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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Mit der erlauchten Gefährtin seines Lebens theilte er seine Freude über die errungenen wunderbaren Siege, aber auch seine Trauer über die vielen gefallenen Helden; an sie richtete er alle seine Depeschen von den Schlachtfeldern aus, an sie ausführliche Schilderungen der gewaltigen Kriegsereignisse. Aus allen diesen Zuschriften spricht in ergreifendster Weise, wie der liebende Gatte und der warmfühlende Vater seines Volkes und seines Heeres, so aber auch der selbst in den schwersten Stunden unerschütterlich Gott vertrauende, selbst auf der steilsten Höhe menschlichen Ruhmes sich demüthig vor Gott beugende Held.

„Wenn ich mir denke,“ schreibt er an die Königin bald nach der Kapitulation von Sedan und der Gefangennahme Napoleons – „daß nach jenem großen glücklichen Kriege (1866) ich während meiner Regierung nichts Ruhmreicheres mehr erwarten konnte, und ich nun diesen weltgeschichtlichen Akt erfolgt sehe, so beuge ich mich vor Gott, der allein mich, mein Heer und meine Mitverbündeten ausersehen hat, das Geschehene zu vollbringen und uns zu Werkzeugen seines Willens bestellt hat. Nur in diesem Sinne vermag ich das Werk aufzufassen und in Demuth Gottes Führung und seine Gnade zu preisen.“

„Gott sei gepriesen für diese erste glorreiche Waffenthat, er helfe weiter!“ – so telegraphirte er an die Königin nach der ersten gewonnenen Schlacht bei Weissenburg, und wiederum nach Wörth: „Preise Gott für seine Gnade!“ Kaum Ein Telegramm, worin nicht diese dankbare und demüthige Anrufung Gottes sich wiederholt.

Als Napoleon III., der erst kurz zuvor ihn muthwillig aufs tiefste beleidigt hatte, indem er in seinem Uebermuth ihn entweder zu einer maßlosen Selbsterniedrigung zwingen oder zum Kriege reizen wollte, als dieser selbe Napoleon sich ihm als Gefangener ausliefern und in der demüthigen Gestalt eines Ueberwundenen und um Frieden Bittenden vor ihm erscheinen mußte, da war er, in der ganzen Hoheit seiner edlen und wahrhaft frommen Gesinnung, so weit entfernt auch von dem leisesten Anfluge der Selbstüberhebung oder der Schadenfreude, daß er vielmehr tiefergriffen an seine Gemahlin schreibt: „Was ich alles empfand, nachdem ich vor drei Jahren Napoleon auf dem Gipfel seiner Macht gesehen hatte, kann ich nicht beschreiben.“

Ja, echte Frömmigkeit war der Grundzug im Charakter des Kaisers Wilhelm, war das, was allen seinen anderen trefflichen Eigenschaften gleichsam die Weihe gab, aber eine Frömmigkeit, die fern war von jeder Frömmelei und eine erklärte Feindin jener Scheinheiligkeit, welche unter der frommen Maske so gern ganz andere Neigungen und Absichten verbirgt. Dies bekundete er schon als Prinz-Regent von Preußen, da er in seiner Ansprache an die Minister sagte:

„Mit allem Ernst muß der Richtung entgegengetreten werden, die dahin abzielt, die Religion zum Deckmantel politischer Bestrebungen zu machen. In der evangelischen Kirche, wir können es nicht leugnen, ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit deren Grundanschauungen nicht verträglich ist und die in ihrem Gefolge Heuchelei hat. Alle Heuchelei, Scheinheiligkeit, alles Kirchenwesen als Mittel zu politischen Zwecken ist zu entlarven!“

