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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Eduard schlich sich beim Erblicken des Gefürchteten zum Hause hinaus, aber Karl hielt männlich Stand – allerdings hinter der Thür! – mit dem Bewußtsein, daß er den Schlüssel zu dem Geheimniß in der Tasche trage.

Ein unbehagliches Gefühl war es allerdings, als Herr Grauberg sich hoch und theuer vermaß, die Urheber des „Bubenstückes“ – eine Bezeichnung, die besser zutraf, als er zu ahnen schien – finden zu wollen und wenn sie sich im Schoße der Erde verborgen hielten.

Die etwas gedrückte Stimmung, die in Folge dieser Drohung sich Karl’s und Eduard’s bemächtigte, hatte eine so ungewöhnliche Artigkeit und Liebenswürdigkeit des Brüderpaares zur Folge, daß die Mutter sich besorgt erkundigte, ob sie etwa krank seien. Auch hielt die Amicitia ein paar Tage keine Sitzung ab, bis man doch endlich für nöthig fand, über die ferneren Schicksale des Schlüssels zu berathen, den Karl noch immer zagend auf dem Herzen trug.

Die erste Idee, das Corpus delicti durch die Post anonym an den Besitzer gelangen zu lassen, wurde bei näherer Ueberlegung als zu gefährlich verworfen und eine nächtliche Expedition nach einer nahen Brücke ins Werk gesetzt, wo unter angstvollen Seitenblicken, ob etwa ein Wächter des Gesetzes sich zeige, der Schlüssel in den Fluß und gleichzeitig ins Meer der Vergessenheit geworfen wurde.

So wirkungsvoll die That der Amicitia in Bezug auf Käthe’s und Erloff’s innerliche Herzensgeschichte gewesen war, so hatte sie dieselbe doch äußerlich wenig gefördert; die Mutter hielt so entschieden wie immer an ihren Plänen fest und war so eisig kalt gegen Erloff, wenn er sich zeigte, daß seine Absicht, sich auszusprechen, und Käthe’s Wunsch, ihm die Erlaubniß hierzu zu geben, jedesmal in der Blüthe erfroren. Das junge Paar sah sich bald nur auf zufällige Begegnungen angewiesen und auch diese wurden immer schwieriger ins Werk zu setzen, wenngleich der Weg von und nach der Singstunde immer ein nicht zu verachtendes Hilfsmittel blieb.

„Ehe Grauberg nicht fort ist, können wir nichts mit der Mutter machen,“ klagte Käthe bei einer solchen Gelegenheit.

„Wann reist er denn?“ fragte Erloff ungeduldig.

„In vier Wochen, wie ich gestern hörte,“ sagte das junge Mädchen niedergeschlagen.

„Und in fünf Wochen ist meine Zeit hier abgelaufen,“ rief Erloff, „es ist doch zum Verzweifeln! Ich warte jetzt noch acht Tage, und hat er dann nicht gemerkt, daß hier nichts für ihn zu hoffen ist, so trete ich ruhig vor Ihre Eltern hin und lasse ihnen die Wahl zwischen ihm und mir!“

Das gewissenhafte Brautpaar nannte sich nämlich noch selbstverständlich „Sie“, bis es die obrigkeitliche Einwilligung erlangt haben würde, an welcher Käthe, was die Mutter betraf, stark zweifelte.

„Nun muß ich aber gehen!“ sagte Käthe endlich, „ich sollte schon seit einer Viertelstunde zu Hause sein!“

„Wann sehen wir uns?“ frug Erloff.

„Wir sind heute Nachmittag alle draußen in der großen Menagerie,“ sagte Käthe, „die Jungen gehen auch mit – und natürlich Herr Grauberg; wenn Sie können, kommen Sie doch hin!“

„Ich habe Dienst,“ meinte Erloff; „wenn es irgend möglich ist, werde ich aber sehen, mich nachher noch auf einen Augenblick loszumachen.“

Die Menagerie, die nur auf der Durchreise sich hier producirte, hatte bereits seit Tagen die glühendsten Wünsche in Karl’s und Eduard’s Brust erregt. Der Verein war schon auf den Gedanken gekommen, die Kasse zu sprengen, in der sich allerdings zur Zeit nur sechsundfünfzig Pfennig befanden, um sich die Möglichkeit der persönlichen Bekanntschaft mit mehreren wilden Bestien zu verschaffen. Im letzten Augenblick hatten aber die verschiedenen Väter und Mütter ein menschliches Rühren gefühlt und das Eintrittsgeld gespendet.

Es zog also nebst Andern auch die Familie Strecker mit Ausnahme des Vaters vollzählig nach der Thierbude.

Die Mutter ging mit Käthe und Herrn Grauberg voran, die Amicitia folgte, Grimassen schneidend und dem ahnungslosen Freier ihre Mißbilligung durch Fäusteballen und Nachahmen seines Ganges kundgebend.

