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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Der Kroat war, nachdem er seine Vorbereitungen am Morgen getroffen, mit seiner Truppe durch die drei Dörfer gezogen, so weit es möglich gewesen, hatte trommelnd oder trompetend die Leute zusammengerufen, ihnen die Herrlichkeiten anzukündigen, deren sie theilhaftig werden könnten, wenn sie sich pünktlich um fünf Uhr auf der Koppel hinter Schloß Dambow einfinden wollten. Er hatte auch ein paar von den Musikanten geworben, die in den Schenken der Dörfer zum Tanz aufspielten, und es sah dann bunt genug auf dem umzäunten Weideplatze aus, als ich eine Stunde später, nach dem eingenommenen Kaffee die Erlaubniß erbat und erhielt, dem Schauspiel beizuwohnen.

Meine Mutter zeigte Lust, sich mir und Doktor Hartusius anzuschließen, da die beiden Männer sich in ihre Unterhaltung über die Zweckmäßigkeit der immer weiter durchgeführten Domänenverpachtung vertieft hatten; und der Graf, der trotz der völligen Einsamkeit, in welcher er sich nach wie vor gefiel, die feine Sitte der guten Gesellschaft doch niemals außer Acht ließ, brach darauf sofort das Gespräch mit meinem Vater ab, um meiner Mutter den Arm zu bieten, als sie sich auf seinem Grund und Boden zu ergehen wünschte.

Schon im Park klang von der Wiese zwischen dem lustigen Dreitritt, den wir sonntäglich aus dem „Kruge“ zu hören gewohnt waren, der laute Jubel und das Hurrahrufen herüber, mit dem die zahlreich zusammengeströmte Menge ihren Beifall kundgab; und wie wir dann den freien Blick auf die Koppel gewannen, sahen wir – die Thiere hatten ihre Künste bereits alle zum Besten gegeben – wie Franull sich auf dem Seile in gemessenem Schritte hin und her bewegte, sich neigend, sich erhebend, sich wendend und sich wieder neigend; und was immer sie that, es stand ihr gut, und sie sah schön aus in dem elenden rothen Röckchen, das ihr nicht weit über das Knie hinabreichte und ihre Glieder, ihre feinen Schultern, ihre schönen Arme, dem Blicke überließ. Sie trug einen Kranz von Ebereschen in dem schwarzen Gelock und die mit Schellen besetzte Balancirstange in den Händen. Mir kam sie womöglich noch schöner als am verwichenen Abende vor; aber der Ausruf meiner Mutter: ,Herr Gott! das Mädchen ist ja zum Erbarmen schön!‛ bezeichnete den Eindruck, den sie machte, auf das Richtigste.

Unverwandt sah sie auf ihre Stange und auf das Seil hernieder. Sie schien weder die Musik, noch die Freudenrufe der Leute, weder das Janitscharengeklingel des Kroaten zu hören, noch seinen immer wiederholten Zuruf: .He! he! lustik! he! hoch! schön Franull! lach’, schön Franull!‛

Es machte offenbar keine Wirkung auf sie. Man sah, ihr Thun war ihr eine Qual, und eben wollte der Graf, da wir nahe herangekommen waren, gleich meiner Mutter von Mitleid mit dem armen Geschöpf ergriffen, den Befehl geben, der Vorstellung ein Ende zu machen, als Jablonski’s Ruf: ,Hoch! hoch! oder –‛ Das fremde Wort mußte eine Drohung enthalten, die er mit der Bewegung seines erhobenen Armes noch zu verstärken suchte und deren Ausführung das Mädchen zu fürchten gelernt hatte.

Franull sprang in die Höhe – ein allgemeiner Schrei des Entsetzens erfüllte die Luft! Die Musik verstummte in grellem Mißton! Die Tänzerin hatte das Seil verfehlt; die Balancierstange fiel klirrend zu Boden – Franull lag leblos auf dem grünen Rasen.

Der Kroat hob sie empor. Von allen Seiten liefen namentlich die Weiber zum Helfen herbei. Man sah, wie das rechte Bein des Mädchens schlaff zur Seite hing, wie das Blut aus einer Kopfwunde das blasse Antlitz und die nackte Schulter der Bewußtlosen überströmte. Aber ehe noch Jablonski sich mit ihr durch die Herandrängenden hatte fortmachen können, war der Graf, dem man natürlich sogleich Raum gegeben, raschen Schrittes dazwischen getreten, hatte die Bewußtlose in seine Arme genommen, ihren Oberkörper an seine breite Brust gelehnt, dem Doktor Hartusius, der ihm auf dem Fuße gefolgt war, zugerufen: ,Stützen Sie den Unterkörper! Das Bein ist gebrochen!‛ und hatte dann mit seiner leichten Last den Weg nach dem Schlosse eingeschlagen.

