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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Amicitia.
Eine Schuljungengeschichte von Hans Arnold.
(Schluß.)


Der Zweck des von Herrn Grauberg feierlich angekündigten Besuches war den Eltern natürlich sogleich klar. Die Mutter hatte allerdings geglaubt, es verhindern zu können, daß das bevorstehende Ereigniß Käthe bekannt wurde, da sie immer noch hoffte, die Einwilligung der Tochter vielleicht durch Ueberrumpelung zu gewinnen – aber sie hatte ohne das laute Organ ihres Mannes und ohne Schlüssellöcher gerechnet.

Wer es zuerst gehört, das weiß heut noch Niemand; gewiß ist aber, daß noch am selben Vormittag das ganze Haus von Käthe abwärts bis zum Stubenmädchen genau darüber im Klaren war, daß Herr Grauberg morgen um die Hand Käthe’s anhalten wolle.

Hätte es noch an einer Bestätigung der Nachricht gefehlt, so wäre die Haltung der Mutter entscheidend gewesen, die seit dem Eintreffen von Herrn Grauberg’s Zuschrift in Feierlichkeit, Rührung und zugleich einer gewissen Strenge drapirt umherging und sich mit Ostentation nach den Tagespreisen von Rehrücken und Fisch erkundigen ließ.

Der Vater sah verstimmt aus und warf von Zeit zu Zeit sorgenvolle Blicke auf Käthe – das Haus gewährte einen beunruhigenden Anblick.

Als die Amicitia auch an diesem Sonnabend sich, wie gewöhnlich an diesem Wochentage, bei Karl versammeln wollte, wurde ihr von Amtswegen bedeutet „es paßt heut nicht“, und der Verein zog mit ziemlich hängenden Ohren ab, von Karl auf die Straße geleitet, der im Flüsterton und mit unendlicher Wichtigkeit die Eröffnung machte, „das Scheusal“ habe auf morgen seinen Hauptstreich vor. Nach einer kurzen, aber leidenschaftlichen Berathung faßte man den Entschluß, Erloff von der drohenden Gefahr in Kenntniß zu setzen; denn Karl’s Mittheilung „Käthe weint“ entflammte die ritterlichsten Gefühle der Tertia für die bedrängte Schöne.

Vollzählig begab sich die Amicitia zu Erloff, der ahnungslos auf dem Sofa lag und las.

Die Aufnahme, die er dem Verein angedeihen ließ, war glänzend! Erloff blieb sich wirklich immer gleich!

Er ließ Wein und Apfelkuchen bringen und bot den jungen Herren sogar den mehr ehrenvollen als zuträglichen Genuß einer Cigarre an, den sie, trotz einer inneren, dringend abmahnenden Stimme, doch sämmtlich annahmen; hierauf saßen sie mit unsäglich gehobenen Gefühlen, wenn auch etwas ungewandt, rauchend und beratend um den Tisch.

„Das Eine steht fest,“ sagte Erloff, als seine Gäste sich nach einer halben Stunde erhoben, um fortzugehen, „Sie dürfen ihn nicht zum Reden kommen lassen, am liebsten gar nicht ins Haus – wie Sie es machen, überlasse ich Ihnen, ich setze vollstes Vertrauen in Ihre Besonnenheit und Ihren Scharfsinn!“

Die namenlos geschmeichelten Jünglinge zogen, von den kühnsten Plänen und Vorsätzen geschwellt, ab, die wenigstens den einen unleugbar guten Erfolg hatten, daß alle Arbeiten zum nächsten Montag schon heute gefertigt wurden, um am morgenden Sonntag „die Hände frei zu haben“.

Für Karl hatte der Nachmittagsbesuch bei seinem künftigen Schwager allerdings die traurige Folge, daß er durch kreidebleiches und jammervolles Aussehen die Cigarre büßen mußte und von der Mutter beleidigend auf zu viel Pflaumenkuchen angeredet wurde – eine Beschuldigung, die er vorerst schweigend auf sich sitzen lassen mußte.

Der gefürchtete und ersehnte Tag, der die Entscheidung von Herrn Grauberg’s Lebensglück bringen sollte, brach mit hellstem Sonnenlichte herein: ein Wetter, wohl geeignet, Löwenmuth in allen Herzen zu erwecken.

Die Amicitia, im glücklichen Vorgefühl zu verübender Schandthaten, erhob sich allerseits früh von ihren Lagerstätten – ein auffälliges Verfahren, da sonst der Sonntag durch endloses „Ausschlafen“ begonnen zu werden pflegte. Aber Herr Grauberg wollte um halb Elf bei Doktors erscheinen, und somit mußten die Streitkräfte frühzeitig vertheilt werden.

