall allein Verfügung über die Truppen gestattete. Der Herzog sollte nicht als Sieger heimkehren: so war es der „Wille“, so war es „System des Königs“.

Nicht besser erging es dem Herzog auf dem Kriegsschauplatz in Spanien; auch hier wurde er gerade in dem Augenblicke abberufen, da die Aragonesen, Engländer und Portugiesen zurückgedrängt worden waren und Spanien als befreit angesehen werden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_088.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2018)