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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

bald in jener getreuen Stadt Hof hielten, so wechselt er mittelst neunzigachsigen Extrazügen – deren Kosten jedesmal etwa 20.000 Mark betragen – fortwährend sein Quartier, und sein Marstall von 160 edlen Rossen und die Schar der Künstler und der Troß der Diener finden das Vaterland, wo es ihnen gut geht.

Uebrigens steht Deutschland wie überhaupt in Bezug auf Vergnügungs-Veranstaltungen nicht etwa in erster Reihe. Frankreich, dem die Erfindung gebührt, besitzt in seinem grand hippodrom de Paris ein Etablissement, welches dem alten Rom Ehre gemacht hätte. Eine Societät von Kapitalisten und Sportsmen hat es errichtet und verwaltet es. Mehr als 20.000 Zuschauer versammeln sich in dem oblongen, mit verschwenderischer Pracht erbauten und ausgestatteten Riesenbau, in welchem blendende Ausstattungsstücke von antikem Gepräge in Scene gehen. Außerdem fesseln drei großartige Cirkusinstitute die Pariser, und ein Cirque Noveau verwandelt nach berühmten Mustern seine Manege in ein großes Wasserreservoir, in dem Wasserspiele und nautische

Sportsmen.

Pantomimen aufgeführt werden. Natürlich konnte dieser Ruhm des Nachbarreiches das klassische Land der Pferdezucht, England, nicht schlafen lasten, und so hat denn eine große Societät das Terrain des berühmten alten Opernhauses Royal covent garden mit glänzendem Erfolg zu einem grand international circus hergerichtet, welcher von der Elite der Londoner Gesellschaft besucht wird. Ein Olympia-Hippodrom á la Paris bildet neben ihm seit diesem Jahre die greatest attraction. Wie aber alle Vergnügungs-Veranstaltungen jenseit des Oceans eine Dimension ins Ungeheure annehmen, so hat auch Barnum’s Cirkus und grand Roman Hippodrom seine sämmtlichen europäischen Geschwister übertroffen. Dieses kolossalste Etablissement der Gegenwart beherbergt einen Marstall von 300 der edelsten Pferde, eine Menagerie von 200 der seltensten Thiere und eine Truppe von fast 1000 Personen. Dieser von der ganzen Union abgöttisch verehrte Fürst der Reklame und aus kleinsten Anfängen zum Krösus aufgestiegene Selfmademan hat auch die fliegenden Cirkusse erfunden, die er auf Blitzzügen durch die Union jagt, in etwa 300 cirkusdurstigen Mittelstädten seine Zelte binnen wenigen Tagen aufschlagend und nach der Vorstellung wieder abbrechend, um einige hundert Meilen weiter dasselbe Manöver zu wiederholen. Neben ihm bereisen die Riesencirkusse Forepaugh, Robinson, Wilson das cirkuslustige Universum.

Diese Nomadenzüge in sogenannten „american tents" haben einige englische Unternehmer, Meyers, Sanger, Merkel, in einem gemäßigteren Tempo auch für Europa nachgeahmt. Ja, man kann fast sagen, daß in der ganzen Welt „das Wandern ist des Cirkus Lust“, als wenn etwas von der raschen Beweglichkeit des Pferdes auch auf die Besitzer übergegangen wäre. So wechselt Salomonski zwischen Moskau und Odessa, Ciniselli zwischen Petersburg und Warschau, Schumann zwischen Stockholm und Kopenhagen. Nancy hat seine stabilen Cirkusse in Lyon, Genf und Marseille, Wulff, Herzog und Corty-Althoff vagiren durch die deutschen Gaue und Cirkus Carré – dem Wortlaute nach die praktische Lösung der Quadratur des Cirkels – alternirt zwischen Wien, Köln, Brüssel, Antwerpen und Amsterdam. Krembser hat vor einiger Zeit – am blauen Strand der Spree – nicht weit entfernt von Renz’ maurischem Kunsttempel einen neuen Cirkus ganz aus Wellblech errichtet, und nun locken die Sirenentöne zweier „Circen“ die Berliner in ihre lichten Räume, ohne daß diese die Vorsicht gebrauchen, sich gleich Odysseus die Ohren mit Wachs zu verstopfen.