Wohl hatte Kaiser Wilhelm Grund, der göttlichen Vorsehung zu danken und sie zu preisen für das, was sie Großes an ihm und durch ihn an Preußen an Deutschland gethan! Wenn er zurückdachte an die traurigen Tage seiner Kindheit, wie die unvergeßliche Königin Luise mit ihm fliehen mußte aus der von dem französischen Eroberer bedrohten Hauptstadt, fliehen weiter und weiter vor dem nachrückenden Feinde bis an die äußerste Grenze der preußischen Staaten, wie die geliebte Mutter auf der mühe- und gefahrvollen Reise schwer erkrankte, er selbst in Memel am Nervenfieber darniederlag; wenn er sich der Thränen seiner Mutter erinnerte, die sie über den Zusammenbruch der Monarchie Friedrichs des Großen geweint, und jener Worte, mit denen sie seinen älteren Bruder, den nachmaligen Friedrich Wilhelm IV., und ihn gemahnt: „Befreit Euer Volk von der Schande der Erniedrigung, worin es schmachtet, sucht den jetzt verdunkelten Ruhm Eurer Vorfahren zurückzuerobern!“ – wenn er alles dieses sich ins Gedächtniß zurückrief und damit die glorreichen Waffenthaten seines Heeres verglich, welche selbst die der Befreiungskriege noch übertrafen, die von Frankreich zurückgewonnenen Länder, die in seine Hand gegebene ungeheure Machtfülle, die Erhebung Preußens und Deutschlands zum ersten Range unter den Nationen – dann mochte er wohl mit gerührtem und dankerfülltem Herzen ausrufen: „Der Herr hat alles wohl gemacht, der Name des Herrn sei gepriesen!“

Und er konnte das mit um so reinerem Gewissen, als er sich bewußt war, zu dem Kriege, der ihm und uns so Großes eintrug, keinen Anlaß gegeben zu haben, vielmehr dazu auf die frevelhasteste Weise gezwungen worden zu sein; als er sich ferner bewußt war, seiner Siege niemals sich überhoben, seine Macht niemals mißbraucht zu haben. Hat er doch in jener großen Stunde, wo in seiner Person das alte deutsche Kaiserthum erneuert wurde, das feierliche Gelübde gethan: „Mehrer des Reichs zu sein nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens, auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.“

Ein so gewaltiger Kriegsfürst Kaiser Wilhelm I. war, als ein ebenso aufrichtiger Freund des Friedens hat er sich allezeit bewährt. Was Napoleon III. nur heuchlerisch verkündete: „Das Kaiserreich ist der Friede,“ das konnte er von dem durch ihn gegründeten und von ihm beherrschten Reiche mit vollster Wahrheit sagen. Wozu jener sich willkürlich aufwarf, zum Schiedsrichter Europas, dazu ward dieser edle, selbstlose Kaiser von streitenden Parteien mehr als einmal freiwillig auserkoren. Wo es galt, das Gleichgewicht und die Ruhe Europas gegen bedenkliche Verrückungen der Machtverhältnisse sicherzustellen, da hielt ihn weder die Rücksicht auf alte und werthgehaltene Beziehungen, noch die Besorgniß vor Gegnerschaften, die er dadurch sich schaffen konnte, von der Erfüllung dieser in seinen Augen heiligsten Pflicht zurück.

So schmückt seinen Sarkophag neben dem Lorbeer des Helden die Palme des Friedens, neben beiden aber der Eichenkranz des Vaters und Wohlthäters seines Volkes und der gesammten deutschen Nation; sein Angedenken aber wird gesegnet bleiben und fortleben unvergänglich von Geschlecht zu Geschlecht! Das bezeugte schon vor nunmehr zehn Jahren, als zweimal eine ruchlose Hand sein theures Leben gefährdete, der in allen deutschen Gauen erschallende laute Aufschrei des Entsetzens und der bangsten Besorgniß; das bezeugen die tieftraurigen Blicke und die unwillkürlich hervorbrechenden Thränen, womit, da Gott nun den geliebten Kaiser – in einem Alter, wie es wenig Menschen vergönnt ist – durch einen sanften Tod zu sich genommen, diese Trauerkunde allerwärts aufgenommen worden ist.

Selten wohl konnte ein Mächtiger der Erde mit so ruhigem, ja freudigem Bewußtsein diesem göttlichen Rufe entgegenharren, wie Kaiser Wilhelm; denn selten wohl hat selbst ein Privatmann, geschweige ein mit großer und schwerer Verantwortlichkeit Belasteter alle seine Pflichten, die nächsten wie die höchsten, die des zärtlichen Familienvaters, wie die des Herrschers eines mächtigen Reichs, so treu, so gewissenhaft, so peinlich streng erfüllt wie er.

Möge sein Geist fort und fort ruhen auf allen seinen Nachfolgern und auf dem ganzen deutschen Volke!

Karl Biedermann.     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_168.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)