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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


„Der Verein!“ rief Käthe lebhaft, „zu so etwas ist die Amicitia da! Die Jungen gehen alle für mich durchs Feuer!“

„Bravo!“ sagte Erloff, „jetzt heißt es also, sich lieb Kind beim Verein machen – das werde ich schon fertig kriegen – ich bin auch einmal in Tertia gewesen!“

Inzwischen hatte sich die Gruppe am Elefantenkäfig aufgelöst; der Menageriebesitzer war durch ein reichliches Trinkgeld beschwichtigt worden, in dessen sicherer Voraussicht er seine Besorgnisse über die schlimmen Folgen der ungewohnten Mahlzeit für seinen Elefanten bedeutend schwärzer gemalt hatte, als sie in der That waren, und die Doktorin sah mit Entsetzen, daß, während sie mit dem erwünschten Schwiegersohn beschäftigt gewesen, der unerwünschte sich im Zwiegespräch mit ihrer Tochter befand. Die beiden Herren grüßten sich mit ziemlich schlecht verhehltem gegenseitigen Abscheu, und die Gesellschaft verließ die Bude.

Erloff ließ es sich, zur frohen Ueberraschung der Mutter, heut gar nicht angelegen sein, Herrn Grauberg den Platz an Käthe’s Seite streitig zu machen. Er gesellte sich vielmehr dem jugendlichsten Theil der Gesellschaft zu und gewann durch diplomatisches Betragen und eine wahrhaft tiefe Hochachtung, die er vor dem Verein und jedem seiner Mitglieder an den Tag legte, im Sturm die Herzen derselben, so daß German ihm später das ehrende Prädikat „ein höchst anständiger Kerl“ beilegte und sich mit Käthe’s Geschmacksrichtung einverstanden erklärte, was ja jedes weitere Wort zu Erloff’s Lobe überflüssig mache!

Von diesem Standpunkt aus kann es nicht überraschen, daß die jungen Herren sich schnell und widerstandslos zu eifrigsten Bundesgenossen Erloff’s anwerben ließen und sich zu jeder Schandthat fähig und willig erklärten.

Um die Ausführung des sich in unserer wahren Geschichte entwickelnden Planes zu erleichtern, stellte Erloff vor allen Dingen jedem Vereinsmitglied, und auch sogar Eduard, einen unbeschränkten Kredit zu Besuchen der Menagerie in Aussicht, wo täglich mindestens Einer sich erkundigen sollte und mußte, wie dem Elefanten die Eau de Cologne-Flasche bekommen sei!

Alles Weitere wurde bis ins Detail verabredet, und vor der Hausthür des Doktors verabschiedete sich Erloff, nachdem er vergeblich von der Mutter eine Aufforderung zum Nähertreten erwartet hatte. Die Doktorin war sehr erfreut über diese Wendung der Sache, und Käthe, der Karl zuzuflüstern Zeit gewann: „Erloff hat einen Bund mit uns gemacht“, tröstete sich mit der Zuversicht, die aus dem vergnügten Abschiedsgruß des Bräutigams geleuchtet hatte.

Die auswärtigen Mitglieder der Amicitia gingen mit Erloff davon, während Karl und Eduard ins Haus beordert wurden. „Die Thierbude war Plaisir genug für einen Tag“, entschied die Mutter.

Herr Grauberg behauptete also für diesen Abend siegreich das Feld. Der Vater schüttelte im Stillen verwundert den Kopf über Käthe’s Heiterkeit und dachte bei sich. „Am Ende nimmt sie ihn doch noch!“ und die Mutter triumphirte.

Von dem Elefanten war nicht die Rede; nur als Karl und Eduard zu Bette gingen und dem Gast gute Nacht wünschten, sagten Beide mit sehr artigen Verbeugungen: „Recht gute Besserung für den Elefanten!“ – eine Mahnung an das ungewohnte Erlebniß des Nachmittags, welche Herrn Grauberg für einen Moment die Stimmung verdüsterte.

Von diesem Abend an verfolgte der Elefant in geistigem Sinne Herrn Grauberg auf Schritt und Tritt.

Ging er auf der Straße, so kam ihm sicher ein Mitglied des Vereins entgegen, um mit abgezogener Mütze im bescheidensten Ton zu fragen, ob er schon gehört habe, wie es dem Elefanten gehe?

