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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

im Haar, rollen vorbei; ihnen folgen in vornehmen Staatskarossen die Vertreter der auswärtigen Fürstlichkeiten; dann schwanken langsam die mächtigen, von Gold und Silber starrenden Galawagen der zum Besuch erschienenen Prinzen und Prinzessinnen heran, die sechs Rosse vorn mit blitzenden Schabracken, der Kutscher auf dem Bocke mit weißgepuderter Allongeperrücke, die überreich galonnirten Diener auf den Trittbrettern mit zierlichen Galanteriedegen und sauber gewickelten Haarbeuteln. Werden schon die Insassen dieser Wagen vielfach mit Hochs begrüßt, so schwellen die Rufe brausend an, wenn die wohlbekannten Berliner Hofgefährte auftauchen, von schnell und gleichmäßig ausgreifenden Rappen gezogen, Spitzenreiter in knappem, gold- und silberbordirtem Jockeykostüm voran, der Wagen leicht und elegant gebaut, mit farbiger Seide im Innern ausgeschlagen.

Ist die letzte Equipage verschwunden, ist das letzte Hoch verhallt, dann lösen sich auch die ungeheuren Menschenmauern auf; manch Weh und Ach über gedrückte und gequetschte Gliedmaßen wird laut; manch humpelnder Fuß, manch zerknittertes Gewand ist zu sehen, aber ganz gleich – allgemein ist man der Ansicht: „Hübsch war es doch!“ und das ist ja schließlich die Hauptsache!

An ganz besonders festlichen Tagen legen die Linden auch ihre besondere Festtoilette an. Unvergeßlich schöner Anblick die breite und lange Straße hinunter: Fahne an Fahne, Banner an Banner, Guirlanden von frischem Grün ziehen sich an den Häuserfronten entlang, hier die Büste des Kaisers umkränzend, dort seinen Namenszug bildend; buntfarbige Teppiche hängen aus den Fenstern herab und duftige Blumenspenden grüßen hernieder; überall Freude und Frohsinn, Leben und Bewegung. Abends aber leuchtet’s und flammt es auf; kein Fenster, hinter dem nicht Kerzenschein, kein Haus, von dessen Portal es nicht blitzt und flimmert von Tausenden kleiner Illuminationskörperchen; bunte Lampions schlingen sich zu gefälligen Arabesken, und aus einer Unzahl röthlicher Glühlichtchen strahlen weißschimmernde elektrische Sonnen hervor – in ein einziges Feuermeer scheint die Straße gehüllt zu sein, in ein einziges Freudenfeuer, welches einen schönen Wiederschein auf den Mienen der eng sich drängenden Menschenkarawanen findet.

Auch in dem baulichen Charakter der Linden macht sich ihr Einfluß auf die gesammte Stadt und ihre tief einschneidende Bedeutung so recht bemerkbar. Von dem hoheitsvollen Säulenportal des Brandenburger Thores angefangen, dessen Quadriga 1814 von den siegreichen Verbündeten nach Berlin zurückgeführt wurde, nachdem der Viktoria das eiserne Kreuz in den erzenen Lorbeerkranz geflochten war, repräsentirt fast jedes Haus ein Stückchen erinnerungsvoller Geschichte. Hier finden wir die Palais der fremdstaatlichen Botschafter und Gesandten; hier finden wir die Denkmäler der Männer, welche so viel zur Größe ihres engeren preußischen wie weiteren deutschen Vaterlandes beigetragen; die kriegführende Bellona veranschaulicht uns das Zeughaus mit seinen bluterkämpften Trophäen, und den Frieden verkörpert die Akademie der Wissenschaften und der Künste, in denen einst ein Leibniz, ein Schadow gelehrt. Und zwischen den beiden massigen Gebäuden streckt sich die Universität hin; häufig genug durchströmt von hinreißender Begeisterung, wenn es die Ehre des Staates, des Volkes galt, von jenen Tagen an, in denen Fichte seine mannhaften Reden hielt und so Manchen damit auf den Weg der opferfreudigen Pflicht zurückführte! An viele von Glanz und Frohsinn erfüllte Stunden mahnt uns sodann das Opernhaus, und an wahres Glück, auch aus Königsthronen, das benachbarte Schlößchen, jetzt vom Kronprinzen bewohnt, einst das Heim der edelsten und liebreizendsten Fürstin, die an einem heiterklaren Decembertage des Jahres 1793 hier ihren Einzug hielt und im Sturme sich die Herzen der jubelnden Berliner errang, von denen sie später wie eine gütige, lichtvolle Fee verehrt wurde.

Und ist es nicht, als ob jener weihevolle Schein, den einst begeisterte Liebe und treueste Hingebung um das Bild der theueren Herrscherin geschlungen, sich übertragen hätte auf das schmucklose Palais, vor dem jetzt tagtäglich Hunderte und Tausende von Menschen in dichtgedrängten Massen stehen, um dem greisen Sohne der Königin Luise ihre Huldigungen darzubringen? Wer könnte an jenem einfachen Gebäude vorbeigehen, ohne den Blick nach dem historischen Eckfenster zu richten, von dem aus oft genug während der Nacht die Lampe ihren matten Schimmer auf die einsame Straße geworfen, späten Wanderern verkündend, daß das Oberhaupt des Staates noch seiner ernsten Pflichterfüllung nachgehe. Hier war es ja auch, an dieser Stelle, an einem Januartage, wo stolz die Standarte emporrauschte, Berlin verkündend, daß es zur Kaiserstadt geworden!

