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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

war er aufmerksam auch für die Frauen seiner anderen Freunde. Er war dann womöglich mit doppelter Sorgfalt gekleidet. Sein Taschentuch duftete nach eau de mille fleurs, seine Handschuhe waren von leuchtender Weiße. Er hielt den Strauß oder den Neujahrswunsch so behutsam zwischen den beiden Fingern, als sei es eine Ehre für ihn, das Geschenk zu berühren, das huldigend darzubringen er gekommen war; und die Art und Weise, in welcher er dann die Hand der von ihm verehrten Frau an seine Lippen drückte, während er seine schönen braunen Augen zu ihr erhob, war ihm auch ausschließlich zu eigen. – Jetzt in der Erinnerung kommt mir das Alles schön und rührend vor, wenn es den Jungen auch altmodisch erscheinen mag; ich bin ja aber auch schon altmodisch geworden! Und besser als das zutappsige Handschütteln, mit welchem heut zu Tage die Männer den Frauen, alt und jung – sie nennen es à l’anglaise – so zu sagen: „auf Du und Du“ begegnen, war die alte Mode formvoller Huldigung gewiß! – Daß der Josias es dabei vielleicht ein wenig übertrieb, weil er ein Original war, dafür konnte er ja nicht.

Aber – noch einmal, weshalb war er ein Original geworden? Die Frage beschäftigte mich um so mehr, je mehr ich heranwuchs, und Niemand gab mir darauf Antwort.




Inzwischen gingen die Tage und die Jahre ihren Lauf! Wir waren in das Jahr achtzehnhundertneunundzwanzig gekommen. – Ich war aus einem Kinde ein Mädchen von fast zwanzig Jahren und, wie es im Geiste jener Zeit lag, auch ein recht schwärmerisches Mädchen geworden. Kein Gedicht war mir zu überschwänglich, kein Roman zu romanhaft. Ich ließ mir herzlich gern den Hof machen und obschon ich eine Unvermählte geblieben bin, hat es mir an Verehrern und Bewerbern nicht gefehlt. Ich sah – ohne Eitelkeit zu vermelden – gar nicht übel aus; unsere Familie war geachtet, und man wußte, daß unser Vater mich nicht nackt und bloß in die Ehe geben würde. Aber wie das mit mir gekommen ist, daß ich trotzdem nicht geheirathet habe, daß ich eben Tante Fränzchen, Mamsell Fränzchen und allein geblieben bin, das hat mit dem Josias nichts zu thun; das steht auf einem andern Brette, und also hier davon nichts weiter.

Dazumal, um achtzehnhundertneunundzwanzig – ich entsinne mich des Jahres ganz genau, denn der Vater hatte, damit wir an das Wasser heran könnten, grade das Stück Wiesenland gekauft, das die Fabrik und unseren Garten von der Spree abtrennte, und hatte gleich zwei schöne Boote für uns angeschafft – dazumal kamen viele Gäste in unser Haus und es ging lustig bei uns her. Ich tanzte leidenschaftlich gern; mir war dann zum Fliegen leicht ums Herz; ich weinte jedoch fast noch lieber meine heißen Thränen mit allen unglücklich Liebenden in der Poesie und Wirklichkeit; und da ich im Uebrigen verständig war, die Eltern sich auf meine Vernunft und Sittlichkeit verlassen konnten und schlechte Bücher nicht im Hause gehalten wurden, so hatte ich freie Wahl für meine Leselust und durfte meinen empfindsamen Neigungen freien Lauf lassen.

Ich hatte gute Tage. Die Eltern, die Freunde liebten und lobten mich, und der Josias wiederholte es immer, „seine schlanke Franull sei recht ein Mädchen nach seinem Herzen!“

Grade in dem Jahre jedoch war er zum ersten Male krank gewesen. Er hatte einen Anfall von Podagra gehabt, und es war verabredet, daß er nach seiner Rückkehr von Teplitz, wohin er zur Kur gegangen, zu uns in den Garten kommen und den Rest des Sommers zu seiner Erholung bei uns verbringen sollte. Als dann endlich am Ende des Juli unser Freund, von uns allen ersehnt, von seiner Reise bei uns anlangte, hatten wir zu gewahren, daß äußerlich eine Wandlung mit ihm vorgegangen war, durch die er nicht verloren, sondern eher gewonnen hatte, während er in seinem Innern ganz derselbe gute Josias geblieben wie vorher.

Der Arzt hatte es ihm nämlich zur Pflicht gemacht, eine Kleidung, seinen Jahren angemessen, zu tragen, sich, seines Podagras wegen, zu der üblichen Tracht zu bequemen, weil sie die wärmere sei, und Josias ging denn nun gekleidet wie alle anderen Männer, so daß man es nicht mehr nöthig hatte, beständig seine Absonderlichkeit gegen solche Leute zu erklären und zu vertreten, die mit ihm zum ersten Male in Berührung kamen. War es doch zuletzt auch mir, so lieb ich ihn hatte, nicht mehr angenehm gewesen, mit ihm durch die Straßen zu gehen, weil die Menschen ihn so verwundert betrachteten, die Kinder mit den Fingern auf ihn weisend vor ihm stehen blieben; und wenn er es auch vielleicht sich selber nicht recht eingestand – Gott verzeih mir’s, falls ich ihm Unrecht damit thue – ich glaube, es war ihm am Ende gar nicht unlieb, daß er in die große Masse versinken mußte. Man kann ja unter einem Kreuz, das man mit Begeisterung auf sich genommen hat, doch allmählich müde werden.