Die Schaustellung gewährte den erwarteten Genuß wenigstens den Erwachsenen nicht, da der wutschäumende, zähnefletschende Löwe, der grimme Tiger und die beiden bewachenden Mohren auf den Eingangsplakaten sich beim Eintreten in die geweihte Halle als zwei bekümmerte Affen, einen Waschbär und einen weißen, schlecht genährten Bedienten erwiesen. Das einzige Prachtstück dieser trügerischen Bude war ein großer, schöner Elefant, der durch Klugheit und Anmuth die Herzen gewann und von den Jungen mit wahrem Hochgenuß gefüttert wurde. Der Besitzer der Thiere hielt zu diesem Zweck Semmel und Obst feil, und unsere Familie erstand denn auch die verschiedensten Leckerbissen, um den Elefanten damit zu erfreuen.

Nur Herr Grauberg beteiligte sich nicht an diesem allgemeinen Sport.

„Sieh doch,“ murmelte Roth und stieß Karl an, „ob der gemeine Geizkragen wohl eine Semmel kauft! Fällt ihm gar nicht ein!“

„Er sieht nur zu, wie wir unser ‚mühsam erworbenes‘ Geld ausgeben,“ meinte German verächtlich; „wenn man’s ihm nur einmal tüchtig eintränken könnte!“

Karl zuckte die Achseln.

„Statt daß er uns was zu Futter für den Elefanten anböte – wir würden’s ja nicht annehmen, aber es schickte sich doch!“

Der Verein knirschte über diesen neuen Beweis von der Niederträchtigkeit des Scheusals, welches nebenbei Käthe auf das Unverhohlenste anhimmelte. Diese wurde endlich durch Eduard, der als Abgesandter diente, von dem häßlichen Charakterzug ihres Verehrers unterrichtet und wandte sich jetzt etwas boshaft an ihn: „Herr Grauberg, wollen Sie dem netten Elefanten nicht auch etwas geben?“

Der kleine Herr, solchergestalt vor einen Entschluß gestellt, griff in die Tasche – eine Bewegung, die von sämmtlichen Jungen mit gespanntester Neugier beobachtet wurde – holte aber statt des erwarteten Geldbeutels eine Flasche mit kölnischem Wasser heraus.

„Wir wollen doch einmal sehen, ob der Monsieur auch für den Luxus des Lebens Sinn hat,“ meinte er mit seinem gekniffenen Lächeln und hielt dem Elefanten die entkorkte Flasche zum Riechen hin.

Der aber verstand die Sache falsch, ergriff die Flasche und schluckte sie sammt ihrem duftigen Inhalt hinunter, ohne durch eine Miene seines riesigen Antlitzes zu verrathen, ob ihm dieser neue Leckerbissen gut oder schlecht geschmeckt habe.

Herr Grauberg faßte im ersten Schreck so hastig nach seinem Eigenthum, daß ihn der Elefant beinah als zweites Mißverständnis gepackt und verschluckt hätte – dann wandte er sich mit einem vor Besorgniß etwas künstlich zur Heiterkeit verzogenen Gesicht an Käthe.

„So hatte ich’s allerdings nicht gemeint.“

Weiter kam er nicht, denn der Eigentümer der Bude erhob ein gewaltiges Zetergeschrei über die Sache, und man wird sich die beglückten Gefühle der Amicitia vorstellen können, als der Thierbändiger Herrn Grauberg mit den Worten ehrte: „Wenn der ausgewachsene Mensch keine Vernunft nicht hat, was soll man da von den Kindern verlangen!“

Inzwischen hatte Käthe sich sacht in den Hintergrund begeben, die allgemeine Unruhe benützend, an der auch die Mutter, ihren Günstling mit der bekannten Magenstärke der Dickhäuter tröstend, sich beteiligte.

Ziemlich gleichzeitig war Erloff durch den Vorhang, der die Thür der Menagerie verdeckte, eingetreten, und das Brautpaar fand sich vor dem Affenkäfig – freilich ein etwas prosaischer Ort für ein Stelldichein – wieder, wo Käthe mit halb unterdrücktem Lachen das eben stattgehabte Abenteuer erzählte.

Der junge Mann horchte gespannt auf – es flog eine plötzliche Heiterkeit über sein Gesicht:

„Käthe, damit ärgern wir ihn weg! Auf dem Haupte dieses Elefanten wird uns neue Freiheit grünen!“

„Wie meinen Sie das?“ frug Käthe beklommen.

„Lassen Sie mich nur machen! Ein paar Helfershelfer brauche ich freilich, denn ich kann ihn nicht necken, ohne daß ich Ihre Mama mit ins Herz treffe!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_096.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2018)