Ich möchte keinen Cirkus haben, und wenn man mir ihn schenkte. Ein Theaterdirektor ist schon ein geplagter, von Sonnenschein und Regen, von Laune und Konkurrenz abhängiger Mann: aber er wird oft aus der Schatulle eines Mäcen oder der Gemeinde subventionirt, und wenn es einmal nicht weiter gehen will, spricht er mit seinen Leuten und spielt mit ihnen auf Theilung. Die Pferde lassen aber nicht mit sich sprechen und sich nichts an ihren Rationen kürzen: ein Marstall ist ein fressendes Kapital in des Wortes verwegenster Bedeutung. Man hat kaum eine Vorstellung von den Kosten eines solchen Unternehmens. Der Tagesetat von 2000 Mark ist nicht zu hoch gegriffen. Der Bau einer Holzrotunde kostet bis 20.000 Mark; die Steuern, die Beleuchtung, die Police gegen Feuersgefahr – alles, was möglich ist, wälzt die Gemeinde, in der er Gastrecht genießt, auf seine Schultern – ein sorgenvolles Brot mit unberechenbaren Chancen. Drum – wie es im schönen Volksliede heißt – „drum möchte ich ein Renz nicht sein!“ Und doch – und doch! Wie fließen die Einnahmen, wenn das Gebotene die Neugier zu reizen, wenn es sich zum sensationellen Ereignis herauszubilden weiß, das jeder gesehen haben will und muß! 5000 Mark Abendeinnahme ist sicher; der große Cirkus Renz soll bei total ausverkauftem Hause das Doppelte ergeben. Da ist die Chance vorhanden, in wenigen Monaten Reichthümer zu sammeln. Und dann die Stellung in den Grenzen seines Reiches! Der Direktor ist von seinem Personal geachtet: denn er hat von klein auf angefangen und er versteht das Metier von Grund aus besser als einer. Er ist gefürchtet: denn er herrscht souverän und seine Leute zittern nicht minder vor dem Blitze aus seinem Auge, als die vierfüßigen Künstler ihm auf den Wink pariren. Es giebt keinen Widerspruch gegen sein Wort – keinen Appell gegen seinen Spruch. Le cirque c’est moi, liegt auf seinen stolzen Zügen, wenn er sich noch, aus besonderer Rücksichtnahme, zur Vorführung einer equestrischen Glanznummer herbeiläßt. Er ist ein Fürst von Gottes Gnaden – nur das P. T. Publikum, welchem er seine Reverenz macht, erkennt er über sich an – „ich möchte drum ein Renz wohl sein.“

Ein Cirkusdirektor hat neben sich zwei ausführende Minister: den des Innern – den Arrangeur, den Leiter der Proben und Vorstellungen – den Regisseur; den des Aeußern – seinen Geschäftsführer – im Englischen „Manager“ – den wichtigsten Mann neben seinem Chef. Er entwirft den Feldzugsplan, baut die Cirkusse, schließt die Kontrakte, inserirt und organisirt, beaufsichtigt Sekretäre und Kassirer; er ist die ausführende Hand des Allgewaltigen und stets zu seiner Seite, wenn ihn nicht ein Geschäft, eine Auseinandersetzung mit den Behörden die Besichtigung einer schneidigen Parforcereiterin einmal auf einige Tage nach Petersburg oder nach Madrid entführt hat.

In das mit riesigen Plakaten und bunten Bildern beklebte Vestibül, durch welches die drei Mächtigen plaudernd promeniren, rauschen jetzt, gedämpft durch den schweren Vorhang, welcher die ringförmig um den Mittelkreis gelagerten Stallungen abschließt, die taktmäßigen Töne des Orchesters und erdröhnen die Beifallssalven der animirten Menge. Ich bin heute so glücklich, mich nicht mehr auf den verstohlenen Blick durch die Ritze der Leinwand beschränken zu müssen – ich bin einer von den Beneideten, der sich ein Billet kauft und in die lichtdurchflimmerte Riesenrotunde eintreten darf.

Man tritt gewissermaßen in einen Krater, dessen Boden die mit gelbem Sande bestreute Manege und dessen lebendige Wände die tausendköpfige, bis zur Decke ringsum ansteigende Menge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_142.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2018)