Daneben sah der Josias, der nun an das Ende seiner Fünfziger angelangt war, im langen Ueberrock, mit langem Beinkleid und mit den feinen, schönen Klappenstiefeln bei seiner Gestalt weit besser als vordem aus. Jedweder mußte es jetzt sagen, daß er noch ein schöner Mann sei, und er hätte nicht eben ein schöner Mann sein müssen, hätte er an dem Wohlgefallen, das er erregte, nicht eine gewisse Freude haben sollen.

Es war von dem Augenblicke ab, da er zu uns hinauf gezogen war, von der Mutter festgestellt, daß ich im Besonderen für ihn sorgen solle. Ich hatte mich deshalb mit seiner Haushälterin in Verbindung gesetzt, damit ihm alles bereitet werden konnte, wie er es bei sich gewohnt war; und es verstand sich also auch von selber, daß ich zu Hause blieb, ihm Gesellschaft zu leisten, als die Eltern an einem Sonntage nach Charlottenburg gefahren waren, der Einladung einer befreundeten Familie zu einem Mittagbrot zu folgen.

Als ich dann mit meinem Gaste und mit den Geschwistern unser Mahl eingenommen für Josias den Kaffee gemacht und er sich in sein Zimmer zurückgezogen hatte, ging ich hinunter nach dem mit Geißblatt umrankten Gartenhäuschen, das der Vater unten dicht am Wasser hatte errichten lassen, und das, wie die Mode es mit sich brachte, schön mit chinesischen Tapeten ausgeschlagen war.

Indeß ich sah weder die schlitzäugigen Schönen, noch die langzopfigen Mandarinen, die mit ihnen in Reih und Glied unter den fremdartigen Blumenbüschen saßen. Was gingen die mich an?

Ich hatte mir aus der Eltern Bücherschrank den heiß geliebten „Werther“ wieder einmal hervorgeholt, und die Hoffnung schwellte mir das Herz, mich den ganzen langen Nachmittag, so tief ich wollte, in die Poesie von „Werther’s Leiden“ hinein versenken, seine letzten Worte lesen, sein Geschick beweinen und nebenher Lotte verdammen zu können, die solcher Liebe gar nicht werth gewesen war. – Und alt, wie ich heut zu Tage bin, fühle ich es auch jetzt noch nicht viel anders! – Gott! hätte mich Einer in meinen jungen Tagen so geliebt, Vater und Mutter und Heimath und Geschwister und meinen guten Namen hätte ich geopfert, nicht nur einen Bräutigam, der nichts weiter war als ein ordentlicher Mensch, als einer von den Bräutigams, mit denen man sich verheirathet, wenn es grad’ so paßt und man nichts Besseres zu thun hat.

Ich hatte denn auch, ich weiß nicht zum wievielten Male, das Ende des Romans gelesen, hatte in der Andacht voller Zärtlichkeit die Hände über dem Buche gefaltet und sah in den Abend hinaus, der sich still über die Wiesen und das Wasser und weit hinaus über die jenseitigen Fluren zu verbreiten begann, als Josias, vom Hause kommend, in das Gartenhäuschen eintrat.

„Nun!“ rief er mich an, „was hast Du den Nachmittag gethan, mein Schatz?“

„Ich habe gelesen!“ entgegnete ich, das Buch zur Seite legend.

„Und was?“ fragte er, indem er es zur Hand nahm. Als er dann den Titel gesehen, blickte er mich an und sprach: „Wirst Du denn gar nicht damit fertig?“

Der Ton des Spottes, mit welchem er das sagte, fiel mir auf; denn ich wußte, wie sehr er Goethe bewunderte und wie er selber sich oft genug Rath und Erholung aus ihm holte; aber er ließ mir zum Fragen keine Zeit.

„Es springt keiner, wie die Minerva, gleich fix und fertig aus dem Haupte Jupiters. Jeder begeht seine Jugendsünden, und wohl ihm, wenn er allein und nicht andere sie zu büßen haben!“ sagte er. „So ist denn auch der ‚Werther‘ eine von Goethe’s schweren Jugendsünden!“ Darauf hielt er einen Augenblick inne und setzte dann hinzu. „Aber werde Du mir nicht schwachherzig oder gar empfindsam! – Weil Du ein so frisches, ehrliches Kind gewesen bist, habe ich Dich lieb gehabt vor allen Anderen! Empfindsam darfst Du mir nicht werden, denn Empfindsamkeit ist eine Schwäche, die ungerecht macht gegen die Starken; und vollends Thränen weinen um –“

„Um ein unglücklich liebendes Herz soll man nicht weinen?“ fiel ich ihm in die Rede, meinem Ohr nicht trauend.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_127.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)