Seite:Die Gartenlaube (1888) 094.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


geringfügigen Trachtenänderungen. Sie gehen auf die Weisungen der Natur zurück und diese kennt, ihrer Meinung nach, nur eine Tracht, die Männertracht. Zwar denkt man nicht daran, diese ohne weiteres zu adoptiren und sich dadurch in einen zu starken Geruch der Emancipation zu bringen; man will zunächst nur das Princip der Herrentracht oder richtiger des divided skirt, des „getheilten Rocks“ (vergl. Abbildung 1) oder – wenn der Ausdruck statthaft – der „Kleidhosen“ durchsetzen.

Die Führerinnen der Reformbewegung tragen dieselben auch schon, hängen aber einstweilen noch eine Polonaise darüber, sodaß von dem divided skirt nichts zu sehen ist, es sei denn, daß der Wind gerade sein neckisches Spiel mit dem Ueberwurf treibt. Doch deutet alles darauf hin, daß dieser nur ein Uebergangsstadium bilden und mit der Zeit ganz in Wegfall kommen soll. Jedenfalls ist derselbe allen von den „ Rationalisten“ entwickelten Principien zuwider und schließlich doch eine Art von Weiberrock, wenn auch in reformirter Form. Es würden aber auch ohne denselben noch mancherlei und zwar recht wesentliche Unterschiede zwischen dem divided skirt und den Herrenbeinkleidern bestehen bleiben. Vor allem ist bei dem ersteren alles knappe Anliegen vermieden, er ist vielmehr lose und bauschig und selbst Plissées und Garnirungen werden nicht verschmäht.

Dieses „Kleid“ vermeidet allerdings alle vorhin angeführten Uebelstände. Dasselbe läßt den Straßenschmutz ruhig liegen, ist an den Füßen mehr oder weniger geschlossen; und da überdies nicht nur der Kleiderrock, sondern auch sämmtliche Unterröcke in Wegfall kommen, soll es ein Maximum von Wärme mit einem Minimum von Gewicht verbinden. Es werden daher zur geeignetsten Herstellung dieses Wärmeverhältnisses vornehmlich Wollstoffe empfohlen. Die Verfechterinnen des Gewandes wandeln also zum öfteren beträchtliche Strecken auf den von Professor Jäger gebahnten Pfaden.

Natürlich fällt auch der künstlich geschaffene „jungle“ bei dem neuen „Kleide“ weg: Treppen- und Bergsteigen wird eine reine Spielerei oder wenigstens um 50% erleichtert und jedweder Vergeudung von Muskelkraft wird ein Ende gemacht. Rechnet man zu dieser Befreiung von allen Hemmnissen des Unterkörpers die gänzliche Entfesselung der korsettlosen Taille, so ist nach Meinung der Reformatoren der weibliche Körper aller Zwangsketten entledigt und ein ideales Gewand für denselben geschaffen ganz ohne Makel und Fehl!

„Aber wie steht es mit der Sittsamkeit? Ist das Gewand wirklich ganz sittsam?“

„Warum denn nicht?“ antwortet man. „Etwa weil unser Kleid unten nicht offen, sondern geschlossen ist? Das falten- und volantreiche, volle, lose Gewand verhüllt die Gliedmaßen auf das sittsamste. Es ist gewiß anständiger als das moderne ausgeschnittene Ballkleid oder der kurze Rock der Bäuerin oder der Fee, den wir im Leben oder auf der Bühne zu sehen bekommen.“

Mit der idealen Einfachheit des neuen Kostüms wagen sich die Verfechterinnen desselben einstweilen gleichwohl noch nicht hervor, und man muß ihnen zugestehen: das Ueberwurfskleid der gegenwärtigen Uebergangsperiode ist zwar absonderlich genug, doch ist der so euphemistisch genannte „getheilte Rock“ dabei noch fast ganz und gar bemäntelt, wie unsere zweite Illustration (S. 93) darthut.

Obschon dieses Bild die neue Tracht bereits in einem sehr entwickelten Stadium darstellt, so fällt uns auf den ersten Blick doch kaum etwas Anderes dabei auf, als daß die Gewänder alle etwas lose und nachlässig sitzen. Sonst sind die jungen Mädchen noch ungefähr nach der gegenwärtigen Mode gekleidet.[1] Bei genauerer Beachtung aber werden wir leicht bemerken, daß die Röcke der „Kleider“ hier schon getheilt sind, was wir beim Gehen der Personen natürlich noch leichter gewahren würden. Thatsächlich aber werden die Ueberwürfe auf der Straße selbst von den leitenden Damen der Bewegung kaum schon so kurz getragen, wenigstens noch nicht von erwachsenen Personen. Wir haben indessen gesehen, daß jedweder Ueberwurf, der über die Kniee reicht, den Principien der Reformatoren zuwider ist, wenn auch seine Nachtheile durch die Auswahl eines leichten Stoffes und ein ganz loses Sitzen auf ein Geringes sich beschränken lassen. Das Ideal der Tracht und jedenfalls auch das Endziel der Extremen unter den „Rationalisten“ gipfelt also in dem gänzlichen Wegfall des Ueberwurfes oder doch in einer Kürzung des selben bis an das Knie.