Ja, sie haben viele Wandlungen durchgemacht, die „Linden“, von jenen Zeiten an, wo sie einst der Große Kurfürst bepflanzen ließ und damit die ursprüngliche über Charlottenburg nach Spandau führende Landstraße zu einer städtischen Promenade umgestaltete. Nicht weniger mannigfache Phasen erlebte der Ausgangs- oder, wie man es nehmen will, der Anfangspunkt unserer ruhmreichen Straße, dessen Name noch heute an seine einstige Bestimmung erinnert, ein lieblicher, angenehmer Name: der Lustgarten. Denn ein Lustgarten breitete sich hier auf dieser von den Spreearmen gebildeten kleinen Insel einst aus, und unter den wohlriechenden, seltenen Bäumen, aus deren dichtem Grün Statuen hervorleuchteten, gingen die in goldstrotzende Gewänder gekleideten Höflinge des ersten preußischen Königs auf und nieder, in zierlichen Redewendungen mit den feingepuderten Damen plaudernd, die auf ihren hohen Hackenschuhen kokett neben ihnen hertrippelten. Aber die seltenen Bäume verschwanden und auch die Höflinge sowie das Orangeriehaus, als Friedrich Wilhelm I. das Regiment in seine starken Hände nahm; was brauchte er einen Lustgarten? Er hatte einen Exercirplatz nöthig, und dort, wo noch wenige Jahre vorher das eleganteste Französisch erklungen war, ertönten nun die derben Kommandoworte der Korporale, welche die „lieben blauen Jungen“ des Königs eindrillten!

Er würde große und – wir möchten darauf schwören – zornige Augen machen, der soldatenfreundliche Herrscher, wenn er den Lustgarten in seiner heutigen Gestalt sehen würde; er würde die Schönheit desselben wenig empfinden. Aber wir empfinden sie glücklicher Weise und freuen uns derselben von Herzen; denn der Anblick, etwa von der Terrasse des Schlosses aus, ist ein ganz herrlicher: linker Hand die breite Schloßbrücke mit ihren glänzenden Marmorgruppen und dahinter in blauem Dust halb verschwimmend die Linden, rechts der altertümliche ehrwürdige Dom, vor uns prächtige Parkanlagen mit lauschigen Gebüschen und sammetnen Grasflächen, aus denen das imposante Bronzereiterbild Friedrich Wilhelm’s III. emporragt, und dahinter das Museum sowie die Nationalgalerie mit ihren wirksamen, an die Blüthezeit des klassischen Alterthums erinnernden Säulenkolonnaden.

Hätte er, der schönheitsbegeisterte Monarch Friedrich Wilhelm IV., dessen Statue die Treppenwange der Nationalgalerie schmückt, nicht so viele Entmuthigungen erlebt, der Platz würde jetzt noch ganz anders ausschauen; denn es war ein Lieblingsgedanke des verstorbenen Regenten, diese sogenannte Museumsinsel mit stolzen Kunsthallen zu bebauen; durch Säulengänge sollten sie mit einander verbunden werden und ihr Zweck darin bestehen, die an verschiedenen Stellen untergebrachten künstlerischen Sammlungen zu vereinigen. Als Mittelpunkt sollte sich in edler antiker Form, in Gestalt eines korinthischen Tempels, ein Gebäude erheben, dessen weite und hohe Räumlichkeiten zu prunkhaften Festsitzungen, zu kunstwissenschaftlichen Vorträgen, zu interessanten einzelnen Schaustellungen bestimmt waren. Mit dem Dom aber sollte ein Camposanto vereinigt werden, im Innern verziert durch Cornelius’ geistreiche Kompositionen, bestimmt, die letzte Ruhestätte der Hohenzollern zu bilden.

Wenn auch dieser Plan nicht ausgeführt wurde und wahrscheinlich auch nicht ausgeführt werden wird, so harrt doch ein anderer seiner Verwirklichung, und die kostbaren Olympia- und Pergamonfunde sowie die Erzeugnisse der neueren Kunst werden ihrer würdige Museen erhalten. Ebenso plant man mit den Linden nicht unbedeutende Veränderungen, welche sich namentlich auf die Verschönerung der einzelnen Wege, auf eine architektonisch eigenartige Einfassung derselben sowie auf gärtnerischen Schmuck erstrecken werden.

Unberührt vom Wandel der Zeiten ist bisher geblieben und wird es auch wohl ferner bleiben das majestätische preußische Königsschloß mit seinen weiten Höfen, seinen massigen Mauern, seinen prunkenden Sälen und Balkonen. Fest, trutzig, gewaltig ragt es empor und blickt erhaben über die angrenzenden Stadttheile hinweg, als wüßte es, daß von hier aus der Siegesadler

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_110.jpg&oldid=- (Version vom 29.2.2024)