Am Nachmittag desselben Tages, als er seinen Besuch bei Doktors abstattete, trat Karl, anscheinend von der Straße kommend, ein, begrüßte Herrn Grauberg und sagte: „Ich war eben in der Menagerie – der Elefant soll seit gestern nicht ordentlich fressen!“

Bei einem Spaziergang der Familie zeigte Eduard auf einen Mann, der auf der andern Seite der Straße ging: „Sehen Sie den Mann, der so traurig aussieht, Herr Grauberg? Das ist der Wärter von Ihrem Elefanten!“

„Ach was – mein Elefant!“ knurrte Herr Grauberg zornig; „ich habe keinen Elefanten – laß mich in Frieden!“

Am schlimmsten wurde es, seitdem Käthe dem Vater zum Verbündeten gewonnen hatte. Der Doktor gab im ärztlichen Ton seine Ansicht dahin ab, „daß der Elefant allerdings nicht unerheblich an seiner Gesundheit durch das Verschlucken der Flasche geschädigt werden – ja wohl gar daran zu Grunde gehen könne!“

Herr Grauberg fuhr sich mit dem Tuch über die Stirn. „Das wäre ja eine theure Eau de Cologne-Flasche!“ sagte er mit etwas erzwungener Unbefangenheit.

„Ja!“ krähte Eduard, der seine Rolle sehr gut einstudirt hatte, „und wenn Ihr Elefant stirbt, müssen Sie ihn bezahlen, Herr Grauberg – der Mann hat’s gesagt!“

„Hast Du gesehen, wie sich sein Gesicht verzerrte?“ frug Roth, der gerade anwesend war, als er nachher mit Karl nach der Menagerie ging; „er wurde ganz grün vor Angst!“

„Da kommt er!“ sagte Karl, „thun wir, als wenn wir ihn nicht sähen, bis er dicht hinter uns ist. Jetzt!“ und mit erhobener Stimme fuhr Karl fort: „Und dieser Elefant ist ein ganz besonders kostbares Thier, hat der Mann gesagt!“

„Ja, das hat er zu mir auch gesagt!“ stimmte Roth ein; „die Zähne allein sind gewiß vierzig Thaler werth!“

„Mindestens!“ versicherte Karl, und Beide erschraken auf das Natürlichste, als in diesem Augenblick Herr Grauberg hinter ihnen vorkam.

„Sage einmal,“ begann Karl wieder, „was mag wohl so ein Elefant kosten?“

„Das weiß ich nicht,“ sagte Roth mit wahrer Taubenunschuld in seinen pfiffigen Schuljungenaugen, „ich glaube fünfhundert Thaler!“

Karl lachte verächtlich.

„Dafür kriegst Du ihn vielleicht ausgestopft, Roth – wenigstens fünftausend – das hat uns der Lehrer gesagt!“

„Ei, ei,“ stammelte Roth, „das kann ich mir gar nicht denken!“

„Natürlich,“ erwiederte Karl eifrig, „und da ist noch kein Porto dabei!“

Herr Grauberg trat in schweren Gedanken seinen Heimweg an; die Jungen hatten am Ende nicht so ganz Unrecht. Lagen die Dinge aber so, dann that er am besten, sich bei einem Sachverständigen zu erkundigen. Er setzte sich sofort hin, um eine Karte an die Thierhandlung von Hagenbeck in Hamburg zu expediren und sich über seine möglichen Ausgaben zu unterrichten. In die Nähe der Thierbude wagte er sich gar nicht mehr, da er immer fürchtete, gerade zu gefährlichen Krankheitserscheinungen „seines“ Elefanten zurecht zu kommen.

Sogar die Freierei wurde dem armen Mann durch diese fatale Geschichte verdüstert; er beschloß, das entscheidende Wort eher zu sprechen, als er eigentlich beabsichtigt hatte, da er ja doch noch immer unsichern Grund unter den Füßen fühlte – sich Gewißheit zu verschaffen und dann, das Jawort in der Tasche, den Ort zu verlassen, der ihm durch die beständige Sorge um das Befinden des Elefanten so verleidet ward.

Erloff, der durch die Jungen immer auf dem Laufenden erhalten wurde, war entzückt, wie sicher sein Mittelchen anschlug. Er trieb die jungen Bösewichter zu eifrigster Durchführung ihrer Rolle an, indem er ein geheimnisvolles Geschenk an den Verein in Aussicht stellte, das die kühnsten Erwartungen desselben überflügeln sollte.

Herr Grauberg selbst drängte zur Katastrophe. Er erhielt nämlich auf seine Anfrage einen Katalog von Hagenbeck, in dem der Preis eines ausgewachsenen Elefanten auf zehntausend Mark angeschlagen war, und diese Mittheilung fuhr ihm dergestalt in die Glieder, daß er beschloß, die ihn Tag und Nacht quälenden Sorgen wenigstens nach einer Seite hin zu einem Abschluß zu bringen, und wenn er noch nicht erfahren konnte, ob er einen Elefanten kaufen müßte, so wollte er wenigstens wissen, wie seine Aussichten auf eine Braut ständen. Er schrieb daher ein paar Zeilen an den Doktor, in welchen er bat, sich am nächsten Morgen zu einer Unterredung bei ihm einfinden zu dürfen.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_098.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)