Das Alles war schneller vor sich gegangen, als ich es habe erzählen können. Der Kroat stand machtlos fluchend auf dem Plan; die Alte schlich händeringend dem Grafen und Hartusius nach. Die Einen schrieen, daß man den Schäfer kommen lassen müsse, der Hand anzulegen verstehe, wenn Noth am Mann sei; der Inspektor befahl, den Doktorwagen anzuspannen und sogleich nach der Stadt zu fahren, um den Doktor oder den Chirurgus herauszuholen, und ich ging, in all dem Hin und Her meinen Eltern in das Schloß, da die Mutter, als eine erfahrene Hausfrau, zunächst darauf bedacht war, des Mädchens Kopfwunde vorläufig zu verbinden, um womöglich das heftige Bluten derselben zu stillen.

Auf der Koppel und im Dorfe wurde es danach still, im Schlosse war’s noch stiller. Man hatte Franull auf ein Bett in der Mägdestube gelegt; meine Mutter hatte sie verbunden; die Haushälterin hatte eine Magd an das Krankenbett gesetzt und die Alte hinausgeschickt, die mit ihren lauten Wehklagen und mit dem Verlangen, das Bein zu untersuchen, zur Last fiel; und unser Wagen war dann vorgefahren, uns nach Hause zu bringen, da man trotz des Mitleids, das man hegte, unmöglich im Schlosse bleiben konnte, bis der Arzt, auch wenn man ihn zu Hause antraf, aus der anderthalb Meilen entfernten Kreisstadt nach Dambow gekommen sein konnte.

Es blieb aber während der Fahrt und auch noch zu Hause bei dem Abendessen immer die Rede von dem Vorfall, von Franull, von ihrer eigenartigen Schönheit; und meine Mutter hegte den Glauben, daß dies Mädchen nicht die Enkelin der Alten, sondern ein geraubtes Kind sei; denn Rosen wachsen nicht am Dornstrauch. Sie band es deshalb dem Doktor Hartusius auf die Seele, daß er dem Grafen von diesem ihrem Gedanken sprechen solle, wenn er am nächsten Tage, wie es verabredet worden, nach Dambow hinüberreiten würde, sich zu erkundigen, wie es mit der Verunglückten stehe; und es erging derselben denn so, wie es zu erwarten gewesen war.

Sie lag noch immer bewußtlos in vollem Fieber. Der Arzt hatte die Erschütterung des Kopfes für bedenklich erklärt; und nach seiner bestimmt ausgesprochenen Ansicht konnte selbst bei der glücklichsten Heilung des Beinbruchs nie wieder die Rede davon sein, Franull ihre Kunst ausüben zu lassen. Als dies festgestellt worden, hatte der Graf am Morgen den Kroaten und die Alte vor seinen Justitiarius kommen und in aller Form verhören lassen, nachdem er erklärt, daß er das Mädchen bis zu dessen vollständiger Heilung im Schlosse behalten werde.

Die Alte hatte unter heißen Thränen beschworen, daß alles sich verhalte, wie sie es zuerst ausgesagt, daß Franull ihrer Tochter Kind und auf den Namen des Kroaten Wizkowich in einer protestantischen Kirche, die sie angab, getauft sei. Wizkowich sei ein ehrlicher Soldat gewesen, der ihre Tochter gewiß geheirathet haben würde, und der Jablonski habe sich auch nichts zu schulden kommen lassen. Wenn er auch mit Pferd und Vieh besser umzugehen verstanden als mit dem Kinde, wenn er das Mädchen wohl auch einmal im Zorn seine Faust habe fühlen lassen: an ihr, an der Alten, habe er sich nie vergriffen, selbst nicht, wenn er einmal etwas im Kopfe gehabt. Hungern habe er sie auch niemals lassen, sondern habe seinen letzten Bissen Brot mit ihnen getheilt, und ein ehrlicher Kerl sei er, so wahr Gott lebe.

Der Kroat hatte, während die Alte redete, finster und mit geballten Fäusten vor dem Grafen und dessen Justitiar dagestanden. Daß er nicht in Dambow liegen bleiben könne, bis Franull geheilt sein würde, das verstand sich von selbst; und wenn künftig auf dem Seile mit ihr nichts mehr zu machen war, so war sie, und mehr noch die Alte, ihm nur eine Last. Er hatte also der Erklärung des Justitiars mit den Worten begegnet: ‚Ja! gleich fort! nix da Glück! fort allein! –Aber noch sehen! – Krank Kind sehen! und fort! fort!‛

Die Alte jedoch hatte natürlich himmelhoch gebeten, daß man sie nicht hinausstoßen, daß man sie bei ihrer Enkelin bleiben lassen solle, bis diese wieder würde mit ihr gehen können, wonach sie denn zusammen versuchen müßten, sich weiter durchzuschlagen in der Welt; und wollte der Graf, dessen gutes Herz bekannt war, nicht grausam sein, so hatte er kaum eine Wahl gehabt, als beiden zu willfahren.

Die Alte wurde sofort in eine der Kathen bei hörigen Leuten untergebracht, und die Wirthin hatte den Befehl erhalten, den Kroaten an das Bett Franull’s heranzulassen, nachdem der Graf ihm, wie die Leute erzählt, noch ein Geldstück als Wegzehrung in die Hand gedrückt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_160.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)