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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

lachen: aber das ist eine verschwindende Minorität und ich bedaure dieselbe. Diese grotesken Gestalten in ihren absichtlich verpaßten Kostümen dem rothen Seidenfrack mit kurzer Taille und unendlichen Schößen, ihren Kinderanzügen aus einem Stück, mit Uhren, Ziffern und anderen Hieroglyphen barock bemalt, ihren zebraartig gestreiften oder auf jeder Seite verschieden gefärbten Trikotanzügen, mit ihrem mehlweißen Gesicht, verbreiterten Munde, verzogenen Augenbrauen und rothem Schopf – diese Erscheinungen mit ihrer bald

Ein „Kunstschüler“.

hüpfenden, bald schreitenden Bewegung, ihren unerwarteten Ueberkugelungen und Kopfsprüngen, die mit ihrer angenommenen Ungeschicklichkeit so lustig kontrastiren – ihrem Idiom, das aus allen Sprachen etwas aufgelesen hat – diese Typen drolliger Unverschämtheit, die sich in alles hineinmengen, alles verkehrt oder anders machen als gewöhnliche Menschen, mit aller Welt auf einem neckenden Kriegsfuß leben, maßlos sind in der Liebe und im Haß: ich sollte meinen, der komischen Wirkung dieser Figuren könnte sich gar niemand entziehen. Ihre lustigen Improvisationen, welche durch den Umstand nicht an Werth verlieren, daß sie sorgfältig einstudirt und auf ihre Wirksamkeit erprobt sind, ihre theilweise zur Specialität ausgebildeten gymnastischen, musikalischen, Jongleurleistungen, ihre Thierdressuren und ihre gelungenen Parodien erster Artisten wirken wie das antike Satyrspiel nach der Tragödie. Sind unsere Klowns auch nur die Urenkel jener Rüpel, deren tölpelhafte Sprünge wir im „Sommernachtstraum“ und „Wintermärchen“ belachen, Verwandte des spanischen Gracioso und deutschen Hanswurstes: mir scheint es, als müsse ein großer Theil ihrer Späße schon aus der Zeit des Mimus und der Atellanenspiele herrühren, und ich gebe mich mit dem Gefühl eines historischen Rechtes rückhaltlos der Freude über dieselben hin, über welche vielleicht einst graubärtige Peripatetiker


„Hoplá, cousin!“

und kahlköpfige Senatoren auf ihren mit Polster belegten Sitzen sich die Toga vor Lachen gehalten haben.

Wer aber auch an dem „Hoplá, cousin“ der Klowns nicht Interesse finden kann, der wird sich gern dem Eindruck der glitzernden und gleißenden Kostüme, der frischen Bewegung tummelfroher, prachtvoll geputzter Rosse, dem chromatropenartigen Wechsel der Figuren hingeben, der getanzten Fabel der Pantomime folgen, in der Roß und Reisige, wie Kreisel sich drehende Ballerinen und farbige Strahlen der elektrischen Sonnen, Trompetenstöße und Feuerzauber, Lachen und Beifallsjubel aus vielen tausend Kehlen sich zu einem gewaltigen Schlußaccord verschlingen.

Und wenn man alle diese zur Hauptsache werdenden Nebensächlichkeiten abstreift, bei einer Probe also, wo Licht, Schminke, Musik, Kostüm und Publikum fehlt, wo also nur die reine Leistung, ohne schönfärberischen, sinnberauschenden Apparat zur Geltung kommt: müßte das Ganze nicht da einen abschreckenden Eindruck machen? Ich habe das nicht gefunden. Zwar erscheinen die Artisten uns hier in der Tageshelle, im Alltagskostüm klein, nüchtern, unbedeutend. Einige sehen aus wie Oekonomen, andere wie Kommis, der lange, aus dem zurückgeschlagenen Stehkragen herausschimmernde Hals, das bartlose englische Gesicht zeigt den Klown. Die Herren, gewöhnlich im Jaquet oder langen Ueberzieher, das runde Hütchen auf dem Kopf, die Cigarre im Munde, einen Stock in der Hand; die Damen im Hauskleid unter dem langen braunen Regenmantel, das Haar provisorisch aufgesteckt, den schlichten Stoffhut auf dem Köpfchen: so steht oder sitzt das Künstlervölkchen in den Sperrsitzen, leise plaudernd und beobachtend während der Proben in der Tageshelle umher, mit kollegialem Interesse dem schwarzgelockten Italiener folgend, der, eine Cigarette zwischen den Lippen, gerade seine große Abendnummer durchübt. Man kann hier wohl beobachten, wie das hohe Schulpferd, welches Abends so leicht und gefällig nach der Musik zu tänzeln weiß, als sei es mit dem musikalischsten Ohre auf die Welt gekommen, diese Begabung durch Schenkeldruck und kurze Peitschen und ohne Orchester, der Reiter pfeift nur leise vor sich hin, beigebracht bekommt; wie es zu dem tiefen Komplimente vor dem verehrlichen Publikum, das so ganz aus innerster Ergebenheit und Hochachtung zu kommen scheint, durch unwiderstehlichen Terrorismus gezwungen wird: man sieht den Schweiß, den die Götter vor das Gelingen gesetzt haben, auf der Stirn des Reiters und auf dem glänzenden Leibe des Rosses perlen.

Ein kleiner schwarzbrauner Kunstjünger – ein russischer Ponyhengst wird mit fünf Kameraden zu Exercitien im Freien eingeschult. Man bemerkt, daß er zuerst keine Idee davon hat, was man eigentlich von ihm haben will – man sieht, wie ihm die akustische Lehre von den Schwingungen und den Knoten an zwei Peitschen von der Radiuslänge des Cirkus praktisch beigebracht wird; wie er endlich kapirt, worauf es seinem Dresseur ankommt, wie er über das Kommando mit sich ins Klare kommt, seine Ohren spitzt. und mit gespanntester Aufmerksamkeit an dem erwarteten Rufe hängt; wie er im Uebereifer sich sogar vor der Zeit um sich selbst dreht; wie er in den trostreichen Worten: „brav, sehr brav“ mit sichtlicher Genugthuung seine gute Konduite entgegennimmt; wie er endlich schweißgebadet und schäumend im Vollgefühle erfüllter Pflicht auf seinen Lehrer und Peiniger zueilt und seine Schnauze in die streichelnde Hand schiebt, um nach gethaner Arbeit von einem Stallknecht in Hemdsärmeln und blauer Schürze – man erkennt die Gentlemen vom Abend in ihnen nicht wieder – in das traute Dämmerlicht des Stalles zurückgeführt zu werden.

Für den Realisten ist die Probe vielleicht noch interessanter als die Vorstellung: für den Artisten ist sie ein notwendiges Uebel. Er haßt sie, wie er den Regisseur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_156.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)