Wird es je dahin kommen? Nur wenige Menschen werden in diesem Augenblick geneigt sein, diese Frage bejahend zu beantworten. Diese wenigen sind aber auch voll Zuversicht, daß in dem Zeitalter des Dampfes und der Elektricität, in einem Zeitalter, wo die Frauen immer selbständiger auftreten und aufzutreten haben, immer härter gedrängt werden, am Kampfe um das Dasein ihren Antheil zu nehmen, diese auf die Dauer sich nicht selbst einengen werden durch einen künstlich geschaffenen, sinnlosen „jungle“. Allein wer auch die Ansicht dieser Enthusiasten nicht in allem theilen mag, wird ihnen in manchen Dingen Recht geben müssen. Ließe sich da nicht einiges von ihnen lernen, ohne zu ihrem Radikalmittel zu greifen?

* *
*

Wir sehen voraus, daß dieser Revolutionsbericht als Brandfackel in manchen Familienkreis fallen wird, und wollen deshalb schon heute mit unserer Antwort auf die letztgestellte Frage nicht zurückhalten. Dieselbe muß auf jeden Fall bejaht werden, denn daß die Auswüchse unserer Mode, die hochgebauschte Tournüre, die Sturmhüte mit Vogelbälgen, die hohen Hackenschuhe etc. lächerlich sind, daß praktisch tätige Frauen auch eine einfache, praktische Tracht brauchen, wer wollte das in Abrede stellen? Aber deshalb die ganze Grundform der Frauentracht vernichten zu wollen, das scheint uns ein ebenso überflüssiges wie aussichtsloses Unternehmen. Diese Form ist ein in tauseud Jahren langsam Entwickeltes, historisch Gewordenes, ihr Princip: das den Oberkörper stützende Mieder, der züchtig verhüllende Rock ist sicherlich in Bau und Bestimmung des weiblichen Körpers zu tief begründet, um durch die Beschlüsse eines Agitationskomités umgestoßen werden zu können. Seine Bemühungen sollten sich lediglich gegen die Uebertreibungen richten, gegen den allzuraschen Wechsel und die sklavische Abhängigkeit vom Ausland, damit könnte schon sehr viel Gutes geschaffen werden, auch ohne die Radikalkur des „getheilten Rockes“, welchen seine Erfinderinnen, charakteristisch genug, nicht einmal selbst anzulegen wagen und der im Grunde nicht viel Anderes ist, als das alte Bloomer-Kostüm, welches vor 20 Jahren mit ähnlichem Eifer in Scene gesetzt werden sollte und vollständig Fiasko machte – offenbar weil sogar die große Mehrzahl der „praktischen“ Engländerinnen sich nicht zu einem solchen Verzicht auf die Hilfsmittel der Toilette entschließen mochte, auf die natürlichen und siegreichen Waffen ihres Geschlechtes von Alters her. Noch viel weniger scheint es uns denkbar, daß deutsche Frauen und Mädchen sich für das, allerdings sehr „einfache“ Pierrot-Kostüm der Abbildung 1 begeistern oder sich überhaupt nach einer männichen Tracht sehnen werden.

Bei dem unleugbaren Interesse aber, welches diese Frauenkleiderbewegung in England als Zeichen der Zeit besitzt, werden wir nicht verfehlen, gelegentlich wieder Bericht darüber zu erstatten.

Die Red.      



Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Amicitia.
Eine Schuljungengeschichte von Hans Arnold.
(Fortsetzung.)

Herr Grauberg hatte den ersten Stock einer im Garten gelegenen, sehr hübschen Villa inne, deren Erdgeschoß von der Familie seines Hauswirths bewohnt wurde. Die Fenster der Grauberg’schen Wohnung gingen sämmtlich nach dem Garten hinaus. Da nun die Hausbewohner ohne Frage das Fest mit ihrer Gegenwart beehren und nur einen alten, stocktauben Portier zum Hüter desselben zurücklassen würden, so war die ruchlose Absicht des Vereins, der nicht mehr und nicht minder erdacht

  1. Denn Blousen und Ueberwürfe, wie sie sie haben, tragen die Uebrigen ja auch.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_094.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2021)