Dem Kinde Eduard war die ehrenvolle Aufgabe geworden, aufzupassen, bis der Freier kam. Sein großmüthiger Vorschlag, den Klingelgriff mit feinem Frühstückshonig einzuschmieren war abgelehnt; dagegen Eduard für später eine Glanzrolle zuertheilt worden. Ein Detachement, aus German und Roth bestehend, lauerte um Herrn Grauberg’s Haus herum, bis er den sauern Weg antreten würde.

In dem Augenblick, wo man ihn aus der Thür kommen sah, trennte sich das Paar, um an zwei verschiedenen Straßenecken sein Opfer zu belauern.

Karl war in der Küche beschäftigt, die im Seitenflügel des Hauses lag und deren Fenster mit denen des väterlichen Studirzimmers korrespondirten, daher man von dort aus jeden Vorgang in des Doktors Heiligthum beobachten konnte, was für Karl, wie wir später sehen werden, unumgänglich nöthig war.

Erloff hatte inzwischen insoweit eine Initiative ergriffen, als er dem Doktor ebenfalls schrieb, seine Werbung um Käthe’s Hand, deren Neigung er sicher zu sein glaube, aussprach und um die Erlaubniß bat, heut im Laufe des Tages sich selbst Bescheid zu holen. Der Doktor kratzte sich ärgerlich am Kopf, als ihm solchergestalt zwei hoffnungsvolle Schwiegersöhne in den seltenen Ruhetag zu kommen drohten, raisonnirte auf erwachsene Töchter und alles, was damit zusammenhing, und freute sich im Stillen über seine vielbegehrte Käthe, die ihm nun einmal ganz besonders ans Herz gewachsen war.

Der ahnungslose Herr Grauberg warf sich inzwischen in schönsten Staat, parfümirte sich, als wenn er Reklame für ein Seifengeschäft machen sollte, legte hellrote Handschuhe an, die eine taktvolle Mitte zwischen Gesellschafts- und Visitenfarbe hielten, und zog sich den neuesten aller neuen dunkelblauen Gehröcke an. Wenn Herr Grauberg nicht bezaubernd aussah, so konnte wenigstens kein Mensch sagen, daß er sich nicht genug Mühe gegeben hätte, um diesen Zweck zu erreichen!

An der ersten Ecke, um die ihn sein Weg führte, zeigte sich Roth.

Roth ging langsam vor dem Freier her, in derselben Richtung, und Herr Grauberg, der, wie wir begreifen werden, Eile hatte, überholte den Jungen rasch und nahm sich kaum Zeit, seinen Gruß zu erwiedern.

Als er ein paar Schritte weiter war, betrachtete Roth mit prüfendem Blick das Innere seiner Handfläche, welches reichlich mit Kreide eingerieben war, und nachdem er sich von dieser Thatsache überzeugt hatte, rief er in diskretester Weise Herrn Grauberg an.

„Sie haben sich den Rock weiß gemacht, Herr Grauberg!“

Eine unliebsame Störung – aber immerhin mußte der eilige Freiersmann stehen bleiben.

„Willst Du mich vielleicht abklopfen?“ fragte er.

Jeder Rest von Reue oder Gewissenszweifeln wurde in Roth durch dieses „Du“ erstickt. Hätte Grauberg „Sie“ gesagt, wer weiß, was er gethan hätte – aber so – der Mensch verdiente nicht, daß man ihn schonte!

„Sehr gern!“ erwiederte also der Verschwörer mit verbindlicher Miene und klopfte mit seiner bekreideten Rechten den blauen Gehrock recht gründlich – hier und da zur Verstärkung der Farbenmischung noch ein wenig reibend.

Als er so den ganzen Rücken des bedauernswerthen Mannes eingeweißt hatte, sagte er: „Ganz ist es noch nicht fort, aber beinahe – das Uebrige werden Sie sich wohl zu Hause abbürsten lassen müssen!“

Herr Grauberg nickte und vergaß in seiner Eile sogar den Dank für die erwiesene Wohltat. Roth verließ ihn, drehte um, stürzte durch einen nur der Amicitia bekannten Hof und Schleichweg voran, bis zu German, der an der letzten Ecke von Doktors wartete, und berichtete athemlos den Erfolg seiner Sendung: „ Er bedankte sich nicht einmal,“ fügte er hinzu, „gieb’s ihm tüchtig, German!“

„Spare jedes Wort!“ erwiederte dieser verächtlich, „Du kennst mich!“

German, mit einem blauen Shlips und einem Stöckchen in der Hand, war das Bild des eleganten Flaneurs und sich dessen voll bewußt. Der ihm zugefallene Theil der heutigen Mission würde ihn in Folge seiner Feinheit etwas genirt haben, aber zum Glück war die Straße, dem Sonntagvormittag entsprechend, menschenleer und German zu allem entschlossen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_112.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)