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verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Josias.

Eine Geschichte aus alter Zeit von Fanny Lewald.

Den Josias hatte ich gekannt, so lang ich denken kann; und weil ich ihn sehr lieb gehabt und hoch geschätzt, will ich, da er nun lange todt ist, zu meiner Befriedigung von ihm schreiben, weil ich nicht mehr mit ihm sprechen kann. Mag die Blätter denn einmal lesen, wem sie in die Hände kommen werden. Es leben jetzt in unserem Zeitalter, in welchem die Menschen alle durch einander gewürfelt und an einander abgeschliffen werden wie die Kiesel am Seestrand, wohl nicht mehr Viele, die eigenartig sind, wie er’s gewesen!

Mit diesen Worten fing die Erzählung in dem Tagebuche von Tante Franziska an, und die Seite trug das Datum vom zehnten September achtzehnhundertachtundsechzig. Die Schreiberin war damals selbst den Sechzigern nahe gewesen.

Den Josias also hatte ich gekannt, so lang ich denken konnte, und ich habe aus meinen frühesten Tagen ein deutliches Bewußtsein. Unser Vater hatte von seinem Vater die großen Seidenfabriken an der Oberspree nach Köpnick zu ererbt, wo damals noch ganz freies Feld gewesen ist. Dorthin zogen wir immer in den Sommermonaten, und da sich an die Fabriken unser großer Garten anschloß, so war es ein angenehmer Aufenthalt; denn von Dampfmaschinen und von der durch den Dampf verdorbenen Luft war noch gar keine Rede. Die Luft war frisch; die Wiesen an der Spree waren voll Blumen; und still war es da draußen, wenn die Arbeitsstunden vorüber waren, wenn die Webestühle und die Spulen nicht mehr rasselten, grade wie auf einem einsamen Dorfe tief im Lande.

Der Zierbrunnen auf dem Postplatz zu Görlitz.
Nach einer Photographie von E. Encke in Görlitz.

Den Winter aber verlebten wir in dem Hause in der Stadt, in welchem das Verkaufsgeschäft betrieben wurde, und der Josias, dessen Voreltern zugleich mit den unsern und mit den anderen vertriebenen Hugenotten zusammen aus Frankreich ausgewandert und in Preußen aufgenommen worden, war immer zu uns gekommen, draußen in der Fabrik sowohl als in der Stadt. Die französische Kolonie hatte immer gut zusammengehalten, seit sie unter dem preußischen Adler eine neue Heimath gefunden, und die Einzelnen hielten auf sich selber, die Bürgerlichen, die zum Theil große Fabrikanten geworden waren, wie die Adligen in der Armee und unter den Beamten. Vom General herunter bis zum Tanzmeister und Coiffeur nannten sie sich alle noch Refugiés und waren sie alle sammt und sonders aus ungerecht und grausam vertriebenen Franzosen geachtete und treue Preußen geworden. Es hatte ein gut Theil von ihnen mitgefochten in den Freiheitskriegen und die Viktoria nach Hause bringen helfen, welche Napoleon fortgeschleppt nach Frankreich. Sie stand schon wieder auf dem Brandenburger Thor in der Zeit, von der ich rede; und ich war achtzehnhundertsechzehn sieben Jahre alt.

Wenn der Josias kam, so meldete das Mädchen ihn immer als den Herrn Kassenrendanten an.

Was ein Kassenrendant bedeutete, das wußte ich zwar nicht; aber ich zerbrach mir darüber auch weiter nicht den Kopf, obwohl ich ein nachdenkliches Kind gewesen bin. Ich hatte schon oftmals lang darüber gegrübelt, wo der liebe Gott eigentlich hergekommen sei und wo er gewohnt habe, ehe er die Welt geschaffen, während ich nach rechter Kinderart über alle mich zunächst umgebenden und meine Welt ausmachenden Dinge und Menschen noch niemals nachgedacht. Es war ja unser Haus, in dem wir wohnten; es waren unser Vater und unsere Mutter, die Onkel, die Tanten, der Doktor, und Der und Jener und der Josias! Das verstand sich alles ganz von selbst; das war wie es war.

Der Vater, der damals in der Mitte der Dreißig stand, nannte den Josias Du, obschon der Josias zwölf, dreizehn Jahre voraus hatte vor ihm. Die Mutter hieß ihn, wenn sie zu ihm redete: lieber Courville, und wenn sie von ihm zu uns Kindern sprach, den guten Josias! – und gut war er zu Jedermann. – Mich aber zog er doch den andern Geschwistern vor, und wenn er mit mir scherzte und tändelte, nannte er mich Franull.

Als ich ihn einmal gefragt, weshalb er das thue, hatte ich die Antwort bekommen, jenseit der Oder und der Weichsel, wo nicht mehr Deutsche, sondern Slawen wohnten, sage man nicht Franziska, sondern Franull, und das klinge gut und den Namen habe er gern. Was Slawen wären, wußte ich freilich auch nicht, es war mir aber auch einerlei; denn da bei solchen Gelegenheiten immer eine oder die andere Näscherei für mich abfiel und ich doch eben das Fränzchen war und blieb, so ließ ich mir die Franull gefallen; nur daß ich eines Tages die Frage aufwarf: „Aber Du? Warum heißt Du denn Josias? Das ist ja gar kein Name! So heißt ja gar kein anderer Mensch! Warum heißt Du denn Josias?“

Meine Mutter sagte, er heiße, wie sie glaube, so nach seinem Herrn Pathen; einer der Hausfreunde bemerkte jedoch scherzend: „Er heißt so, weil er überhaupt anders ist als Andere, weil er ein Original ist.“

„Ein Original?“ wiederholte ich. „Er ist ja ein Kassenrendant!“ und wie gesagt, ich verband mit dem einen wie mit dem andern Worte keinen Begriff.

Das Lachen, das ich erregte, machte mich aber dreister. „Was thut denn ein Original?“ erkundigte ich mich.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1888, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_125.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2023)